X Icon Facebook Icon

Immer nur Fortschritt

Von Zita Hille / 22. Februar 2023
picture alliance/dpa | Roberto Pfeil

Googlen, online bestellen und das, was man will, schnellstmöglich bekommen: Das beschreibt die heutige Welt. Doch was bedeutet das für die Kaufhäuser in unserer Stadt? Und wo sind die Grenzen dieses Fortschritts?

Sie woll’n höher, weiter, schneller sein,

wie gut und perfekt, zusamm’n allein.

Alle wollen die Welt von oben sehen

Und ich will nur mit dir hier unten stehen.“

Die nüchterne Liebeserklärung des Popsängers Georg Stengel hallt durch mein Zimmer. Ich tanze ein bisschen mit und ertappe mich wieder dabei, wie ich den Text mitsinge, ohne richtig auf seinen Inhalt zu achten. Dann höre ich genauer hin. Höher, weiter, schneller – die Trilogie könnte auch beschreiben, was den heutigen Fortschritt ausmacht.

Am liebsten sofort

Wir alle – ich fasse mir auch an die eigene Nase – wollen alles. Und das am liebsten sofort. Tut sich eine Frage auf, greifen wir nach unserem Handy und suchen mit Hilfe einer Suchmaschine nach einer passenden Antwort, die wir binnen weniger Sekunden bekommen. Wenn wir etwas auf Amazon bestellen, erwarten wir, dass die Ware spätestens nach drei Tagen bei uns ist. Der Hunger nach Informationen und Waren ist endlos, immer da.

Und weil wir bequem geworden sind, ist im Fall der Warensuche eine Konsequenz nicht mehr wegzureden: Etliche Kaufhäuser und Ladengeschäfte in den Innenstädten verschwinden. Nicht nur zahlreiche Karstadt– und Kaufhof-Filialen in den vergangenen Jahren in ganz Deutschland. Das Modell der Warenhäuser mit einem großen Warensortiment an einem Ort wird von der Fülle der Online-Angebote längst vielfach übertroffen und abgelöst. Wenn man dennoch in die Stadt geht, um einzukaufen, dann meistens mit einer genauen Vorstellung, verbunden mit einer konkreten Adresse. Das für samstägliche Shoppingtouren typische „Schlendern“ und „Draufloskaufen“ ist Vergangenheit – und die Kaufhäuser sind es aller Lebenserhaltungsmaßnahmen zum Trotz bald auch.

Leerstand als Folgeproblem

In vielen Städten, zum Beispiel in Wiesbaden, kommt es in der Folge zur Schließung von kleineren Spezial-Geschäften; durch erhöhte Ladenmieten und weniger Laufkundschaft können sie sich nicht mehr über Wasser halten. Neue kleinere Läden rücken aus den gleichen Gründen nicht in gleicher Zahl nach. Es bilden sich immer mehr Angebotslücken und Leerstand. So verzeichnete Wiesbaden im November 2022 einen Leerstand zwischen acht und zwölf Prozent, so die Stadtentwicklungsgesellschaft.

Im Vergleich zu anderen deutschen Städten steht die hessische Landeshauptstadt dabei noch recht gut da. Insgesamt sei der Anteil ungenutzter Gebäudeflächen in deutschen Einkaufszentren stark gestiegen: Stadtgebiete mit mehr als zehn Prozent Leerstand sind von 2019 (neun Prozent) inzwischen auf das Doppelte (18 Prozent) gewachsen. Daran ist nicht allein die Corona-Pandemie schuld, sie hat diese Entwicklung lediglich beschleunigt.

Die Stadt Wiesbaden will mit „Wicopop“ etwas gegen den Leerstand tun. In einem ungenutzten Gebäude, so das Konzept, wird ein Showroom eröffnet, in dem lokale Startups und Manufakturen ihre Waren aus den Bereichen Kosmetik und Lebensmittel sowie Kunst und Fährräder im stetigen Wechsel präsentieren. Und das, ohne Miete zu zahlen: Die übernimmt die Stadt. Das Modellprojekt soll bis Ende 2023 laufen.

Ob diese Idee von Vielfalt vor menschenleeren Einkaufsstraßen oder weiterem Kaufhaussterben bewahrt, bleibt abzuwarten. Auch der Appell, nicht dringliche Einkäufe nicht online zu bestellen, sondern die ansässigen Hersteller und Händler zu unterstützen und damit vielfältige Warenangebote vor Ort zu fördern, bleibt meist ungehört. Dabei wissen wir alle, wie dramatisch die unternehmerische Lage ist.

Sich nach draußen zu begeben, scheint dem Geist der heutigen Gesellschaft zu widersprechen. Dabei ist zum Beispiel eine Beratung vor Ort von Fachkräften etwas, das online fehlt – aber verzichtbar scheint. (Oder genutzt wird, nur um dann online billiger einzukaufen.)

Wo sind für Dich Grenzen des Fortschritts?

Meine Freundin Bianca und ich haben letztens darüber diskutiert, wo für uns die Grenzen des Fortschritts sind, nicht nur beim Konsum. Der Fortschritt leitet uns aktuell immer weiter in die Richtung, dass Maschinen uns Menschen nicht nur lästige Aufgaben oder das Denken abnehmen, sondern uns gleich ganz ersetzen. Im Hinblick auf die aktuell heiß diskutierte Chatbot-Software „ChatGPT“ sollen Maschinen Berufstätige ersetzen, indem sie die Aufgaben von Menschen vollständig übernehmen und sogar kreativ werden.

Faszinierend ist das allemal, immerhin steckt in diesen Maschinen keinerlei Leben, aber umso mehr Erfahrungswissen. Und doch kamen Bianca und ich am Ende unserer Diskussion zu dem Schluss, dass für uns da die Grenze ist. Egal, wie intelligent eine Maschine eines Tages sein wird: Leben lässt sich nicht durch etwas Totes ersetzen. Und nichts anderes sind Maschinen spätestens dann, wenn man ihnen den Stecker zieht.

„Höher, weiter, schneller!“ Ja, Fortschritt ist wichtig, Fortschritt ist toll und bringt ungekannte Vielfalt hervor. Aber wenn ich zu viel über die rasante Entwicklung der Zukunft nachdenke, habe ich das Bedürfnis, kurz durchzuatmen und wie Georg Stengel einfach mal stehen zu bleiben.

Eine Antwort zu “Immer nur Fortschritt”

  1. Von Kryptox am 1. März 2023

    Ich persönlich finde bei dieser Thematik vor allem den Wegfall von Kaufhäusern in den Innenstädten am traurigsten. Ich bin jemand der immer noch gerne Mal, zum Beispiel, am Wochenende in die Stadt fährt um eine Shoppingtour zu machen und Sachen anzuprobieren, das fehlt mir persönlich beim Online einkaufen.
    Sowas tut mir in der Seele weh, Kaufhäuser waren früher schließlich das Aushängeschild einer Stadt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ähnlicher Beitrag
Neues Thema
Meist kommentierter Artikel