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Polizist*innen – Zwischen Deeskalation und Gewaltbereitschaft

Von Tanja Strukelj / 12. August 2020
picture alliance / Caro | Waechter

Die beruflichen Anforderungen von Streifenpolizist*innen können plötzlich von einem Extrem ins andere wechseln. Darauf vorbereitet ist niemand tatsächlich. Umso wichtiger sind Instanzen, die helfen, sich dem eigenen Fehlverhalten zu stellen.

Polizistinnen und Polizisten werden in ihrer Laufbahn immer wieder mit Krisensituationen konfrontiert: Als Teil der Exekutivgewalt ist es die Aufgabe der Polizei, Recht durchzusetzen und Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten. Wenn es zu gewalttätigen und gefährlichen Situationen kommt, ist sie es, die einschreiten und Konflikte befrieden soll. Die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten ist eine Gratwanderung: Einerseits sollen sie Ruhe ausstrahlen, während sie zwischen den Streitparteien vermitteln, um Konflikte zu deeskalieren. Andererseits müssen sie aber auch Stärke zeigen und in die Offensive gehen, wenn Ausschreitungen eskalieren.

In konflikthaften und gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Dynamiken kaum vorhersehbar sind, müssen Polizist*innen also auf dem schmalen Grat zwischen Deeskalation und Gewaltbereitschaft handeln. In derartigen Situationen können sie nicht voraussehen, ob ihr Gegenüber kooperieren oder sie angreifen will; das löst mitunter Stress aus, auf den man sich in Trainings kaum vorbereiten kann. Die Erfahrungen, die sie dabei machen, können sie überfordern und ängstigen. Weshalb sie in solchen Konflikten nicht nur die eskalierende Situation als solche in den Griff bekommen müssen, sondern auch sich selbst. Gerade in bedrohlichen Situationen steigen Angst, Überforderung und Frustration – die der Sozialpsychologie zufolge in Aggressionen umschlagen können.

Nicht durch Gewalt zur Strafinstanz

Wenn Polizist*innen die aus ihrem gesetzlichen Auftrag erwachsenden Befugnisse überschreiten, stellt sich die Frage, wie damit umzugehen ist. Einerseits ist klar, dass Angriffe, unnötige Anwendung von Gewalt (bis hin zu Gewaltexzessen) durch Polizist*innen nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfen. Ihre Aufgabe ist es schließlich nicht, sich durch Gewaltanwendung als Strafinstanz zu gerieren; straf- und zivilrechtliche Auseinandersetzungen bleiben der Judikative vorbehalten. Andererseits muss es die Möglichkeit für sie geben, das eigene Verhalten kritisch reflektieren zu können. Die Kontrolle über die eigenen Emotionen zu verlieren, ist allzu menschlich – gerade in Extremsituationen. Um das eigene Verhalten und das der Kolleg*innen in solchen Situationen einordnen und verstehen zu können, um es kritisieren zu können und danach zu fragen, wie man eine gefährliche Situation besser hätte lösen können, ist inner- und außerhalb der Polizei ein offener Raum vonnöten, in dem das jeweilige Verhalten angesprochen und besprochen werden darf. In ihm sollten sich Polizist*innen Menschlichkeit und Fehlbarkeit zugestehen dürfen, um sich selbst besser zu verstehen und nach konstruktiven Lösungen zu suchen, sich zukünftig in ähnlichen Situationen angemessener verhalten zu können.

Einen solchen Raum innerhalb der Polizei könnten Supervisionen schaffen. Bislang steht Polizist*innen nur ein freiwilliger psychologischer Dienst zur Verfügung, dessen Schwerpunkt auf der psychologischen Betreuung und auf der Verarbeitung schwieriger Erfahrungen liegt. Ergänzt wird dieses Angebot in manchen Dienststellen um freiwillige Nachbesprechungen von Einsätzen unter Kolleg*innen. Ein institutionalisiertes Angebot, mithilfe einer außenstehenden Person schwierige Situationen zu besprechen, gibt es in der Polizei bislang noch nicht. Dabei könnten in Supervisionen herausfordernde Situationen mit professioneller Hilfe nachbereitet und blinde Flecken entdeckt und reflektiert werden. Sie halten dazu an, den Umgang mit Emotionen in Krisensituationen zu lernen, die eigene Arbeit zu reflektieren und nach Wegen zu suchen, wie man diese besser gestalten könnte. In der sozialen Arbeit sind Supervisionen bereits gängige Praxis – in der Polizeiarbeit könnten sie es auch werden.

Supervisionen für mehr Sicherheit?

Supervisionen und Beratungen allein sind aber keine Selbstläufer. Beginnend mit der Führungsebene und bis hinein in die Ausbildung der Polizeianwärter*innen ist ein Klima erforderlich, das für Gefühle der Angst und Überforderung sensibilisiert, zur Reflexion ermutigt, kritisches Hinterfragen zulässt und zur Suche nach besseren Lösungen anhält. Hierzu können auch Wissenschaft und Forschung einen Beitrag leisten, indem sie nicht nur mögliche Probleme in der Institution und Herausforderungen in der polizeilichen Praxis thematisieren, sondern diese mithilfe von Analysen zu verstehen und einzuordnen versuchen – vorausgesetzt, dass Politik und Polizei Einblicke in die Polizeiarbeit zulassen und die Ergebnisse an- und aufnehmen. Die Anregungen, die sich daraus ableiten lassen, können zur Verbesserung der Polizeiarbeit genutzt werden.

Erforderlich ist nicht zuletzt eine Zivilgesellschaft, die die Polizei nicht allein als machtvolle Institution, sondern auch die Menschen hinter den Uniformen sieht. Nötig ist eine Sensibilisierung für die Belastungen der Polizeiarbeit, hilfreich wären gegenseitiges Verständnis und Respekt. Und eine Zivilgesellschaft, die die Arbeit der Polizist*innen wachsam beobachtet und Gewalt sowie Diskriminierung öffentlich thematisiert und problematisiert. Genauso wichtig sind aber Polizist*innen, die öffentliche Kritik annehmen bzw. sich dieser konstruktiv stellen.

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