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DebatteWohin mit dem Medizinschrank?

Von Luan J. Kreutschmann / 8. Dezember 2017
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Peter Dejong

Die Europäische Arzneimittelagentur zieht infolge des Brexit von London nach Amsterdam. Während sich die niederländische Metropole über wirtschaftliche Vorteile freuen kann, birgt der Umzug Risiken für die europäische Gesundheitsversorgung.

Bislang war diese europäische Behörde nur selten in den internationalen Schlagzeilen. Deshalb dürften auch viele Leute über die Abkürzung EMA gestolpert sein, die in den vergangenen Wochen in den Medien aufgetaucht ist. EMA steht für die Europäische Arzneimittelagentur. Sie ist eine der 37 dezentralen Agenturen der EU, die auf verschiedene Mitgliedstaaten verteilt sind und von denen die meisten eine eigene Rechtsfähigkeit besitzen. Das heißt, dass etwa vor Gericht Klage gegen die EMA erhoben werden kann.

Mit dem Brexit muss die seit 1995 in der britischen Hauptstadt angesiedelte EU-Institution nun auf das europäische Festland umziehen. Und viele Mitgliedsstaaten würden sich gern mit der EMA schmücken: Insgesamt 19 Bewerbungen gingen ein. Aus Amsterdam, Athen, Barcelona, Bonn, Bratislava, Brüssel, Bukarest, Kopenhagen, Dublin, Helsinki, Lille, Malta, Mailand, Porto, Sofia, Stockholm, Warschau, Wien und Zagreb. Doch nicht alle Kandidaten sind für ihre Pharma-Infrastruktur bekannt. Nach langem Feilschen der Rat für Allgemeine Angelegenheiten im Rat der Europäischen Union entschied man sich deshalb am 20. November für Amsterdam als neuen Standort.

Das Behördenland Deutschland ging damit leer aus. Hierzulande sitzen allerdings bereits die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (Frankfurt/Main) und die Europäische Agentur für Flugsicherheit (Köln).

Keine Arznei ohne EMA-Genehmigung

Was macht die EMA so begehrt? Zunächst ist die Aufgabe der EMA die öffentlichee Gesundheit in der EU zu erhalten und zu fördern – in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission und den medizinischen Regulationsbehörden in den Mitgliedsstaaten. Sie bestimmt, welche Arzneimittel für Menschen und Tiere in der EU erlaubt sind. Sind die Arzneimittel einmal zugelassen, koordiniert sie deren Überwachung. Somit reguliert sie den Verkauf von Arzneimitteln für die rund 500 Millionen Patient_innen des europäischen Binnenmarktes. Das bedeutet: An ihrem OK hängen Milliarden Euro Umsatz der ohnehin hart umkämpften und streitbaren Pharmaindustrie. Die EMA ist gewissermaßen die Hüterin des europäischen Medizinschranks.

Laut eigenen Angaben hat die EMA seit ihrer Gründung 1993 rund 975 Medikamente zur Anwendung in der Humanmedizin und 188 zur Anwendung in der Veterinärmedizin positiv evaluiert. Zu den Meilensteinen in der Geschichte der EMA gehören einige weltweit einzigartige Begutachtungsprozesse. Im Gründungsjahr der EMA wurde außerdem mit zyklusstimulierenden Gonal-f das erste zentral autorisierte Medikament zur Anwendung in der Humanmedizin zugelassen.

2006 waren Valtropin und Omnitrope die ersten durch die EMA freigegebenen bioidentischen Präparate, die einem Wachstumshormon ähnlich Zellwachstum und -entwicklung steuern. Auch die 2012 international beachtete Zulassung von Glybera, dem ersten auf einer Gentherapie basierenden Arzneimittel, erfolgte über die EU-Behörde. Zuletzt wurde 2014 das erste in Europa produzierte Stammzellmedikament zum Verkauf in der EU zugelassen.

Umstrittene Umzugspläne

Der Umzug einer derart großen und bedeutsamen Behörde ist ein Novum. Welche Konsequenzen er letztlich haben wird, lässt sich nur bedingt abschätzen, weil es keinen wirklichen Vergleichsmoment gibt. Nicht wenige Beobachter versprechen sich für den neuen Standort ein erhöhtes Interesse bedeutender Pharmaunternehmen sowie weitere wirtschaftliche Vorteile. In London sollen sich allein durch die Arzneimittelagentur und eine andere Behörde generierte Übernachtungen auf etwa 39.000 jährlich belaufen. An dieser Größenordnung wird sich auch künftig wohl nichts ändern.

Doch besteht die Gefahr, dass die Behörde ihr wichtigstes Kapital verliert: ihre Angestellten. „Unerwartete größere, schnellere oder dauerhafte Verluste von Mitarbeitern im Zuge des Behördenumzugs könnten zu einer Situation führen, in der die Arbeit der EMA nicht mehr aufrechterhalten werden kann“, so die hauseigene Pressemitteilung der EMA. Ein „Betriebsaufrechterhaltungsplan“ soll diese Risiken minimieren. Allerdings befürchten einzelne Mitgliedstaaten und Pharmaunternehmen erhebliche Verzögerungen bei Evaluation und Zulassung womöglich lebensrettender Medikamente. Dann könnte die europäische Zulassungsbehörde im Vergleich zu ihrem amerikanischen Pendant durch zeitliche und organisatorische Reibungsverluste an internationaler Bedeutung verlieren.

Bei der Wahl des Standorts Amsterdam wurden jedoch verschiedene arbeitnehmerorientierte Kriterien berücksichtigt, die die reibungslose Fortführung der Evaluierungsverfahren gewährleisten und Mitarbeiterschaft locken sollen, darunter genügend internationale Schulen für die Kinder der Angestellten. Kritischer als der neue Standort werden indes die ungelösten Problematiken am alten gesehen. Erst kürzlich bezog die EMA einen Neubau in London, die Räume sind ohne Ausstiegsklausel bis 2039 angemietet.



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