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Ist Viefalt etwas für die anderen?

Von Alexander Kloß / 15. Februar 2023
picture alliance / Geisler-Fotopress | Robert Schmiegelt/Geisler-Fotopr

Junge Erwachsene wollen scheinbar alles verändern und leben doch überraschend angepasst. Das ist gar kein Widerspruch, sondern folgerichtig.

Vielfalt ist das Motto der Moderne. Nie gab es mehr von allem als heute. Mehr Waren, mehr Wünsche, mehr Weltanschauungen. Und nie zuvor konnten wir diese Vielfalt hier in Deutschland freier ausleben. Zugegeben, im Bereich Chancengleichheit und Inklusion gibt es noch viel zu tun, aber die Stoßrichtung passt.

Frei nach dem deutschen Philosophen und Mathematiker Gottfried Leibniz mag deshalb so mancher behaupten, wir lebten in der „besten aller möglichen Welten“. Dass es den Deutschen „so gut wie noch nie“ ginge, titelte auch die Welt im vergangenen Juli. Vielleicht sogar zu gut?

Beinahe paradox zu derartigen Lobgesängen scheint, dass sich dieser Überschwang an Auswahlmöglichkeiten kaum bei jungen Erwachsenen niederschlägt. Nach Studium oder Ausbildung einen (gut bezahlten) Job finden, mit Partner oder Partnerin sesshaft werden, irgendwann Familie gründen – kennen wir alles schon. Einige „Abweichler“ gibt es und gab es immer, aber insgesamt unterscheiden sich die individuellen Pläne, trotz großer Ambitionen, die Welt zu verändern, nicht wesentlich von denen voriger Generationen mit vergleichsweise weit weniger Gestaltungsoptionen. Ungewöhnlich ist diese Gleichförmigkeit der Lebensweisen trotzdem nicht.

Die „wilden 68er“ und die zahmen Millennials

Da ist die oft beschworene Wirtschaftslage. Seit den 1950er-Jahren gab es ein kontinuierliches Anwachsen von gesamtgesellschaftlichem Wohlstand in Deutschland. Ebenfalls wuchs jedoch die Ungleichheit. Wer schon Wohlstand besaß, konnte diesen mehren. Währenddessen wurde für sozial schwächere Schichten der wirtschaftliche Aufstieg schwerer und ihre Lage immer prekärer. Löhne stiegen zwar, aber die Inflation umso mehr. Wer Parallelen zu heute findet, liegt durchaus richtig.

Tatsächlich sieht es derzeit so aus, als könnten die Millennials (oder auch: Digital Natives) die erste Nachkriegsgeneration werden, die kollektiv weniger Wohlstand genießen wird als ihre Vorgänger – und für ihre Nachfolger “Generation Z“ sieht es nicht rosiger aus. Umfragen bestätigen die Wahrnehmung dieser Prognose. 2021 befragte das US-amerikanische Pew Research Center Menschen weltweit, ob sie glaubten, dass die Kinder von heute finanziell bessergestellt sein würden als ihre Eltern. Die Hälfte der Befragten in Deutschland war vom Gegenteil überzeugt. In Frankreich und Spanien lag die Quote sogar bei 77 Prozent.

In diesem begründeten Pessimismus lassen sich zwei Hauptursachen für altbekannte, vielfach angepasste Lebensentwürfe finden: Zum einen ist da der Drang nach Stabilität in einer immer fragileren, komplexeren Welt. Nicht nur wirtschaftlich sieht es für viele karg aus, sondern auch in nahezu allen anderen Bereichen.

Corona und die rasante gesellschaftliche Polarisierung schaden dem sozialen Zusammenhalt noch heute. Entzweite Freundes- und Familienkreise sind dafür nur ein Beispiel. In Europa wütet seit fast einem Jahr der Krieg in der Ukraine und auf der ganzen Welt ist die Klimakrise unübersehbar. Glücklich kann sich wähnen, wer bei all dem zumindest bei sich selbst haushalten kann. Der ehrgeizige Wunsch nach Selbstverwirklichung im Berufsleben weicht bei vielen dann schnell der Furcht, ohne ein verlässliches Einkommen privatwirtschaftlich in eine Katastrophe zu schlittern.

Aus diesem Sorgengeflecht sprießt der zweite, ausgesprochen wohlmeinende Grund für eingeschränkte Lebensträume: Die Rücksicht auf die, die nach uns kommen. Nur weil die meisten Leute heute nicht mehr daran glauben, dass es kommenden Generationen besser gehen wird, heißt das nicht, dass sie nicht dennoch dafür kämpfen. Ob man sich ein Jetset-Leben samt aller Extravaganzen leisten kann, interessiert nur noch nachrangig. Die eigentliche Frage lautet, ob man es denn überhaupt will.

Abstrampler und Aussteiger

Vielfalt ist andererseits wichtiger als je zuvor. Mehr als 35.000 Menschen aus 35 Ländern befragte die Berliner Personalvermittlung Randstad dazu. Fast die Hälfte der Befragten zwischen 18 und 34 Jahren lehnen die Arbeit in einem Unternehmen ab, das Vielfalt und Gleichberechtigung nicht fördert.

Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, ihren Job kündigen zu wollen, wenn dieser ihr Wohlbefinden beinträchtige. Mehr als 40 Prozent der 18- bis 34-Jährigen will dies bereits sogar getan haben und etwa ein ebenso großer Anteil wäre lieber arbeitslos als unglücklich im Job. Die Zustimmungswerte in dieser Altersspanne liegen dabei deutlich höher als bei älteren Befragten.

Schnell zeigt sich also, dass die junge Generation von heute sehr wohl nicht nur klassische Wege gehen will. Allerdings anders, als man es vielleicht erwarten würde. Dieses Ausleben eigener Lebensentwürfe fächert sich dabei in zwei fast gegensätzliche Richtungen auf: Zum einen gibt es diejenigen, die etwa in ihrem Beruf mehr denn je eben jene Sicherheit und Langlebigkeit suchen, die auch von früheren Generationen grundsätzlich angestrebt, aber nicht derart allumfassend verfolgt wurde. Arbeitgeber heute sollen nicht einfach nur Jobs bieten, sondern auch den eigenen persönlichen Werten entsprechen.

Die andere Gruppe ist jene, die nicht mehr bereit scheint, im Hamsterrad selbst einer modernen Arbeits- und Lebenswelt vergnügt in die Pedale zu treten. Stattdessen wird „dem System“ der Rücken gekehrt und sich vielfältig organisiert, mobilisiert und vernetzt. Anstatt sich mit vorgezeichneten Bahnen zu begnügen, sollen neue, radikalere Ansätze ausprobiert werden, tönt es allerorten. Wie viel unangepasster und dabei auch erfolgreicher sie sind, wird sich aber noch zeigen müssen.

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