In der Welt zuhause
Heimat ist für jeden Menschen woanders. Aber gibt es gravierende internationale Unterschiede in der Wahrnehmung von Heimatgefühlen?
Meine Heimat ist Ostfriesland. Auf diesem kleinen Flecken Erde im hohen Norden Deutschlands, an der Grenze zu den Niederlanden, lebt meine Familie seit mehr als zehn Generationen. Die ostfriesische Halbinsel mit den vielen Nordseeinseln davor ist mein Zuhause. Wenn ich auf dem Deich stehe und auf das Wattenmeer schaue, dann fühle ich mich heimisch.
Was macht Heimat sonst für mich aus? Sind es kulturelle Eigenheiten? Schließlich gelten Ostfriesen neben der dänischen Minderheit, den Sorben sowie den Sinti und Roma als eine eigenständige nationale Minderheit in Deutschland. Ostfriesen sprechen nicht nur einen Dialekt, sondern mit dem Plattdeutschen eine anerkannte Sprache. Sie trinken so viel Tee wie sonst niemand auf der Welt. Mit stoischer Ruhe trotzen die Friesen der stürmischen Nordsee bei manchem Deichbruch.
Die Antwort lautet also: Ja. Natürlich handelt es sich um kulturelle Faktoren, die für mich identitätsstiftend sind. Was Heimat für mich ausmacht, ist darüber hinaus das Gefühl der Verbundenheit. Meine Familie und die meisten meiner Freunde leben in Aurich, wo ich herkomme. Schulzeit, Politisierung, erster Job: Alles fand dort statt. Das prägt. Die Nordseeküste ist für mich ein sicherer Hafen, zu dem ich immer wieder zurückkehren kann.
Heimat in der Krise: Griechenland
Das kann nicht jeder für sich behaupten. Vor zwei Jahren fragte ich junge Athener für den Europablog der FES über ihre Heimat aus. Nostalgische Geschichten konnten sie zuhauf berichten. Viele plagte jedoch die Angst vor der Zukunft. Ihre Heimat Athen sei eben kein sicherer Rückzugsort mehr. Sie alle wollten die Stadt deshalb verlassen.
Schlimm ist, dass sie ihre Heimat nicht etwa aus dem Wunsch heraus, die Welt zu erkunden, hinter sich lassen – so wie ich etwa aus Aurich weggezogen bin, um zu reisen und Neues zu erleben. Wirtschaftlicher Not zwingt sie zu diesem Schritt. „Wir sind junge Leute, wir haben Träume, aber wir wissen nicht, was wir tun sollen“, sagte die Athenerin Maria Stella damals. Sie studiert Mathematik und Informatik, genoß eine exzellente Ausbildung. Hoffnung hatte sie trotzdem nicht. „In meiner Heimat ist die Krise nichts Neues mehr. Sie ist normal, gehört zum Leben dazu.“ Selbst in der Wiege der Demokratie sehen junge Menschen in ihrer Heimat keinerlei Perspektive mehr. Daran ändert auch die langsam einsetzende Konsolidierung der griechischen Staatsfinanzen nichts.
Heimat im Sozialismus: Kuba
Doch wie wird Heimat auf einem anderen Kontinent, in einem anderen Gesellschaftssystem wahrgenommen? Während einer Summer School in Havanna komme ich dazu mit jungen Kubanern ins Gespräch. Sie kennen nichts anderes als ihre Heimat, waren nie weg. „Ich bin Fidel Castro sehr dankbar dafür, dass er unsere Heimat befreit und aufgebaut hat. Ein gutes Gesundheits- und Bildungssystem, das sind große Errungenschaften des Sozialismus“, berichtet Iresis, eine junge kubanische Wirtschaftsingenieurin. Dennoch: Ihr Heimatland bietet ihr keine Perspektive. Wenn sie könnte, würde sie in die USA auswandern. Viele Kubaner, darunter auch Zigarrendreher und Rumproduzenten, berichten von ihrer Sehnsucht nach den USA. Auch sie könnten sich vorstellen, in Florida, das in Sichtweite der kubanischen Küste liegt, eine neue Heimat zu finden. Seit der Amtsübernahme von US-Präsident Donald Trump, der viel Kritik für Kuba übrig hat, nimmt das Fernweh ab: Viel wichtiger sei für sie die Unabhängigkeit ihrer Heimat von den USA.
Heimat im Umbruch: Tunesien
Dass ihre Heimat unabhängig bleibt, ist auch für Asma wichtig. Die junge Tunesierin berichtet mir bei einer Reise durch ihr Land von ihren Heimatgefühlen. „Ich mag meine Heimat sehr, besonders wegen dem Bezug zu Familie und Freunden. Tunesien liegt mir am Herzen, daher unterstütze ich die Revolution und die Demokratie“, erklärt sie mir. „Aber durch den Umbruch ist die Wirtschaft zerstört worden, ich bilde mich daher, um nach Europa auszuwandern. Am Ende ist Heimat doch auch dort, wo man sich wohlfühlt – und das ist ohne Arbeit schwer.“ Aktuell ist die Situation in Tunesien immer noch sehr unsicher. Wie sich das Land in den nächsten Jahren wirtschaftlich entwickeln wird, steht in den Sternen. Der Terrorismus des IS und die unsichere politische Lage in den Nachbarstaaten erschwert Asma und ihren Landsleuten ein Leben in Frieden und Sicherheit.
Ich lerne: Heimatverbundenheit und zugleich Fernweh zu verspüren, das scheint es überall zu geben. Laut EU-Kommission hat sich die Zahl der Erasmus-Studenten in den vergangenen Jahren vervielfacht. Bereits 2013 wurde die Drei-Millionen-Marke geknackt.
Mich trieb das Fernweh schon als Schüler für ein Jahr in die USA und nach dem Abitur nach Lesotho ins südliche Afrika, doch kehrte ich immer wieder nach Ostfriesland zurück. Nur dort für immer zu leben, das kann ich mir nicht vorstellen. Zumindest jetzt nicht.