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Eurosterne versus Weißbier?

Von Europa Konferenz / 2. Dezember 2015
Foto: Jonas Jordan
Foto: Jonas Jordan

Wenn es um das beste Bier oder den wahren Kaffeegenuss geht, lieben wir europäische Vielfalt und die vielen Regionen mit ihren appetitlichen Besonderheiten. Aber wenn es darüber hinaus geht und einige Regionen nach mehr Unabhängigkeit streben, dann stößt dies oft auf nationale Widerstände. Trotzdem fordern einige Regionen mehr politische Eigenständigkeit.

„Bayern wäre als Mitgliedsstaat der EU momentan der neuntgrößte Staat Europas“, erklärt Florian Weber, Landesvorsitzender der Bayernpartei und Verfechter der Unabhängigkeitsvision des Freistaats. Was in Deutschland eher als ein exotisches Thema gilt, ist in vielen anderen Regionen der EU-Mitgliedsstaaten schon ein deutlich realeres Szenario. Allen voran Schottland und Katalonien, die in Referenda 2014 und 2015 bewiesen haben, wie ernst es ihnen ist.

Die Reaktion der EU auf die katalanischen und schottischen Bestrebungen wirkt überraschend unflexibel und sperrig, blickt man auf die lange Tradition von Sezessionen im europäischen Raum zurück. Weber sieht auch rechtlich in der inneren Erweiterung der EU kein Problem, „denn das Selbstbestimmungsrecht der Völker haben alle europäischen Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, in der KSZE-Schlussakte von Helsinki anerkannt. Es ist in diesem Sinne auch bindend und steht den Regionen verfassungsgemäß zu“. Er betont, dass die Regionen ausdrücklich vom europäischen Gedanken getrieben werden, statt wie manche Nationalstaaten gegen Europa zu arbeiten.

Auf dieser Ebene prallt das Verständnis der heutigen EU der Nationalstaaten auf die Zukunftsvision der Regionen. Professor Winfried Böttcher von der RWTH Aachen forscht seit Jahren zu dem Thema und bezeichnet sich sogar als Gegner der Nationalstaaten: „Ich denke, dass das überholt ist, da dieses System innerhalb Europas so nicht funktioniert. […] Nationalstaaten behindern sich nur gegenseitig und können nicht solidarisch sein. Aus diesem Grunde muss etwas Neues gefunden werden.“

Moloch Europa?

Doch wie soll dieses „Neue“ denn aussehen? Ein Wirrwar aus bürokratischen Ebenen, mit einer immer fortschreitenden Regionalisierung, die sich irgendwann im Detail verliert? Nein, ein „Moloch Europa“ sei keinesfalls das Ziel, so Böttcher. Vielmehr ist die Vision, dass vom europäischen „Staat“ ein konzeptioneller Rahmen abgesteckt wird. Aufgaben wie beispielsweise die Außen- und Sicherheitspolitik und Grundregeln im wirtschaftlichen Bereich sollen festgelegt werden. Alles andere wird heruntergebrochen auf die Regionen, um vor allem die demokratische Legitimität auf unterster Ebene wieder herzustellen. Ein Europa, das für jede_n im nächsten Gemeindehaus wieder zu finden ist. Das agiert, ohne lokale Interessen zu übergehen oder gar zentral regeln zu wollen. Aber auch ein Europa, das trotz allem handlungsfähig bleibt.

Also weg mit den Nationalstaaten? Eine steile, wenn auch bekannte These, die erst mal unrealistisch scheint. Denn trotz aller aktuellen Schwierigkeiten waren sie es doch, die eine Europäische Union erst möglich gemacht haben. Kultur, Sprache, Identität – steht und fällt das denn nicht mit unserem Konzept des Nationalstaats? Nicht unbedingt. Schiller und Goethe lebten beide zu Zeiten der Kleinstaatlichkeit. Auch Sprache, wie wir sie heute in ihrer europäischen Vielfalt erleben, beschränkt sich in vielen Staaten nicht auf die Landesgrenzen, sondern folgt ihren ganz eigenen Regeln.

Aber es soll nicht alles Nationalstaatliche verdammt und alles Regionale hochgelobt werden, denn schließlich können sich viele Bürger_innen sehr gut mit ihrem Heimatland identifizieren. Böttcher erklärt: „Regionale und nationale Identität müssen sich ja nicht gegenseitig ausschließen, sie ergänzen sich, ich will ja die nationale Identität nicht auflösen.“ Sie müsste nur in den Hintergrund treten.

Von Partys und Plädoyers
Bleibt allerdings die Frage: Wie fängt das an, wo hört es auf? Nur die Nationalstaaten in ihre einzelnen Regionen aufzubrechen wird wenig bringen. Es müssten sich neben den politischen auch kulturelle oder anthropologische Regionen formieren. In Bayern ist momentan nur knapp ein Viertel der Bevölkerung für eine Unabhängigkeit, ganz abgesehen davon, dass die Franken eigentlich ihre eigene Party schmeißen wollen. Florian Weber ist klar, dass es also noch eine Weile dauern kann, bis sein „Plädoyer für das Europa der Vielfalt im Gegensatz zu einem Europa der Einfalt“ Wirklichkeit wird.

Auf dem Weg in diese neue Wirklichkeit stehen sich die Regionen jedoch selbst im Weg, so Böttcher. Denn Unabhängigkeitsbewegungen wie die katalanische streben nach einer eigenen Nation. Das sei der falsche Ansatz. Ein Europa mit mehr Nationalstaaten behindere sich nur weiter selbst. An Diskussionsstoff dazu fehlt es also nicht, es stellen sich immer mehr Fragen, auf die Europa baldmöglichst auch eine Antwort finden sollte. Denn wie schon Schiller im Kleinstaat sagte: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“

Text: Elisa Seith, Foto: Jonas Jordan

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