Leben mit der Lüge
Erst hätte ich die Nachricht fast überlesen, die am 29. April um 17h38 von der Huffington Post als Breaking News auf mein Smartphone geschickt wurde. Dann dachte ich mir: Gossip, mir doch egal. Und erst beim dritten Gedanken wurde mir die Dimension der Eilmeldung klar. „NBA Player Jason Collins comes out as Gay.“ Zuhause habe […]
Erst hätte ich die Nachricht fast überlesen, die am 29. April um 17h38 von der Huffington Post als Breaking News auf mein Smartphone geschickt wurde. Dann dachte ich mir: Gossip, mir doch egal. Und erst beim dritten Gedanken wurde mir die Dimension der Eilmeldung klar. „NBA Player Jason Collins comes out as Gay.“
Zuhause habe ich dann sofort in der Huffington Post nachgelesen, deren Titel lautet:
„I’m a 34-year old NBA Center…. I am black. And I am Gay“
In einem sehr persönlichen Text in der Zeitschrift Sports Illustrated bekennt sich der Basketballprofi Jason Collins zu seiner Sexualität. Collins ist der erste männliche Spitzensportler weltweit, der offen sagt, dass er schwul ist.
Wie enorm der Druck gerade für männliche Spitzensportler ist, Jahre, manchmal jarzehntelang mit der Lüge zu leben, schildert Collins eindrucksvoll:
„No one wants to live in fear. I’ve always been scared of saying the wrong thing. I don’t sleep well. I never have. But each time I tell another person, I feel stronger and sleep a little more soundly. It takes an enormous amount of energy to guard such a big secret. I’ve endured years of misery and gone to enormous lengths to live a lie. I was certain that my world would fall apart if anyone knew. And yet when I acknowledged my sexuality I felt whole for the first time.“
Und weiter schreibt er:
„I didn’t set out to be the first openly gay athlete playing in a major American team sport. But since I am, I’m happy to start the conversation.“
Glücklich darüber, die Debatte anzustoßen. Ich hoffe inständig, dass es eine wird. Eine politische Debatte. Auch in Deutschland. Denn das Wissen um schwule Fußballprofis, die aus Angst schweigen auf der einen Seite und das Verhalten des Deutschen Fußball Bundes (DFB) auf der anderen Seite sind beschämend. Im Strafrecht würde man von unterlassener Hilfeleistung sprechen.
Als Dortmunds Torhüter Roman Weidenfeller aus Frust, nicht in die Nationalelf berufen worden zu sein, herausposaunte, Bundestrainer Löw berufe wohl nur hübsche und zierliche Jungs in die DFB-Elf, gab es nicht nur keine saftige Geldstrafe. Es gab gar keine Reaktion.
Stattdessen wurden sowohl Bundestrainer Joachim Löw als auch sein Kapitän Philipp Lahm mehr oder minder gezwungen, in Interviews zu beteuern, dass sie NICHT schwul und mit echten Ehefrauen verheiratet wären.
Als ein deutscher Fußballprofi im Jugendmagazin Fluter erstmals anonym über den Druck, die Angst und die Homophobie im deutschen Fußball sprach, gab es wieder keine Reaktion.
Als Ex-Fußballreporter Rolf Töpperwien vor kurzem bei Markus Lanz kundtat:
„Ich kenne Nationalspieler, die mit Frauen zusammengebracht wurden, bis hin zur Ehe, obwohl sie schwul sind“, berichtete zwar das Boulevard ausführlich, die Debatte in DFB und Gesellschaft blieb aus.
Totschweigen statt Toleranz leben.
Dabei wäre es höchste Zeit. Für einen ‚Aufstand der Anständigen’ im Deutschen Fußball Bund, in der schwarz-gelben Bundesregierung und in den Sportredaktionen deutscher Medienhäuser. Denn es geht nicht um Schwulenrechte, es geht um Menschenrecht.
Und wie sehr das im deutschen Spitzensport, dessen Vorbildfunktion für die Jugend doch immer und gern betont wird, mit Füßen getreten wird, zeigt das bereits zitierte anonyme Interview mit dem schwulen Bundesliga-Profi im Fluter deutlich.
„Du kommst gerade aus einem Interview für einen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Was wäre, wenn dort deine Homosexualität zur Sprache käme?
Ich würde leugnen, ganz klar. Versuchen, das Thema komplett aus der Öffentlichkeit zu halten. Je mehr geredet wird, desto höher ist auch der Druck auf mich. Die große Diskussion um meine Person kann ich mir einfach nicht erlauben.
Ist der Druck nicht ohnehin schon immens?
Natürlich. Der Preis für meinen gelebten Traum von der Bundesliga ist hoch. Ich muss täglich den Schauspieler geben und mich selbst verleugnen. Am Anfang war es ein großes Spiel und kein Problem, doch mit der Zeit zehrt es sehr an mir. Ich weiß nicht, ob ich den ständigen Druck zwischen dem heterosexuellen Vorzeigespieler und der möglichen Entdeckung noch bis zum Ende meiner Karriere aushalten kann.
Aber was wäre so schlimm daran, wenn es rauskommt? Es schaltet auch niemand ab, wenn im Showgeschäft Hape Kerkeling eine Sendung moderiert.
Ich denke, Fußball und die Medien sind komplett verschieden. Auch wenn ich es natürlich dumm finde, passt das Klischee des „Standard-Schwulen“ irgendwie in die bunte Welt des Fernsehens. Fußballer dagegen sind das männliche Stereotyp schlechthin. Sie müssen Sport lieben, aggressiv kämpfen und gleichzeitig das große Vorbild sein. Schwule sind das alles einfach nicht. Punkt. Oder soll jemand eine aufgebrachte Menge von Fans vor dem Spiel aufklären, dass „die Schwulen“ eigentlich auch nur ganz normale Männer sind und gleich mitspielen? Unvorstellbar. In der Situation im Stadion oder nach dem Spiel wird jeder kleine Anlass in der Gruppe zu einer ganz großen Angelegenheit. Ich wäre nicht mehr sicher, wenn meine Sexualität an die Öffentlichkeit käme.“
Für die Sicherheit der Bundesbürger ist eigentlich der Bundesinnenminister zuständig. Aber der käme, trotz einem schwulen Kollegen im Außenamt, nie auf die Idee, sich für den Schutz schwuler deutscher Fußballprofis stark zu machen. Die Kanzlerin, die sich so gern im Glanz der DFB-Jungs sonnt, schon gar nicht. Obwohl sie quasi alle heiligen Kühe der Christdemokratie geschlachtet hat. Abschaffung der Wehrpflicht? Klar. Raus aus der Atomkraft? Na gut. Mindestlohn? Auch das. Homo-Ehe? O Gott, igitt, also wirklich ….
Es wird nicht einfach. Der ZEIT-Autor Steffen Dobbert hat zu Recht argumentiert:
„Der Kampf gegen Homophobie ist ähnlich wie jener gegen Antisemitismus und Rassismus oft einer gegen Windmühlen. Im Fußball gilt das mehr als in anderen Gesellschaftsteilen. Bestrafte der DFB jede homophobe Äußerung von Spielern, Trainern, Funktionären und Fans, müsste an jedem Wochenende wohl mindestens jedes zweite Fußballspiel unterbrochen werden.“
Aber es ist höchste Zeit. Und ein unerträglicher Zustand, dass die gesamte Republik Männern zujubelt, wenn sie im Trikot auflaufen, die sie gleichzeitig dazu zwingt, mit der Lüge zu leben.
Wir haben in Berlin einen schwulen Bürgermeister, einen schwulen SPD-Landeschef, einen schwulen Außenminister und offen lesbische Fußballnationalspielerinnen. Was wäre, wenn wir auch offen schwule Bundesligatrainer oder -spieler haben könnten?
Es wäre die wahre Einlösung des DFB-eigenen Werbespruchs: Màs integracion.
Mehr Integration.
Lasst uns Jason Collins beim Wort nehmen. Und die Debatte führen. Jetzt und hier.
Ich weiss nicht wovor ihr Männer Angst habt? Ich meine die Hauptsache ist doch, dass die Jungs Fussball spielen können! Ich spiele selbst in einer Damenmannschaft Fussball, bin hetero und habe in meiner Mannschaft einige lesbische Spielerinnen!! Warum sollte das ein Problem sein? Uns interessiert auf dem Platz nur unsere gemeinsame Liebe für den Sport, genauso wie unsere Fans!! Und das sollte auch im Profifussball und bei den Männern so sein! Die sexuelle Orientierung eines Fussballstars sollte niemanden interessieren, sondern nur welche Leistung er auf dem Platz bringt!