Mit politischen Ansichten spielt man nicht – am rechten Rand
Jede*r Zwölfte in Deutschland teilt laut der neuen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ein rechtsextremes Weltbild. Es ist also allerhöchste Zeit, sich um unsere Demokratie zu kümmern. Denn selbstverständlich ist hier gar nichts.
Viele kennen das Gesellschaftsspiel „Die Werwölfe von Düsterwald“. Es geht um ein französisches Dorf, welches jede Nacht von einem oder mehreren Werwölfen heimgesucht wird. Sie bringen Menschen um und bringen das Dorf in Aufruhr. Zwischen den Bewohner*innen wird Misstrauen gesät: Wer war’s und warum tun alle so unschuldig? Tagsüber diskutieren die Dorfbewohner*innen und gehen rigoros vor: Wenn sich alle noch Lebenden geeinigt haben, muss die verdächtige Person ebenfalls sterben – danach wird ihre Rolle offenbart. Beim Entscheidungsprozess in Sachen Tötung spielt die Wahl des Hauptmannes eine wichtige Rolle, da diese Person in einer Patt-Situation, wenn zwei Personen angeklagt sind, zwischen ihnen entscheiden kann. Ziel der Werwölfe ist es, so die Überhand im Dorf zu gewinnen und alle Bewohner*innen zu töten, bevor sie selbst entlarvt werden. So weit, so brachial. So spannend!
Wenn der Hauptmann gewählt wird, dann ist bei meinen Freund*innen und mir Wahlkampf. Oft habe ich in den Wahlreden Referenzen auf real existierende Politiker*innen erlebt. Im Gegensatz zur Realität gibt es im Spiel das eindeutig definierbare Böse: die Werwölfe. Und bei unseren Wortgefechten kommt es zu populistischen Argumentationen, weil die Lösungen schön simpel erscheinen: Alle gegen die Werwölfe!
Der Werwolf zurück in Deutschland?
Tatsächlich gab es im Nationalsozialismus eine organisierte Aktion von Nazis, die in den letzten Monaten des Krieges Hitlers Regime rächen sollte. Gezielte Attentate sollten hinter den alliierten Linien verübt werden von Akteuren, die wie Werwölfe gegen Militärs vorgehen sollten. Leidtragende waren aber vor allem Zivilist*innen.
Angesichts des Anstiegs rechter Straftaten und organisierter Rechtsextremer könnte man meinen: Es gibt sie wieder, die Werwölfe. Oder waren sie nie weg? Grundsätzlich ist ein Erstarken der Rechten zu beobachten. In den europäischen und deutschen Parlamenten erhalten rechte und rechtsextreme Parteien viel Zuwachs. Es bleibt nicht beim Rechtspopulismus, mit dessen Aussagen in der Politik oft gespielt wird und der vielen vielleicht noch harmlos erscheint. Trotz deutlicher Unterschiede zwischen Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen werden immer wieder personelle und inhaltliche Zusammenhänge aufgedeckt. Oft können rechtspopulistische Aussagen auch Einfallstore für extreme Haltungen sein.
In den Einstellungen der deutschen Bevölkerung spiegelt sich das Erstarken der Rechten wider. Wie die neue Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zeigt, teilt jede zwölfte Person in der deutschen Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild. Das sind drei mal mehr Menschen als bei den Befragungen in den letzten Jahren.
In der Studie wird dieses Weltbild über die Zustimmung zu sechs verschiedenen Dimensionen abgefragt: (1) Acht Prozent befürworten erstens eine rechtsgerichtete Diktatur – (2) sind zweitens der Überzeugung, Deutschland sei anderen Ländern überlegen – (3) verharmlosen drittens die Zeit des Nationalsozialismus – (4) sind viertens feindlich gesinnt gegenüber Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die nach Deutschland kommen – (5) stimmen fünftens antisemitischen Stereotypen zu – (6) und teilen sechstens sozialdarwinistische Ansichten. Zusätzlich nimmt die Menge an Leuten zu, die bei der Frage nach rechtsextremen Einstellungen keine Angabe macht oder mit „weiß nicht“ antwortet . Sie vermeiden eine klare Positionierung.
Nicht den Rechten in die Hände spielen
Die Studienergebnisse sind alarmierend, aber zeichnen eben nur die politischen Ereignisse der letzten Jahre nach. Allerhöchste Eisenbahn also, dass Demokrat*innen aktiv werden, denn die demokratische Öffentlichkeit wird von Rechtsextremen gezielt attackiert! Zum Beispiel durch die Strategie der Wortergreifung. Mithilfe dieser wollen Rechtsextreme ihre Positionen in Diskurse zu aktuellen Themen bringen. Dafür präsentieren sie sich gekonnt bei Veranstaltungen politischer Gegner*innen oder stören diese aktiv. Rechtsextreme Aussagen und Haltungen dringen immer mehr in die Mitte der Gesellschaft, die ihre eigenen Haltungen und ihr Verhalten kritisch überprüfen sollte.
Stören, Raum ergreifen, provozieren – allesamt rechte Strategien, um Aufmerksamkeit zu erlangen und dem Populismus den Weg zu ebnen. Ihm verfallen diejenigen, die indifferent sind gegenüber menschenverachtenden Aussagen. In der Mitte-Studie werden sie als „Graubereich“ identifiziert. Nicht eindeutig abgrenzbar, aber da.
Das Wissen darum alleine reicht aber nicht. Es muss darum gehen, sich ebenso öffentlich zu positionieren und zu zeigen, dass man mit politischen Ansichten nicht spielt und auch andere nicht damit spielen lässt. Aus Trotz und Laune rassistische Aussagen machen? Das ist falsch und darf nicht unbeantwortet bleiben, nur weil man selbst nicht davon betroffen ist. Stehenlassen, ignorieren und Augen schließen hat nicht nur politische Konsequenzen. Es ist unmenschlich! Es ist die Aufgabe von Demokrat*innen aus der politischen Mitte heraus, sich auf die Seite von Betroffenen zu stellen.
Mit Ansichten spielen? Um die eigene Perspektive zu erweitern, sich in andere Rollen und politische Positionen hineinzuversetzen – so wie beim Werwölfe-Spiel. Immer gerne! Die Demokratie ist jedoch kein Spiel. Demokratische Grundregeln kann man nicht eben mal ändern. Sie müssen ernstgenommen und eingehalten werden. Populistische Aussagen machen im Werwolf-Spiel bringt Spaß und sie haben ihre Funktion, in der Realität jedoch haben sie keine Legitimation.
HINWEIS: Wer noch mehr Details aus der aktuellen MITTE-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung erfahren will, kann diese hier finden