Occupy!
Occupy Wall Street! Occupy Oakland, Occupy Madrid! Occupy Frankfurt! Längst überfällig waren diese Demonstrationen gegen die Allmacht der Finanzmärkte, die obszönen Zumutungen der Finanzkrise und das pervertierte kapitalistische System überhaupt. Recht so, denke ich. Hier beginnt die Debatte über ein System, das vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Hier erneuert der demokratische Souverän sein Recht […]
Occupy Wall Street! Occupy Oakland, Occupy Madrid! Occupy Frankfurt! Längst überfällig waren diese Demonstrationen gegen die Allmacht der Finanzmärkte, die obszönen Zumutungen der Finanzkrise und das pervertierte kapitalistische System überhaupt. Recht so, denke ich. Hier beginnt die Debatte über ein System, das vollkommen aus dem Ruder gelaufen ist. Hier erneuert der demokratische Souverän sein Recht zu bestimmen, wie wir zusammenleben wollen. Hier sammelt sich Gegenmacht, wo die institutionellen Repräsentanten der Demokratie, ja die Staaten an sich längst kapitulieren mussten. Die Meinungsindustrie reagiert verwirrt. Einerseits wird den Demonstranten vorgeworfen, ohne Agenda und Vision das Momentum der Bewegung zu verspielen. Andere sehen in dem bunten Haufen die Anfänge einer post-demokratischen Bewegung, einer neuen Form der Deliberation jenseits der verknöcherten Institutionen des Parteienstaats. Schnell werden Parallelen zu den Anfängen des arabischen Frühlings beschworen. Occupy Tahrir Square! Haben die Menschen in Tunesien und Ägypten nicht gerade eindrucksvoll gezeigt, dass gewaltlose, aber entschlossene Buerger selbst finstere Diktaturen in die Knie zwingen können. Haben die friedlichen Revolutionen in Ost-Europa nicht vorgemacht, wie man einen radikalen Systemwechsel erzwingt? Occupy Stasi, Occupy Roter Platz, Occupy Belgrad. Der Konflikt zwischen Volk und Regime wurde symbolisch – gewaltlos oder gewaltsam – ausgetragen als ein Kampf um die Kontrolle einiger zentraler Orte. Occupy Zentraler Platz. Occupy Rundfunkgebäude. Occupy Geheimdienstzentrale. Occupy Präsidentenpalast. Der Staat wurde symbolisch manifest in diesen Orten. Das Konstrukt Staat hat eine Hardware, also ist der Staat besetzbar.
Hier, genau hier enden die Analogien zwischen der Occupy Bewegung und dem farbigen Revolutionen. Und hier muss man ansetzen, wenn man über die Erfolgsaussichten der Occupy Bewegung nachdenken will.
Der Kapitalismus hat keinen Ort. Kapital ist nicht fest – Kapital ist flüssig. Es fließt ununterbrochen. Zur besten Renditemöglichkeit. Zum geringsten Risiko. Ohne das kostbare Nass kann keine Volkswirtschaft, kein Unternehmen wachsen und gedeihen. Gerät das Kapital aber außer Kontrolle ist unaufhaltsam wie eine Flut, zerstörerisch wie ein Tsunami. Der Kapitalismus hat keinen Ort. Der Kapitalismus ist flüssig. Den Kapitalismus kann man nicht besetzen.
Kapital kann man nicht besetzen – aber man kann es kanalisieren. Man kann mit einem klugen System aus Dämmen, Kanälen und Schleusen beeinflussen, wohin es fließt – und wohin es nicht fließen darf.
Ist die Occupy Bewegung also ein untaugliches Mittel? Nicht so voreilig. Das Kapital hat keinen Ort. Aber die Menschen, die es steuern, sie leben in einem Raum aus Ideen. Unsichtbaren, geruchlosen Ideen. Ideen, die bestimmen wie wir die Welt und uns selbst wahrnehmen. Das „System“ und seine Zwänge ist nicht weiter als eine Idee, an das viele Menschen glauben. Manche, weil sie davon profitieren. Viele, weil sie es für unwiderstehlich halten. Will man diesen Kaiser entzaubern, muss man ihm seine Kleider nehmen.
Darum geht es der Occupy Bewegung: um die Besetzung der Symbole des Kapitalismus. Um die Hoheit über die Ideen. Um die Neubestimmung der Grundannahmen. Um die Verschiebung der Wahrnehmung. Das ist nicht nur ein taugliches Mittel- es ist das beste Mittel.
Wenn wir bestimmen wollen, wie wir leben. Wenn wir in einer Demokratie leben wollen. Dann müssen wir die Hoheit über die Wahrnehmung gewinnen, was Richtig und was Falsch ist.
Occupy the symbols. Occupy the discourse. Occupy the minds!
Ich finde unser heutiges globales Finanzsystem so komplex und undurchsichtig, dass ich die Wut über die Machenschaften der Verteilung von Reichtum mit der occupy-Bewegung teile. Wenn vermeintlich plötzlich Staaten Pleite gehen, fragen sich die Bürgerinnen und Bürger NATÜRLICH: what the fuck, wo kommt das her? occupy ist notwendig, um der Welt zu zeigen: Wir sind mündige BügerInnen!!! Wir wollen keine Marionetten im großen globalen Kapitalismus sein!
Schön auf den Punkt gebracht: das beste Mittel. Also? Mitmachen!
Die Hoheit über die Ideen wiedergewinnen. Das klingt gut. Und Occupy wäre ein viel versprechender Anfang auf dem langen Weg der Systemveränderung, wenn, ja wenn sie Ideen hätte. Momentan ist es nur eine heterogene Maße – viele Köpfe, viele einzelne Ansätze, viel Klein-Klein. Grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden, aber solange das so bleibt, braucht der Kapitalismus und seine Profiteure keine Angst zu haben. Sie müssen noch nicht mal was unternehmen – sie können einfach abwarten bis sich alles im Dickicht der Vielzahl der Stimmen wieder verliert…