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„Nicht zu wissen, wo wir am Abend landen, hat uns Spaß gemacht“

Von Christina Mikalo / 3. November 2021
Foto: Salima Oudefel & Timo Götz

Salima Oudefel und Timo Götz haben etwas getan, was sich wohl nur die wenigstens trauen. Sie haben ihren Besitz aufgegeben und sind durch Südostasien gereist – mit ihrer fünf Monate alten Tochter.

Zukunftsängste? Für Salima Oudefel und Timo Götz aus dem hessischen Bad Schwalbach offenbar kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen und zu erstarren. Im Gegenteil. Wenige Monate nach der Geburt von Tochter Emilia 2016 packte die frisch gebackenen Eltern die Abenteuerlust. Sie wollten gemeinsam Zeit mit Emilia verbringen, erleben, wie sie aufwächst und ihre ersten Wörter spricht. Doch mit Götz‘ Job als Landschaftsgärtner, für den er oft tagelang unterwegs war, war das so gut wie unmöglich.

Kurzerhand fassten die beiden einen radikalen Entschluss. Sie kündigten ihre Jobs – Oudefel arbeitete als Physiotherapeutin –, verkauften fast ihren gesamten Besitz und erfüllten sich so einen langgehegten Traum: eine Fernreise durch Südostasien. Mit Baby.

Aufbruch in ein neues Leben

„Uns war bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem unsere finanziellen Rücklagen, die wir durch den Verkauf von Möbeln, unserem Auto und Kleidern angesammelt haben, aufgebraucht sein werden“, erzählen sie. „Daher hatten wir uns vorgenommen, erst einmal nur ein Jahr unterwegs zu sein.“

Doch die Reise durch Länder wie Bali, Sri Lanka und Thailand begeisterte Oudefel und Götz so sehr, dass sie ihre Auszeit am Ende auf drei Jahre verlängern konnten. Unterwegs öffneten sich viele Türen, mit denen die jungen Eltern anfangs gar nicht gerechnet hatten. „Wir haben für ein bisschen Geld Gästezimmer geputzt, bei einem Fotografen mitgeholfen und vieles mehr.“

Krank und ohne feste Unterkunft

Auf ihre Reise hatten sich Oudefel und Götz umfangreich vorbereitet. Spontane Gelegenheiten für Jobs und Unterkünfte nahmen sie unter bestimmten Voraussetzungen an. „Uns war schon klar, dass wir sehr auf Sauberkeit und Körperpflege bei unserer Tochter achten mussten und haben das auch getan“, erinnern sie sich.

Für Töchterchen Emilia haben sich die strengen Vorsichtsmaßnahmen ausgezahlt. In Sri Lanka aber erkrankte Salima Oudefel plötzlich am gefährlichen Dengue-Fieber. Zehn Tage musste sie im Krankenhaus verbringen. Währenddessen hatten Mann und Tochter keine feste Unterkunft.

Rettung kam in Gestalt einer einheimischen Familie. „Sie haben uns zu sich genommen und für uns gesorgt“, erzählt Timo Götz. Salima Oudefel brachten die Inselbewohner täglich Essen ans Krankenbett. Bis heute pflegen sie und Timo Götz eine Freundschaft mit ihren Rettern in der Not.

Nicht bloß eine nette Urlaubserfahrung: in das Leben der Einheimischen eintauchen
(Foto: Salima Oudefel & Timo Götz)

Unsicherheit genießen lernen

Ungeplante Momente haben die junge Familie oft mit Menschen und Orten in Kontakt gebracht, die sie andernfalls wahrscheinlich nicht kennengelernt hätten. So haben sie nach anfänglichen Unsicherheiten auch gelernt, ihr Leben als permanente Reise zu genießen. „Es hat uns Spaß gemacht, nicht zu wissen, wo wir am Abend landen werden.“

Was der Reise eine weitere, spezielle Richtung verlieh: dass sich jeder Tag neu gestalten ließ. Etwas, das man aus dem durchgetakteten Leben in Deutschland kaum kenne, so Timo Götz. „Dein ganzer Arbeitsablauf ist hierzulande von anderen Faktoren bestimmt, was natürlich auch für andere Länder gilt.“

Spätestens durch Anbruch des zweiten Coronajahres scheint den Deutschen die Aussicht auf noch mehr Unwägbarkeiten vergangen zu sein. In einer durch das Rheingold-Institut für tiefenpsychologische Markt- und Medienforschung durchgeführten Studie im Auftrag der Identity Foundation kam heraus: 31 Prozent der Befragten lehnen sich aktuell lieber zurück und genießen ihren Wohlstand. Ein Rückzug in die eigenen vier Wände, der laut den Urheber:innen der Studie auch damit zusammenhängt, dass viele sich vor den Folgen des Klimawandels und anderer Krisen fürchten.

Götz und seine Partnerin sind heute noch überzeugt, dass trotzdem jeder, der Reiselust verspürt, sich trauen sollte, ein vergleichbares Abenteuer einzugehen. Sie sehen es so: „Man wird merken, dass vieles nicht so schwer ist, wie es vor der Reise aussieht, und dass man an viel zu viele Dinge denkt, die später total unwichtig werden“.

Neue Begegnungen wagen

Für Salima Oudefel und Timo Götz brachte ihre Reise noch eine ganz besondere Wendung mit sich: Während sie in Asien unterwegs waren, wurde die Familie um Elina erweitert, Töchterchen Nummer zwei.

Am Ende entschieden sich Oudefel und Götz, dieses und andere außergewöhnliche Ereignisse mit anderen zu teilen. Nach seiner Rückkehr in die hessische Heimat hat das Paar mit professioneller Hilfe aus hunderten Stunden Aufnahmematerial einen Dokufilm über die dreijährige Auszeit produziert. „Auf dem Weg – Wenn Begegnungen verändern“ lief im Sommer in einigen Kinos in Deutschland an.

Obwohl der Lebensmittelpunkt nun nicht mehr in Sri Lanka liegt, hat das Reisefieber die vierköpfige Familie nicht mehr losgelassen. „Wir planen gerade schon die zweite Reise durch Asien, die wahrscheinlich Mitte 2022 losgehen wird“, verraten sie. Diesmal wollen sie allerdings touristische Orte auslassen und sich gleich auf das aus ihrer Sicht Wesentliche konzentrieren. „Es waren nicht die Tempel, an die wir uns erinnern, sondern die Momente mit den Menschen, Situationen, in denen wir mit ihnen gelacht, zusammen was erlebt, Hilfe erhalten und gegeben haben.“ Allein dafür habe es sich gelohnt, die Sicherheit der eigenen vier Wände hinter sich zu lassen.

Weitere Infos zum Film: aufdemweg-derfilm.de

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