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Kreativ dank Isolation?

Von Nadine Tannreuther / 18. Februar 2021
picture alliance / Westend61 | David Agüero Muñoz

Die Corona-Pandemie brachte neben gesundheitlichen Risiken und sozialen Einschränkungen einen Zwang zur Abschottung mit sich. Viele sind so viel Alleinsein nicht gewohnt. Eine Malerin in Frankfurt am Main dagegen profitiert von dem ungekannten Rückzug.

Kunstschaffende – das sind Menschen, die oft durch einen extravaganten Kleidungsstil auffallen, eher unkonventionell daherkommen und dabei die kreativsten Werke zustande bringen. Aufmerksamkeit? Gerne! So will es das Klischee. Wie aber kommen diese Menschen auf ihre Ideen?

In der Mainmetropole Frankfurt zieht sich so oft wie möglich eine Frau in ihr kleines Atelier zurück, um neben ihrem Brotjob in einer Agentur ungestört kreativ sein zu können. Ihre künstlerische Seite lebt sie eher privat aus und will darum unerkannt bleiben. Also nennen wir sie Frau Schmidt.

sagwas: Frau Schmidt, Sie sind Anfang 50 und schon lange künstlerisch aktiv, leisten sich sogar ein eigenes Atelier, versteckt in einem Hinterhof. Sie malen von klein auf, beschäftigen sich insbesondere mit Naturmaterialien, die Sie mit Acrylfarbe haptisch auf Leinwänden verbinden. Wir haben Samstagnachmittag, aber Ihre Hände tragen gar keine Farbspuren. Ist das für eine Malerin wie Sie nicht ungewöhnlich?

Frau Schmidt: (lacht) Seit ungefähr meinem dritten Lebensjahr waren meine Hände immer bunt, doch seit ein paar Monaten zeichne ich viel. Es gibt zwei frühkindliche Ereignisse, an die ich mich ganz genau erinnere. Bei meinem ersten „Werk“ handelt es sich um die Ausbeute in der Küche meiner Eltern. Dabei habe ich einen Bierdeckel mit einem schwarzen Edding angemalt und anschließend mit dem rosa Lippenstift meiner Mutter und einem roten Haushaltsgummi abstrakt verziert. Bei meinem ersten „richtigen“ Bild aber handelt es sich um einen flachen Stein aus dem Garten meiner Großeltern. Kurz zuvor hatte man mich mit Wasserfarben auf Papier malen lassen, doch den Stein als Untergrund zu nehmen, fand ich viel interessanter. So entstand ein Abbild der Blumenwiese im Garten. Einen Tag später fand ich mich in einem Fachgeschäft für Künstlerbedarf wieder, denn mein Großvater erkannte das Potenzial und deckte mich großzügig mit allen möglichen Farben, Utensilien und Materialien ein. Seitdem war klar: Hände sind das wichtigste Werkzeug meiner künstlerischen Tätigkeit, sie halten auch mal als „Pinsel“ her und sind seit jeher mal mehr oder weniger bunt.

Wie kann man sich Ihre Werke heute vorstellen? Lebendige Kunst verlangt ja ständig neue Inspiration.

Natürlich haben sich meine Werke in den Jahren verändert, man entwickelt sich ja auch persönlich weiter. Begonnen habe ich zunächst mit Malerei, genauer mit Aquarellmalerei. In der Grundschulzeit haben wir Gegenstände und Landschaften nachgemalt. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass mich das nicht befriedigt. Die festgeschriebenen Zeiten, wann man kreativ sein durfte und wann nicht, haben mich irgendwie irritiert ebenso wie die Blicke der anderen im Kurs. Das flache Papier kam mir zudem „ungenügend“ vor. Am liebsten wäre ich einfach in die Farbe gesprungen. (lacht) Als ich mich dann später getraut habe, dieses Bedürfnis auszuleben, nämlich mit den Händen zu malen, signalisierten meine Mitmenschen Unverständnis, denn ich agierte nicht „normal“. Dies hat mich traurig gestimmt und dazu verleitet, in den Jahrzehnten danach andere Wege zu gehen. Ich hatte beschlossen, der Kunst alleine nach meinen Maßstäben nachzugehen und verschiedene Techniken wie Ölmalerei oder Airbrush ausprobiert. Bis ich bei Acrylfarben „hängengeblieben“ bin. Damit lassen sich richtige Strukturen, Höhen und Tiefen erzeugen. Und nun habe ich mich für das Zeichnen entschieden.

Als ich die Anfrage für dieses Interview gestellt habe, da haben Sie mir um halb fünf Uhr morgens via Whatsapp zugesagt. Ist das eine besonders kreative Zeit für Sie?

Da haben Sie ganz Recht! Am liebsten arbeite ich, wenn es dunkel ist. Dann klingelt kein Handy, keine Tür bewegt sich, dann kommt kaum eine Email. Ich kann mich also ganz auf den kreativen Schaffensprozess konzentrieren, ohne gestört zu werden. Wenn ich eine gute Idee habe, setze ich diese direkt um, bis sie fertig ist. Und wenn es mal etwas länger dauert, dann komme ich eben erst früh morgens ins Bett oder es wird vielleicht auch schon mal wieder hell…

Heißt das, dass Sie sich gern isolieren?

(lacht) Wenn Sie damit meinen, dass ich mich aus der Umgebung bewusst zurückziehe, mich absondere und vereinzelt arbeite, um mich von äußeren Einflüssen zu schützen, dann ja! Ja, ganz bewusst isoliere ich mich von der Außenwelt, zumindest teil- oder stundenweise. Ich bin keine bekannte Künstlerin. Für mich ist Kunst Hobby und ein Ausgleich, der mir im stressigen Agenturleben gut tut. Freunde und Bekannte lieben meine Bilder, das freut mich. Als bekannte Künstlerin im Rampenlicht zu stehen, das wäre nichts für mich. Ich bin und werde immer zuerst für mich selbst künstlerisch aktiv sein, denn dies erfüllt mich mit innerer Ruhe und Gelassenheit.

Gilt diese Sichtweise auch für die momentan auferlegte Abschottung? Oder, anders gefragt, hat dieser außergewöhnliche Zustand trotzdem positive Auswirkungen auf Ihre Kunst?

Das Besinnen auf das eigene Empfinden, auf das Wesentliche, auf die eigene Kreativität ist der Schlüssel zur eigenen Stilrichtung. Jederzeit nehmen wir jegliche Einflüsse auf, verarbeiten diese und legen sie irgendwo unbewusst in unserem Gedächtnis ab. Erst wenn wir alleine sind, beginnen diese Eindrücke mit der eigenen persönlichen Ausdruckskraft zu arbeiten. Es entstehen neue Ansätze und Perspektiven. Es beginnt ein kreativer Schaffensprozess. Erst wenn wir dieses Stadium erreicht haben, sind wir in der Lage, nicht nur zu kopieren, sondern zu reflektieren und uns kritisch mit der Umwelt auseinanderzusetzen. Dann entsteht neue Kunst, eine eigene Stilrichtung – zumindest meinem Empfinden nach. Wir sind ja alle die Konstrukteure unserer eigenen Wirklichkeit…

Also ist Ihnen der Prozess der Isolation schon immer leicht gefallen?

(überlegt) Nein. Manchmal muss ich mich sogar zwingen, diesen Schritt in die Isolation zu gehen. Beispielswiese setze ich mir bewusst eine Auszeit und „schließe“ mich ein Wochenende in mein Atelier ein, wenn ich merke, dass der Alltag und das Hamsterrad mich einholen. Diese Zeit dient dann meiner selbst, ganz egoistisch. Es ist eine Art Therapie, ein Besinnen, ein Zurückkommen, vielleicht eine Art Meditation. Die Isolation ist ein essentieller Bestandteil meiner Kunst, damit sie mich zu neuen Ansätzen und kreativen Lösungen antreibt.

Danke für das Gespräch!

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