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ProDie Fäden in der Hand

Von Bettina Ehbauer / 15. April 2016
picture alliance / Sergey Nivens/Shotshop | Sergey Nivens

Selbstbestimmung ist ein wichtiges Gut. Wir können sie leben, wenn wir uns Ansprüchen anderer sowie gesellschaftlichen Normen widersetzen. Das erfordert Mut und Veränderungsbereitschaft.

Vom rechtlichen wie vom moralischen Standpunkt her erscheint der Fall klar: Jeder Mensch hat das unveräußerliche Recht auf Selbstbestimmung. Er hat also das Recht, sein Leben ohne die Einflussnahme anderer so zu gestalten und zu leben, wie er es möchte und für richtig hält. Dieses Recht endet erst dort, wo gesetzliche Vorschriften ihm entgegenstehen oder die Selbstbestimmung eines anderen berührt wird. So weit die Theorie.

In der Praxis sieht die Sache anders aus: In vielen totalitären und autokratischen Regimen wird das Recht auf Selbstbestimmung mit den Füßen getreten. Menschen dürfen nicht entscheiden, wo sie leben (Zwangsumsiedlungen), was und wie sie arbeiten (Zwangsarbeit), wen sie heiraten (Zwangsehen) oder wen sie lieben (Verbot von Homosexualität). Zudem setzt wirkliche Selbstbestimmung voraus, dass Menschen freien Zugang zu Informationen haben, um überhaupt erst die vielfältigen Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten, zu kennen.

Auch in Deutschland und anderen demokratischen Gesellschaften, in denen Informationen frei verfügbar sind, das Selbstbestimmungsrecht in vielen Bereichen geschützt und Verstöße dagegen geahndet werden, haben wir oft das Gefühl, unser Leben nicht nach unseren Vorstellungen und Wünschen gestalten zu können. Wir haben das Gefühl, nicht frei über unsere Zeit verfügen zu können und zahlreichen Verpflichtungen und Zwängen zu unterliegen.

Es ist erstaunlich, wie wenig man im Leben wirklich muss

Einfach mal den ganzen Tag faul in der Hängematte unter dem Kirschbaum liegen und die Sonne genießen? Würden wir ja gern, aber im Büro stapeln sich die Aufgaben. Den ordentlich bezahlten, aber langweiligen Job kündigen, um ein Hobby zum Beruf zu machen? Traumhaft wäre das, zumindest so lange, bis der Bankberater auf der Matte steht, weil man die Raten für den Hauskredit nicht mehr bezahlen kann.

Auf den ersten Blick scheint es uns schwierig und oft sogar unmöglich, autonome Entscheidungen für unser Leben und Handeln zu treffen und diese in die Tat umzusetzen. Für jeden guten Grund dafür fallen uns mindestens zehn Gründe dagegen ein. Gehen wir aber etwas tiefer, sind hartnäckig, kratzen mehr als nur an der Oberfläche aus scheinbaren Pflichten, erkennen wir: Es ist erstaunlich, wie wenig man im Leben wirklich muss. Selbstbestimmung ist möglich.

Hinter den vielen zunächst plausibel wirkenden Argumenten gegen das Vorhandensein der Selbstbestimmung stecken meist gesellschaftliche Normen, vererbte Werte oder schlicht die Angst, bekanntes Terrain zu verlassen und sich in Neuland vorzuwagen. In diesem eng geschnürten Korsett aus fremdbestimmten Maßstäben, dem Bedürfnis nach Akzeptanz und der Behaglichkeit des eigenen goldenen Käfigs fällt es uns oft schwer, unsere tatsächlich vorhandene Autonomie wahrzunehmen und zu leben.

Der erste Schritt zur Selbstbestimmung muss deshalb sein, den Status Quo zu hinterfragen. Lebe ich das Leben, das ich für gut und richtig halte, oder lebe ich die Werte und Konventionen, die von außen an mich herangetragen werden? Habe ich wirklich keine anderen Möglichkeiten, oder wurde mir dies nur von vielen Seiten so lange eingetrichtert, bis ich es selbst geglaubt habe? Arbeite ich immer mehr, weil es mich erfüllt, oder weil ich das Gefühl habe, dass es von mir erwartet wird? Kaufe ich Dinge, die mir Befriedigung verschaffen, oder Dinge, von denen mich andere glauben machen, dass ich sie benötige?

Selbstbestimmung hat ihren Preis

Das Erkennen der Ursachen für das Gefühl der Fremdbestimmtheit reicht nicht aus. Nur wer bereit ist, sich aus den unsichtbaren Fesseln zu lösen und dafür unkonventionelle Wege zu gehen, wird mit mehr Selbstbestimmung belohnt.

Das erfordert Mut und die Bereitschaft, anzuecken. Denn wer offen gegen jahrzehntelang gewachsene, oft stillschweigend akzeptierte Konventionen rebelliert, erntet oft Unverständnis, Vorwürfe oder Missgunst. Zudem sollten wir uns bewusst sein, dass ein Mehr an Selbstbestimmung oft ein Weniger an Komfort und materiellen Sicherheiten bedeutet. Das kann in der Praxis viele Formen annehmen: WG-Zimmer statt Eigentumswohnung, selbst kochen statt Restaurantbesuch, Fernbus statt Flieger.

Ob man bereit ist, diesen Preis für ein selbstbestimmteres Leben zu bezahlen, muss jeder für sich entscheiden. Am Anfang steht die Erkenntnis, dass es möglich ist, selbstbestimmt zu leben, dass es in unserer eigenen Verantwortung liegt. Und dass es ein Privileg ist, sich überhaupt die Frage stellen zu können, wie man leben will.

Nicht immer bedarf es radikaler Veränderungen, um so selbstbestimmt über die eigene Zeit verfügen und so autonom handeln zu können, dass man zufrieden ist. Während sich der eine nur dann wirklich frei fühlt, wenn er sein gesamtes Hab und Gut in einem Koffer unterbringt und nach Lust und Laune den Wohnort und Job wechselt, mag für einen anderen der Weg zu einem glücklichen, selbstbestimmten Leben darin bestehen, 30 statt 40 Stunden zu arbeiten und die gewonnene Zeit mit der Familie zu verbringen – oder in einer Hängematte unter einem Kirschbaum.

 

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Debatte | Sein und wollen

Contra | Warum wir selten selbst bestimmen



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