Koreas Wiedervereinigung – schwieriger und schmerzhafter
Die deutsch-deutsche Einheit hat als friedliche Revolution weltweit Vorbildfunktion. Für das geteilte Korea nutzt sie jedoch nicht als Vorlage zur Wiedervereinigung. Ein Bericht von Katharin Tai. Wird heute über Wiedervereinigungen gesprochen, denkt kaum einer an Süd- und Nordvietnam oder die unvollendete Reintegration Hongkongs in die Volksrepublik China. Dagegen sind die deutsch-deutsche Einheit und der Mauerfall […]
Die deutsch-deutsche Einheit hat als friedliche Revolution weltweit Vorbildfunktion. Für das geteilte Korea nutzt sie jedoch nicht als Vorlage zur Wiedervereinigung. Ein Bericht von Katharin Tai.
Wird heute über Wiedervereinigungen gesprochen, denkt kaum einer an Süd- und Nordvietnam oder die unvollendete Reintegration Hongkongs in die Volksrepublik China. Dagegen sind die deutsch-deutsche Einheit und der Mauerfall 1989 zum Inbegriff der Wiedervereinigung geworden.
Ein Land, das immer wieder nach Deutschland schaut, ist Südkorea. Seit der Trennung des Landes 1953 nach einem blutigen Bürgerkrieg wird offiziell die Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas angestrebt. Könnte das Modell „Deutsche Wiedervereinigung“ auf Korea angewandt werden?
Besonders Politiker betonen oft die Vorbildfunktion, die Deutschland für die Koreanische Halbinsel haben könnte. Manche sprechen sogar von einer „Dresden-Doktrin” der südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye.
Auf den ersten Blick ähneln sich Deutschland in den späten 1980er Jahren und Korea im Jahr 2014. Beide Länder wurden entlang der Fronten des Kalten Krieges kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt. Auf der einen Seite stehen Südkorea und Westdeutschland, beide mit einer freien Marktwirtschaft sowie in westliche Verteidigungsbündnisse wie die NATO integriert und eng mit den USA verbündet.
Auf der anderen Seite sind die DDR und Nordkorea, die das Label des Sozialismus tragen und mit Russland beziehungsweise China nicht nur verbündet, sondern auch auf sie angewiesen sind.
Ein tieferer Graben in den Köpfen
Der Vergleich mit der deutschen Einheit macht vielen Menschen in Korea jedoch Angst. „Die meisten Leute wissen wenig über die deutsche Wiedervereinigung”, meint die 21-jährige Koreanerin Bora Yeon, die in Peking Chinesisch studiert. „Es gab den Mauerfall, danach hat es viel Geld gekostet und jetzt ist es besser – das war’s.” Bora selbst ist für eine Wiedervereinigung, weiß allerdings, dass viele Koreaner mittlerweile dagegen sind, besonders die jüngeren.
Umfragen zufolge halten nur noch 40 Prozent der Koreaner im Alter um die 20 die Wiedervereinigung für eine gute Idee. Unter den Teenagern sind es sogar nur 20 Prozent. „Es ist nicht so, dass die jungen Leute auf keinen Fall eine Wiedervereinigung wollen“, meint Bora. „Sie wollen nur nicht, dass die finanzielle Bürde einer Wiedervereinigung ausgerechnet auf ihre Schultern fällt.“
Im Gegensatz zu Deutschland wurde Korea nach einem heftigen Bürgerkrieg geteilt, der auf beiden Seiten viele Opfer forderte. Beendet wurde der Krieg nie, es gibt nur einen Waffenstillstand von 1953, der zum Dauerzustand geworden ist. „Die Feindseligkeit zwischen den beiden Koreas wurde vom Moment der Teilung an durch eine Politik der gegenseitigen Anfeindungen vertieft”, schreiben die Politikwissenschaftler Sangmin Bae und Martyn de Bruyn in einer Arbeit.
Dass Korea nicht wie Deutschland von fremden Nationen geteilt wurde, sondern Koreaner gegeneinander kämpften, hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Die älteren Koreaner haben miterlebt, wie Nordkoreaner Südkoreaner umgebracht haben, aber auch, wie die beiden Koreas noch ein Land waren – sie haben wesentlich stärkere Meinungen zu diesem Thema als meine Generation”, sagt Sungwan Won, Masterstudent in Seoul.
Auf der Suche nach Identität
Während es in Deutschland noch getrennte Familien auf beiden Seiten der Mauer und Kontakt zwischen Ost und West gab, ist Nordkorea fast vollkommen vom Rest der Welt und damit auch von Südkorea abgeschottet.
Es ist unwahrscheinlich, dass Nordkoreaner zwischen Hungersnöten und Naturkatastrophen die Möglichkeit haben, sich eine Vorstellung vom Leben in Südkorea zu machen wie Bewohner der DDR es mit Westdeutschland konnten.
„Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, was es bedeutet, Koreaner zu sein“, meint die Südkoreanerin Grace Park, die im Rahmen eines Austausches in Hongkong Völkerrecht studiert. „Wir studieren die großen Königreiche, unsere Geschichte und unsere Traditionen – dabei schwingt immer eine gewisse Nostalgie mit. Aber wir vergessen dabei, dass das alles in einem Korea passiert ist, zu dem auch Nordkorea gehörte.”
Die wirtschaftliche Lücke wächst
Süd- und Nordkorea sind sich nicht nur in den Köpfen der Menschen fremder als Ost- und Westdeutsche Ende der 1980er Jahre. Auch wirtschaftlich klafft eine weit größere Lücke zwischen den beiden Ländern. Während die ostdeutsche Wirtschaftsleistung bei der Wiedervereinigung etwa einem Viertel der westdeutschen entsprach, liegt die nordkoreanische Wirtschaftsleistung bei nur fünf Prozent der südkoreanischen.
Eine koreanische Wiedervereinigung würde wahrscheinlich bedeuten, dass Südkorea Nordkorea aufnimmt, ähnlich wie 1989 die DDR Teil der Bundesrepublik Deutschland wurde. Aber die Differenzen in der Entwicklung, die dabei aufgefangen werden müssten, sind deutlich größer als damals in Deutschland.
„Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Ost- und Westdeutschen betrug vielleicht ein oder zwei Jahre”, sagt der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Nicholas Eberstadt. „Die Bildungslücke war auch weniger dramatisch als erwartet. In Nordkorea aber sterben Menschen vor Hunger und viele Kinder erhalten sogar eine noch schlechtere Schulbildung als ihre Eltern.”
Während die Wirtschaft der DDR „nur“ schwach war, kämpfen internationale Hilfsorganisationen in Nordkorea darum, dass Menschen genügend Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln und Reis erhalten.
„Die Problemlage ist oft strukturell bedingt”, erklärt Gerhard Uhrmacher von der Welthungerhilfe, die seit 1997 in Nordkorea tätig ist. „Sie ist im gesamten Land so groß, dass man nirgendwo sagen könnte, dass die Lage zufriedenstellend ist.”
Betrieben und Verwaltungen mangele es beispielsweise an Düngemittel, Kompost, Maschinen, Bewässerungsgeräten, gutem Saatgut, Lagermöglichkeiten und Strom. „Viele Betriebe haben gut ausgebildetes Fachpersonal”, sagt Uhrmacher. „Aber was sollen sie machen, wenn alles von Mangel geprägt ist?”
Aus den Fehlern Deutschlands lernen
Uhrmacher ist überzeugt, dass man mit Investitionen und einer Lockerung der zentralen Steuerung innerhalb weniger Jahre eine hochproduktive Landwirtschaft in Nordkorea aufbauen könnte. Doch was würde das kosten?
Etwa zehn Milliarden Euro habe die Bundesrepublik in die ehemalige DDR investieren müssen, rechnen besonders konservative Politiker in Südkorea gerne vor, und noch immer leide der Osten Deutschlands unter höheren Arbeitslosenquoten und sei wirtschaftlich nicht so weit entwickelt wie der Westen. In Korea würden die Kosten vermutlich deutlich höher ausfallen.
Ökonom Eberstadt meint, dass Südkorea Kosten senken könnte, indem es von Deutschland lernt. „Ein Großteil des Geldes in Deutschland ist in Sozialhilfe wie Arbeitslosengeld geflossen, nachdem Kanzler Kohl Ostdeutsche durch hohe Löhne von einer Migration in den Westen abhalten wollte und so indirekt für große Entlassungswellen gesorgt hat”, erklärt Eberstadt.
Wenn Südkorea Migration aus dem Norden akzeptieren würde, so Eberstadt, könnte das Land viele Ausgaben vermeiden. Für die Investitionen in den Wiederaufbau Nordkoreas könnte Südkorea dann Gelder aus der ganzen Welt erwarten. „Wenn die zu erwartenden Gewinne stimmen, werden auch die Investoren kommen. Das Potential des Landes ist enorm.”
Dennoch warnt Eberstadt: „Nord- und Südkorea können nicht auf angenehme Art und Weise wiedervereinigt werden. Es wird schwieriger und schmerzhafter werden als in Deutschland.”
Stufenweise Wiedervereinigung?
Wissenschaftler sind sich einig, dass eine stufenweise Wiedervereinigung für beide Länder am besten wäre. Auch die Studenten Bora, Won und Grace sind überzeugt, dass Nord- und Südkoreaner sich langsam kennenlernen und aneinander gewöhnen müssen.
Doch für eine stufenweise Wiedervereinigung bräuchte es eine Annäherung beider Seiten, wie die Bundesrepublik sie durch die Ostpolitik erreichen wollte – der politische Wille dazu hält sich in Südkorea jedoch in Grenzen.
Die Wahl eines konservativen Präsidenten in Südkorea 2008 bedeutete das Ende der sogenannten Sonnenscheinpolitik des ehemaligen Präsidenten Kim Dae-jung. Mit dieser Politik, für die er den Friedensnobelpreis erhielt, sollte die Teilung der Koreanischen Halbinsel friedlich gelöst werden.
Seitdem haben die Spannungen zwischen den beiden Ländern deutlich zugenommen. Wahrscheinlich ist, dass eine Wiedervereinigung erst möglich wird, wenn das nordkoreanische Regime zusammenbricht wie das der DDR 1989. Aber wie gut vorbereitet wäre Südkorea? Wären Wirtschaft, Politik und Gesellschaft stabil genug, um die Integration eines ganzen Landes zu verkraften?
Ein „Modell Deutschland”, das die Koreaner kopieren könnten, gibt es nicht. Im Falle einer Wiedervereinigung wird die wirtschaftliche Herausforderung ungleich größer sein. Auch auf internationaler Ebene werden die Koreas es schwieriger haben, denn anders als die geschwächte Sowjetunion von 1989 wird die Volksrepublik China ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Und auch eine Aufhebung der Teilung beantwortet die Frage nach der koreanischen Identität nicht.