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Mein Fremdkörper

Von Michael Heck / 5. Februar 2020
picture-alliance / dieKLEINERT.de / Natascha Römer | Natascha Römer

Einen Bandscheibenvorfall verbinden die meisten Leute mit dem Älterwerden. Bis es einen selber erwischt. Mit nicht einmal 30 Jahren. Vom Umgang mit dem Schmerz und vom Sieg über ihn.

Beinahe zehn Jahre ist es her, dass ich in meinem damaligen Nebenjob als Barista mehrere Bandscheibenvorfälle erlitten habe. 25 Jahre jung, sportlich – ich fühlte mich in der Blüte meines Lebens. Nie hätte ich gedacht, dass sich das so schnell ändern könnte. Ein großer Irrtum.

Wie konnte es dazu kommen? Diese Frage hat mich über lange Zeit nicht mehr losgelassen. Auch weil niemand mir darauf eine genaue Antwort gab, da Bandscheibenvorfälle je nach körperlicher Konstitution unterschiedliche Gründe haben können. Ich vermute, dass ich vor allem durch den Sport, den ich intensiv und hingebungsvoll ausübte, meinem Körper nichts Gutes getan habe.

In meiner Jugend war ich aktiver Skate- und Snowboarder. Über Rampen und Stufen zu springen, ist für diese Sportarten nicht unüblich, aber für den menschlichen Körperbau auf Dauer nicht förderlich. Dummerweise sendet der junge Körper nicht gleich bei jeder falschen Bewegung Warnsignale, wie in reiferen Jahren oder nach einer Verletzung. Anders gesagt: Jede unglückliche Landung war wohl Gift für meine Bandscheibe und so haben sich die Abnutzungen unbemerkt gehäuft. Bis es zu spät war.

Aus dem Nichts

Ironischerweise geschah mein erster Bandscheibenvorfall nicht während des Skatens. Auslöser war eine ganz alltägliche Bewegung. Ich habe einen Unterteller auf den dafür vorgesehen Stapel gelegt. Dazu musste ich mich vornüberbeugen. Dabei durchfuhr mich ein enormer Schmerz, der mich kurz in die Knie zwang, aber nicht davon abhielt, weiterzuarbeiten. Ich biss einfach die Zähne zusammen.

Nach Schichtende saß ich sogar noch mit einem Feierabendbier am Rhein – konnte dann aber nicht mehr vom Boden aufstehen. Mein Körper hatte sich in dieser Position versteift, jede Bewegung war so schmerzhaft, dass ich am Ende in einem Krankenwagen unter Gabe starker Schmerzmittel abtransportiert werden musste. Die Sanitäter mutmaßten bereits dort, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handeln könnte, was ich keineswegs glauben wollte. Ein Bandscheibenvorfall mit 25!? Schließlich stand fest: Nicht ein, sondern drei Bandscheibenvorfälle waren mir an jenem Tag passiert.

Schmerz als täglicher Begleiter

Die wahren Probleme fingen jedoch erst an. Anfangs versuchte ich es mit konventionellen Therapiemethoden – Krankengymnastik, Massage, Fango u.ä. Es hieß, dass sich Schmerzen nach ca. 16 Wochen chronifizieren und da sich in diesem Zeitraum keine Besserung eingestellt hatte, riet man mir zu einer OP. Nach der OP kam die Reha. Doch auch danach verschwanden die Schmerzen nicht. Sie waren nicht mehr ganz so stark, aber mehr als bloß spürbar. Und das ist so geblieben.

Tatsächlich wache ich jeden Morgen mit Schmerzen auf, nehme sie über den gesamten Tag mehr oder weniger dumpf wahr und schlafe am Ende des Tages mit Schmerzen ein. Auch mein Schlaf ist nicht mehr annähernd so erholsam, wie er es einst war.

Viele Jahre war Schmerz das alles beherrschende Thema, über das ich anfing, mich zu definieren: jung, doch körperlich am Ende. Lange Zeit war es mir nicht mehr möglich, joggen zu gehen, geschweige denn Skate- oder Snowboard zu fahren. Sport war nun Pflichtprogramm und nicht mehr Spaß und Hobby. Sport ließ sich mittlerweile nur noch in Krankengymnastik übersetzen. Meine Hobbys musste ich an den Nagel hängen.

Selbstverständnis vs. Außenwahrnehmung

Ein Bandscheibenvorfall steht einem nicht auf der Stirn geschrieben. Wenn man mich anschaut, sieht man einen scheinbar gesunden jungen Menschen. Und genau der wollte ich sein. Anfangs gelang es mir deshalb kaum, mir einzugestehen, dass ich mehr auf mich achten, mich einschränken sollte. Wenn schwere Arbeiten anstanden, habe ich diese ungeachtet meines Zustands ausgeführt. Ich wollte weder krank wirken noch blöde Sprüche kassieren oder gar Mitleid erregen.

Die strikt subjektive Erfahrung von Schmerz ist eines der größten Probleme. Zwei Menschen können einen identischen Schmerzimpuls erleben und ihn dennoch völlig unterschiedlich wahrnehmen. Wie sehr etwas schmerzt, kann nur die betroffene Person selbst sagen, die Empfindung lässt sich nicht teilen. Allein, sie zu beschreiben, wird ihr oft nicht gerecht. Es gab Situationen, da man mir keinen Glauben schenken wollte und ich als Drückeberger dastand. Das machte alles noch schlimmer.

Sieg über den Schmerz

Heute weiß ich, dass chronischer Schmerz nicht unterschätzt werden sollte. Über die vergangenen zehn Jahre mit vielen Tiefs und wenigen Hochs hat mich mein neues Körperempfinden, das vielfach ein reines Schmerzempfinden war, täglich beschäftigt und beeinträchtigt. Aber ich habe gelernt, den Schmerz zu akzeptieren und ihm weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Er ist dadurch in meinem Bewusstsein immer weiter in den Hintergrund getreten.

Schmerz ist nicht allein ein physisches Phänomen, er ist auch ein psychisches, dem man mit einer klaren Haltung begegnen muss. Mein Leben hat sich zwar von einem Tag auf den anderen grundlegend verändert. Aber mein Körper gehört immer noch mir, nicht allein dem Schmerz, der in ihm wohnt.

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