ContraInformiert bleiben heißt handlungsfähig bleiben
Nachrichten ausschalten löst keine Probleme, sondern unterdrückt sie nur. Was wir stattdessen brauchen: Mehr Empathie und Gestaltungswillen.
Eine Hiobsbotschaft jagt neuerdings die nächste. Oder müsste man nicht sagen – eigentlich ist das schon seit Jahren so. Und manchmal erreicht es auch meine Frustrationsgrenze: Laptop zu, Handy aus, ich will einfach gar nichts mehr hören.
Eine Studie des Reuters Institute for the Study of Journalism, der „Digital News Report 2024“, kommt für Deutschland zu dem Ergebnis, dass die wöchentlichen Reichweiten sowohl von TV- als auch von Printnachrichten nahezu auf einem historischen Tiefstand sind – und dass Onlinemedien und soziale Netzwerke diese Lücke nicht füllen.
„Ich kann sowieso nichts ändern“
In Blogeinträgen, auf Reddit oder anderen Foren erklären viele Menschen, warum sie keine Nachrichten mehr lesen wollen. Die häufigste Begründung: „Ich will das nicht lesen, weil ich sowieso nichts ändern kann.“ Man könne ja höchstens spenden, doch das könnten sich nicht alle leisten. Immerhin: Wir können alle wählen gehen. Dazu räumen einige Nutzer:innen ein, sich vor wichtigen Entscheidungen wie der Bundestagswahl doch noch einmal zu informieren.
Es scheint also, dass es nicht primär die Nachrichten sind, die frustrieren. Entmutigend ist vielmehr das Nicht-Handelnkönnen bei gleichzeitiger Zukunftsangst, beispielsweise mit Blick auf den Klimawandel. Denn Angst, gepaart mit Ohnmachtsgefühlen, frustriert, lähmt und lässt viele offenbar aufgeben. Das Problem daran: Beides lässt sich nicht ignorieren und verschwindet einfach. Denn das zugrundeliegende Gefühl von Verantwortung lässt sich nicht komplett abschalten – und tut man dies doch, dann stellt das gegebenenfalls das eigene Selbstbild infrage.
Empathie ist grundsätzlich positiv
Die negativen Gefühle, die von Nachrichten ausgelöst werden, sollten wir nicht einfach wegschieben. Stattdessen müssen wir lernen, mit ihnen umzugehen. Psycholog:innen raten oft, negative Emotionen zuzulassen und sich zugleich von ihnen zu distanzieren, indem man das Gefühl als “nur“ ein Gefühl anerkennt. Empathie ist grundsätzlich etwas Positives, sie ist eine menschliche Kompetenz, durch die wir uns miteinander verbunden fühlen. Sich nicht mehr informieren hieße dann auch menschliches Leid ignorieren.
Außerdem: Viele aktuelle Krisen wie etwa der Klimawandel sind tatsächlich realistische Bedrohungen. Sie zu verdrängen, wird sie nicht abwenden. Informiert zu sein, bewusst nach konstruktiven Nachrichten zu einem Thema zu suchen, ist die einzige Lösung, die dauerhaft Wirkung entfaltet, auch wenn sie zunächst komplizierter erscheinen mag.
Information ist ein Werkzeug der Demokratie
Das Schweizer „Jahrbuch Qualität der Medien“ warnt, dass der Rückgang des Nachrichtenkonsums demokratiepolitisch gefährlich sei. Auch nehmen Menschen, die kaum Nachrichten konsumieren – und diese wenigen Nachrichten vor allem über soziale Medien – , emotional aufgeladene Inhalte oder unterhaltsame Softnews viel stärker wahr. Sie ließen sich für einzelne Themen mobilisieren, nähmen aber insgesamt weniger aktiv an demokratischen Prozessen teil, heißt es. Schlussfolgern ließe sich daraus, dass diese Entwicklung dem zunehmenden Populismus durchaus in die Hände spielen kann.
Auf Reddit schreibt eine Nutzerin, sie konsumiere keine Nachrichten, weil sie alles Wichtige irgendwie „aus ihrem Umfeld mitbekommt“. Hörensagen als Nachrichtenersatz – ob das funktioniert, ist bestenfalls fraglich. Die Gefahr, relevante Informationen zu verpassen, ist groß, die Möglichkeit, sich ohne fundierte Fakten eine eigene Meinung zu bilden, beschränkt.
In einer Demokratie, die auf der Beteiligung aller Bürger:innen beruht, ist Information das Werkzeug, mit dem Bürger:innen ihre Entscheidungen treffen. Wer auf Informationen verzichtet, gibt dieses Werkzeug aus der Hand und damit auch die eigene Handlungsmacht, was Angst und Ohnmachtsgefühle bestenfalls unterdrückt, schlimmstenfalls verstärkt. Die Frustration, nichts ändern zu können, lähmt nicht nur individuell, sondern schwächt die Demokratie, die auf informierte Bürger:innen angewiesen ist. Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert den freien Zugang zu Information, um Meinungs- und Pressefreiheit nach den Erfahrungen der nationalsozialistischen Kontrolle zu sichern. Und dieses Grundrecht sollten wir nutzen, anstatt uns selbst eine Zensur aufzuerlegen.
Nachrichten zu meiden mag kurzfristig erleichtern, doch langfristig führt es uns in eine Sackgasse: Wir verlieren nicht nur den Anschluss an die Welt, sondern an unser eigenes Potenzial, etwas zu bewirken – und zwar nicht nur durch die Abstimmung bei Wahlen, sondern auch in Diskussionsrunden unter Freunden oder durch kleine, aber wichtige Gesten im Alltag. Denn jede und jeder bewirkt intuitiv und oft unbewusst kleine Dinge in seinem oder ihrem Umfeld.
Grenzen setzen, statt wegschauen
Aber es ist wichtig und richtig, auf sich Acht zu geben. Viele der schlechten Nachrichten betreffen uns nicht unmittelbar. Mitgefühl ist wichtig. Aber ständig ohne Not im Fight-or-Flight-Modus zu sein, ist kontraproduktiv und belastend.
Deshalb ist es gut, gerade in Krisenzeiten wie diesen, sich nicht von Nachrichten überrollen zu lassen. Statt Nachrichtenabstinenz plädiere ich daher für intelligente, auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmte Push-Nachrichten-Einstellungen sowie eine kritische Auswahl der eigenen Informationsquellen – auch und insbesondere im Bereich der sozialen Medien. Und regelmäßige nachrichtenfreie Zeiten mit bewusster Freizeitgestaltung, die Spaß macht. Für mich heißt das: Handy aus, in die Boulderschuhe schlüpfen, rumhängen, Kopf freimachen.