DebatteBrauchen wir mehr innere Sicherheit?
In Deutschland sind verschiedene Institutionen mit der inneren Sicherheit betraut. Vielen Bürger:innen ist das ein Dorn im Auge. Andere begrüßen die Strukturen. Ob mehr oder weniger getan werden muss für den Bevölkerungsschutz, darüber herrscht Uneinigkeit. Ein Überblick über Kriminalität und Terror – aus Sicht der Sozialpsychologie.
Innere Sicherheit ist ein abstrakter Begriff. Es gibt nicht die eine innere Sicherheit. Vielmehr handelt es sich um viele verschiedene Institutionen und Maßnahmen, deren Ziel „die Sicherheit der Bürger vor Terror, Gewalt und Verbrechen sowie der Schutz der Verfassung“ ist, wie es die Bundesregierung auf ihrer Website ausdrückt. In Deutschland gehören dazu das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und die Bundespolizei (BPOL).
Es gibt auch nicht das eine Verbrechen. „Gewaltkriminalität ist etwas anderes als Wirtschaftskriminalität. Die ist etwas anderes als Diebstahl“, erklärt Frank Asbrock. Er ist Direktor und wissenschaftlicher Leiter des im Sommer gegründeten Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen (ZKFS). Außerdem hat er eine Professur in Sozialpsychologie an der TU Chemnitz inne. Wenn sich also einer mit den Gefahren für die nationale Sicherheit auskennt, dann ein solcher Experte für Sozialpsychologie.
Asbrock erzählt von einem Rückgang an Kriminalität in westlichen Ländern, der nicht nur, aber auch mit der hohen Aufklärungsquote und dem relativ großen Vertrauen in Sicherheitsbehörden zusammenhänge. Als einen wichtigen Grund für das Absinken von Kriminalität und somit eine Zunahme an Sicherheit nennt er die Wohlstandsentwicklung. Wer sich nicht in einer Notlage befinde, begehe nicht unbedingt einen Raubüberfall, sagt er. Voraussetzung, um ein Verbrechen zu begehen, sei Skrupellosigkeit: „Es gibt Menschen, die aufgrund ihrer Persönlichkeit eher zu Aggression oder Normverstößen neigen als andere und die daher auch eher entsprechende kriminelle Handlungen zeigen könnten.“
Wie misst man Kriminalität?
Bei der Erfassung von Kriminalität unterscheidet man zwischen Hellfeld und Dunkelfeld. Das Hellfeld ist aus der polizeilichen Kriminalstatistik bekannt, die sich vorrangig aus Anzeigen von Bürger:innen und zu einem geringeren Teil aus polizeilichen Ermittlungen zusammensetzt. Das Dunkelfeld ist laut Asbrock viel größer. Man könne es zum Beispiel durch wissenschaftliche Befragungen ermessen.
Das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bonn führt derzeit eine Studie zu Sicherheit und Kriminalität in Deutschland durch, in der Menschen unter anderem zu ihrer eigenen Rolle bei Straftaten befragt werden. Laut Asbrock sind derartige Studien besser als solche, die nur das Hellfeld widerspiegeln. Dabei sollte allerdings nicht vernachlässigt werden, dass auch Dunkelfeld-Studien anfällig sind für Falschaussagen, weil Opfer wie Täter:innen nicht über Straftaten sprechen wollen.
Hell- und Dunkelfeld existieren unabhängig voneinander. Inzwischen werden mehr Sexualstraftaten gemessen als früher – im Hellfeld. Opfer von sexualisierter Gewalt nehmen die an ihnen verübten Straftaten dank der #metoo-Bewegung häufiger als solche wahr und bringen dadurch mehr Mut für eine Anzeige auf. Doch Asbrock warnt, nur weil die Verbrechen ans Licht gekommen seien, könne man nicht von einer Zunahme insgesamt ausgehen.
Gefühlte Sicherheit
Bei der Eröffnung des ZKFS in Chemitz hob die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) hervor: „Der Umgang mit Kriminalität in Gesellschaft und Politik fußt viel zu häufig auf individuellen Gefühlen. Eine rationale Kriminalpolitik muss sich dagegen auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.“
Sozialpsychologe Asbrock forscht zu der Wahrnehmung von Bedrohungen. Sein zentrales Interesse: „Wie gehen Menschen mit Bedrohungen um, wie reagieren sie auf diese?“ Mehrere Studien zeigen, dass Menschen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis verspüren, wenn sie Bedrohungen wahrnehmen. Diese Einstellung werde auch durch das Weltbild moderiert: „Wer autoritär ist, hat ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung.“
Das Konzept des autoritären Charakters wurde seit den 1930er Jahren von verschiedenen Anhängern der Kritischen Theorie ent- und weiterentwickelt. Es beschreibt Menschen, die in starren Kategorien und Hierarchien denken, autoritäts- und sicherheitsliebend sind sowie zu rassistischen und weiteren Vorurteilen neigen.
Asbrock zufolge erzeugen mehr Sicherheitsmaßnahmen, wie Videoüberwachung oder Polizeipräsenz auf Weihnachtsmärkten, auf der einen Seite ein stärkeres Sicherheitsgefühl, insbesondere für autoritäre Charaktere. „Auf der anderen Seite lenken diese Maßnahmen Aufmerksamkeit auf ein Problem, das man vorher vielleicht gar nicht gesehen hat.“ So könnten Unsicherheitsgefühle sogar verstärkt werden.
Prävention für Kriminelle und Polizei
Dass es für die innere Sicherheit Deutschlands mehr Prävention braucht ─ sowohl für kriminelle oder potenziell kriminelle Menschen als auch für die Polizei, darin sind sich Expert:innen einig. Man sollte nicht nur Rückfälle von Straftäter:innen verhindern, sondern potenziell kriminellen Menschen so früh wie möglich alternative Lebenswege aufzeigen, etwa durch Bildungschancen.
Eine wichtige Rolle in dieser Debatte spielen Machtpotenzial und Gewaltmonopol der Polizei. Rechtsextremismus sei kein grundlegendes Problem dieses staatlichen Exekutivorgans. „Aber eine Institution, die mit Waffen versorgt wird, sollte nicht für demokratiefeindliche Menschen attraktiv sein“, warnt Asbrock.
Bayerns ehemaliger Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte einst eine geplante Studie zu Rassismus bei der Polizei mit den Worten abgelehnt: „Die halten ja für uns den Kopf hin und deshalb gibt es jetzt keine Studie, die sich gegen die Polizei mit Unterstellungen oder Vorwürfen richtet.“
Aus wissenschaftlicher Sicht ist ein Blick von außen auf institutionelle Strukturen dagegen unabdingbar. Und mit Hilfe einer strengeren Auswahl von Polizist:innen oder Schwerpunkten in der Ausbildung könne man die Demokratie stärken, betont ZKFS-Direktor Asbrock.
Aufklärung und Vertrauen sind die Grundpfeiler staatlichen Handelns, insbesondere der Polizei. Doch muss dieses einerseits nach außen in die Gesellschaft getragen werden, andererseits muß die Gesamtheit der Mitarbeiter selbst darauf vertrauen können, dass Missstände in Behörden selbst aufgeklärt und kommuniziert werden. Ist dies nicht der Fall muss zwingend durch unabhängige Institutionen daran gearbeitet werden (siehe Dänemark).
Das Hell-Dunkelfeld darf niemals getrennt voneinander betrachtet werden. Vielmehr muss man sich das Hell-Dunkelfeld wie eine große Torte vorstellen.
Ziel polizeilichen Handelns und letztendlich auch der jährlich veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ist es, dass Dunkelfeld so gering wie möglich zu halten, indem Vertrauen und Aufklärung in polizeilichen Handelns geschaffen wird.
Schwindet das Vertrauen, weil eventuell davon ausgegangen wird, dass die Polizei nicht richtig ermittelt, anzeigende Opfer nicht beschützt werden können oder ein hoher Anteil rassistischer Elemente in Polizeibehörden vorherrscht, wird das Dunkelfeld größer, da Straftaten unentdeckt bleiben.
Den Zuständigen stellen ist das Problem durchaus bekannt und so wird ständig daran gearbeitet, dass Vertrauen zu stärken und Hemmschwellen abzubauen, indem für zahlreiche Delikte, insbesondere die der sexualisierten Gewalt, geschulte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eingesetzt werden, um die Opfer zu betreuen und zu beschützen. Ferner ist es in der Tat wichtig zu kommunizieren, dass vermeintlich plötzlich gehäuft auftretende Delikte, tatsächlich nicht objektiv zugenommen haben müssen, sondern es daran liegen könnte, dass durch einen verbesserten Maßnahmenkatalog , dass Hellfeld vergrößert wurde.
Auch hat die Videoüberwachung an Stationen des ÖPNV häufig dazu beigetragen Straftaten aufzuklären, da gerade durch Veröffentlichungen von Bildern der Druck auf die Täter so groß wird, dass diese sich stellen.
Im Sinne der gesamten Gesellschaft wäre es von Vorteil, wenn zwischen der begangenen Straftat und der daraus resultierenden rechtlichen Konsequenz, zeitnah erfolgte.Das deutsche Strafrecht berücksichtigt im Urteil die Gesamtumstände des Täters und ist auf Resozialisierung ausgelegt. Das Opfer wird jedoch nicht selten mit seinen Ängsten allein gelassen. Was dem Hellfeld schadet.
Wer den Beruf des Polizeibeamten ergreifen möchte, muss sich einem vielseitigen Auswahlverfahren stellen, indem auch seine charakterliche Eignung überprüft wird. Trotz dieser Auswahlverfahren, trotzdem während der Ausbildung Wert auf Psychologie und interkulturelle Kompetenz wird, obwohl Polizeibeamte auch nach Beendigung ihrer Ausbildung regelmäßig sensibilisiert werden im Bereich der interkulturelle Kompetenz, wird der Rassismus wahrscheinlich niemals völlig besiegt werden, weil es egal zu sein scheint, welchen Teil der Erde man bewohnt , Rassismus ein nie endendes Problem der Menschheit ist, da es immer Jemanden geben wird, der meint, sich über Andere stellen zu müssen.
Danke für den Kommentar, den ich ziemlich erhellend finde! Stichwort Vertrauen in die Polizei, aber auch der Polizei in die Gesellschaft: Da fallen mir gleich Parallelen zur Bundeswehr ein. Spätestens jetzt, also angesichts des Krieges in der Ukraine, gibt es eine Diskussion über die Stellung der Bundeswehr in der Gesellschaft – meines Erachtens kommt diese Diskussion spät, zugleich ist sie notwendig. Auch über das Image der Polizei in der Bevölkerung muss gesprochen werden. Immer öfter kommt es zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber Polizeibeamten in deren Einsätzen. Die Polizei muss von der Politik mehr geschützt und von der Bevölkerung mehr geachtet werden. Dazu gehört auch eine bessere Ausstattung. Ich bin hier in Berlin-Marzahn mal auf einer Polizeiwache gewesen und mich traf der Schlag, wie es da aussah. Fühlte mich in die 70er Jahre zurückversetzt bei Ausstattung der Räume und der Technik. Demokratie, Rechtsstaat und Meinungsfreiheit verteidigen sich nicht von allein. Dazu bedarf es einer starken und zugleich kompetenten und sensinbiliserten Polizei ebenso einer gut ausgerüsteten Bundeswehr. Ich halte es schlicht für eine Art falscher Sozialromantik, wenn man Polizei und Armee verhöhnt oder diskreditiert, weil man meint, unsere Gesellschaft hat diesen Schutz nicht nötig.
Auch vielen Dank für Ihren Kommentar! Der Vergleich mit der Bundeswehr liegt sicherlich nahe. Ein Bekannter meinte neulich, dass die Lebensrealität von Menschen bei der Bundeswehr zu sehr von der Lebensrealität anderer Menschen in Deutschland abweichen würde (Kasernen, Verpflichtung, Hierarchien etc.). Somit könne ein gegenseitiges Verständnis nicht entstehen. Den Gedanken fand ich sehr interessant.
Vielen Dank für den Kommentar! Ich finde besonders Ihre Gedanken zum zusammenhängenden Hell-Dunkelfeld interessant – auch wenn es mir etwas schwer fällt, mir dieses als Torte vorzustellen, wenn Studien zur Größe des Dunkelfeldes so anfällig für Fehler sind.