Kommunikativer Zusammenbruch
Wie stellen wir sicher, dass unsere Kommunikation gelingt? Liegt uns Menschen allen das Kommunizieren natürlicherweise im Blut?
Im Jahre 1928 veröffentlichte Erich Kästner ein Gedicht mit dem Titel “Sachliche Romanze”. In diesem geht es um zwei Protagonisten, deren Liebe nach acht Jahren plötzlich abhanden kam. Kästners Gedicht ist auch stilistisch der Literaturrichtung Neue Sachlichkeit zuzuordnen. Darstellerisch geht es betont nüchtern zu. Besonders eindringlich liest sich die letzte Strophe:
Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Was Kästner hier so unverblümt beschreibt, spiegelt auch fast 100 Jahre später eine unveränderte, stillschweigende Furcht vieler von uns wider: die Angst, dass man sich eines Tages nichts mehr zu sagen haben, dass alles von jedem schon gesagt sein könnte.
In einem Led Zeppelin-Song ist es genau anders herum: Aus Übereifer fehlen seinem lyrischen Ich auf einmal die Worte – Zusammenbruch der Kommunikation. Entsprechend treffend lautet der Titel dann auch “Communication Breakdown”. Ein letztes Beispiel: In Ingmar Bergmans Filmmeisterwerk “Persona“ weigert sich die Bühnenschauspielerin Elisabet urplötzlich, auch nur ein weiteres Wort zu sprechen und verstummt völlig.
Was alle diese drei Fälle gemeinsam haben, ist die Unfähigkeit, klar mit dem eigenen Gegenüber oder der Außenwelt zu kommunizieren, mit ihm in Verbindung zu treten, sei es durch Ratlosigkeit, Aufgeregtheit oder Willenlosigkeit. Das Ergebnis ist stets das gleiche: „Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen”. Doch welche Ursache haben solche Kommunikationsleerstellen und lassen sie sich überhaupt vermeiden?
Philosophie und Sprache
Das eben benutzte Zitat stammt von Ludwig Wittgenstein, einem österreichischen Philosophen, der zusammen mit seinem Doktorvater, Bertrand Russell , als einer der prägendsten Denker auf dem Gebiet der Sprachphilosophie gilt. Wittgenstein sah sich vor eine äußerst kühne Aufgabe gestellt: Er wollte die Logik der Sprache ein für alle Mal ergründen. Wittgenstein tritt dieser Herkulesaufgabe ohne große Ehrfurcht entgegen und erläutert so z. B. in einem Vorwort, dass er keine Quellen angeben werde, „weil es [ihm] gleichgültig ist, ob das was [er] gedacht [hat], vor [ihm] schon ein anderer gedacht hat”.
Wittgenstein ist auf der Suche nach einer idealen Sprache, in der jedes Wort genau eine klare Definition hat. Ohne dieses Sprachsystem könnten wir nie richtig kommunizieren, sondern seien dazu verdammt, ewig im Dunkeln der Missverständlichkeit zu tappen. Die Kommunikation, so Wittgenstein, brach also schon zusammen, bevor sie überhaupt je richtig aufgebaut wurde.
Aber selbst Wittgenstein gab sich nicht völlig der Trübsal dieser kühnen These hin; er postulierte in seiner “Logisch-Philosophischen Abhandlung“ von 1921: „Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen”. Und so setzte er seine Suche nach den philosophischen Grundbausteinen der Sprache bis zu seinem Tode im Jahr 1951 fort. Zwei Jahre später wurden seine “Philosophischen Untersuchungen“ posthum veröffentlicht, in welchen er seine ursprünglichen Hoffnungen fast gänzlich über den Haufen warf. Er entschied, dass Sprache zu vielseitig genutzt werde, um sie auf nur einen gemeinsamen Nenner herunterbrechen zu können.
Wenn es unserer Kommunikation also an einer nicht hintergehbaren Klarheit mangelt, dann sollten wir wenigstens versuchen, diese Uneindeutigkeiten mit den uns zur Verfügung stehenden begrenzten Mitteln bestmöglich zu vermeiden. Doch dafür müssen wir sie erst einmal verstehen.
Der Wolfsjunge und der Hirte
Einige der berühmtesten Fälle in der Sprachforschung bilden Untersuchungen, die mit sogenannten Wolfskindern, also von der Menschenwelt abgeschotteten Findelkindern, angestellt wurden. Der bekannteste Fall ist sicherlich der des Kaspar Hauser, welcher jedoch später als mögliche Täuschung diskreditiert wurde. Anders hingegen war es bei dem Russen Iwan Mischukow, der im Alter von vier Jahren von zu Hause ausriss und danach zwei Jahre lang mit Hunden zusammenlebte, bis er von den Behörden eingefangen wurde. Trotz längerer Isolation erlernte er die Sprache schnell wieder, da er ja bereits ihrer mächtig gewesen war.
Doch selbst in Fällen kompletter Sprachisolation ist der nachträgliche Spracherwerb nicht ausgeschlossen: Isabelle aus Ohio lebte in den 1930ern die ersten sechs Jahre allein mit ihrer taubstummen Mutter in einem abgedunkelten Raum, in dem sie ihr Großvater hielt, aber konnte bis zum achten Lebensjahr für ihr Alter normale kognitive Fähigkeiten erlangen. Ähnlich erging es im Fall der tschechischen Kulochová-Zwillinge, die bei ihrer Entdeckung weder sprechen noch die Bedeutung von Bildern verstehen konnten, aber heute als sogar überdurchschnittlich intelligent eingestufte Erwachsene ein normales Leben führen.
Diese erstaunlichen Aufholfähigkeiten des menschlichen Gehirns, vor allem beim Spracherwerb, erregten in der sprachwissenschaftlichen Gemeinde viel Aufsehen. Der US-amerikanische Linguist Noam Chomsky entwickelte so z. B. seine Theorie der Universalgrammatik, welche besagt, dass allen Menschen ein Sprachsinn mit einheitlichen grammatikalischen Grundprinzipien gemein ist. Wichtig ist dabei auch, dass Sprache in der Linguistik nie bloß das gesprochene Wort, sondern jede Form menschlicher Kommunikation bezeichnet. Wittgenstein traf also eventuell doch den Nagel auf den Kopf, als er Denken mit Logik und Sprache gleichsetzte.
Den Vorhang zu und alle Fragen offen
Wodurch entsteht kommunikativer Zusammenbruch also? Laut dem jungen Wittgenstein entspringt er der Mehrdeutigkeit unserer Sprache. Und dieser können wir nicht entkommen, da selbst nonverbale Kommunikationsmethoden, wie die Zeichensprache, oft die gleiche Geste für verschiedene Bedeutungen nutzt, ganz abgesehen von dem Umstand, dass in vielen Ländern eine je eigene Form der Zeichensprache existiert. Wir können also womöglich nie vollständig eindeutig miteinander sprechen, aber laut Chomsky nichtsdestotrotz miteinander kommunizieren und das teilweise sogar erstaunlich gut. Wie so oft ist auch hier vielleicht der Weg das Ziel, und bis wir dieses erreichen, gilt gemäß Chomsky: „Keep talking!“