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DebatteBirgt Studieren ein Armutsrisiko?

Von Johan Walser / 29. Dezember 2022
picture alliance / Zoonar | lev dolgachov

Die Fachkräftesuche geht in die nächste Runde. Gute und auch gut bezahlte Jobs gibt es. Ob dafür Studieren nötig ist, stellen einige infrage. Oder gehen so weit zu behaupten, dass manches Studium selbst der direkte Weg in die Armut sei. Hier der Faktencheck.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“, hieß es einst. Gemeint waren Ausbildungszeiten im Allgemeinen, insbesondere aber mit Blick auf die finanzielle Situation. In Sachen Studium verwies man auf das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), Nebenjobs oder Stipendien zur Unterstützung. Schließlich wurde gewarnt, dass Hochschulabschlüsse selbst längst kein Garant mehr für gut bezahlte Arbeit seien. Die Botschaft lautete: Studieren lohne sich kaum mehr.

Der Begriff „Anwaltsschwemme“ beschrieb zuletzt vor rund zehn Jahren den Umstand, dass zu viele junge Leute Jura studiert hatten und nun auf den Markt drangen. Die sogenannten rosigen Zeiten schienen sogar für Rechtsanwält:Innen, welche beide juristischen Staatsexamen mit Prädikat in der Tasche hatten, vorbei. Aber deswegen verarmen? Soweit wollte man trotz hoher Arbeitslosenzahlen in der Branche nicht gehen.

Sozialer Auf- oder Abstieg?

Mit dem Ausruf der „Bildungsrepublik“ durch Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2008 war das Ziel verbunden gewesen, möglichst viele Menschen an Hochschulen zu bringen und damit den Grundstein für soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu legen. In der Tat, die Zahl der Student:Innen ist inzwischen rasant gestiegen: Heute gibt es 20 Prozent mehr Studienanfänger:Innen in Deutschland als noch 2008. Im Jahr 2021 war rund ein Drittel der Student:Innen jedoch armutsgefährdet. Erneut stellt sich also die Frage, ob die Aufnahme eines Studiums wirklich der Weg zum sozialen Aufstieg ist oder doch eher ein riskanter Irrglaube, der irgendwann sogar in die Armut führen kann.

Zahlen definieren, wann jemand als arm gilt. Ein Armutsrisiko besteht dann, wenn einer Person weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung steht. Demnach sind laut Statistischem Bundesamt aktuell 37,9 Prozent der Student:Innen von Armut bedroht. Unter den allein beziehungsweise in einer Wohngemeinschaft lebenden Student:Innen liegt dieses Armutsrisiko sogar bei 76,1 Prozent. Diese Zahlen führen zu dem eigentlichen Thema – dem der Studienkosten und -finanzierung. Es scheint: Nicht nur die Wahl des Studienfachs, sondern die Studienzeit als solche stellt eine Armutsgefährdung dar, auch ohne Studiengebühren.

Wenig Geld während des Studiums

Der durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Preisschock hat auch die Student:Innen stark getroffen. Steigende Lebensmittelpreise, höhere Strom- und Energiekosten, möglicherweise auch höhere Kaltmieten lassen den finanziellen Spielraum für Student:Innen schrumpfen. 2016 wurden die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben von Student:Innen auf 867 Euro geschätzt. Jedoch stieg der Verbraucherpreisindex zwischen 2016 und 2021 um 8,6 Prozent. Mit der erwarteten Inflationsrate von 8,4 Prozent für das Jahr 2022 beträgt die Preissteigerung, bezogen auf das Jahr 2016, also 17 Prozent. Die durchschnittlichen monatlichen Ausgaben der Student:Innen von heute sind inzwischen auf 1.014,39 Euro angewachsen.

Finanzierungsmöglichkeiten während des Studiums stellen in der Regel Mini-Jobs und BAföG oder Stipendien dar. Der durchschnittliche BAföG-Förderbetrag im Jahr 2021 betrug 579 Euro. Dieser deckt in der Regel rund 50 Prozent der durchschnittlichen Ausgaben. Die Aufnahme eines Mini-Jobs ist also, wenn keine Bezuschussung durch die Eltern erfolgen kann, ein Muss. Durch die Erhöhung der Mini-Job-Grenze kann hier mit Einnahmen in Höhe von 520 Euro gerechnet werden. Damit stünden auf der Einnahmeseite insgesamt rund 1.100 Euro zur Verfügung. Die Ausgabenseite wäre durch diese regelmäßigen Einkünfte gerade so gedeckt.

Allerdings erhalten Student:Innen derzeit Gelder aus den von der Bundesregierung beschlossenen Entlastungspaketen: für Student:Innen mit Mini-Jobs 500 Euro, für Student:Innen ohne Mini-jobs 200 Euro.

Nach dem Studium arm?

Bei dieser Kalkulation wurde indes mit Prämissen gearbeitet, die nicht für alle Student:Innen selbstverständlich sind. So ist die Möglichkeit, neben einem Vollzeitstudium überhaupt einen Mini-Job aufzunehmen, ein zeitlicher Mehraufwand, den viele Student:Innen nicht leisten können. Anders ließe sich nur schwer erklären, dass lediglich 33,5 Prozent einen universitären Abschluss in Regelstudienzeit absolvieren, argumentieren Befürworter:Innen der These, Nebenjobs seien im Studium vor allem Zeitfresser. Daraus ergeben sich Folgeprobleme, unter anderem da die BAföG-Förderung grundsätzlich nur im Rahmen ebendieser Regelstudienzeit erfolgt.

Die Rechnung hinter der Förderlinie fußt dabei auf der Annahme, dass alle zur Verfügung stehenden staatlichen Leistungen auch tatsächlich in Anspruch genommen werden. Da bürokratische und/ oder sprachliche Hürden die Antragsstellung oft verhindern, ist dies allerdings nicht immer der Fall. Auch die Funktionsweise des BAföG stellt eine Hürde dar: Die Aussicht, sich im Studium zu verschulden, ohne zu wissen, ob man es sich in der Zukunft leisten kann, das Darlehen zurückzuzahlen, macht vielen Angst, wie Umfragen zeigen.



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