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DebatteEin Instrument lernen – ein Muss für Kinder?

Von Lisa Grefer / 30. Dezember 2019
picture alliance / Shotshop | Stockbroker xtra

Was gehört zu den Dingen, die man heutzutage wissen oder beherrschen sollte? Eine Frage, die sich regelmäßig stellt, wenn über den Inhalt des Bildungskanons debattiert wird. Auch die Diskussion, ob jedes Grundschulkind ein Instrument erlernen soll, gehört dazu.

In einem Interview mit Der Zeit erklärte Heinz-Elmar Tenorth, emeritierter Professor für Historische Erziehungswissenschaft, in klassisch akademischer Ausdrucksweise, der Bildungskanon beinhalte neben den „drei sprachlichen Fächern: Grammatik, Dialektik und Rhetorik auch das Quadrivium – bestehend aus Arithmetik, Astronomie, Geometrie und eben Musik“.

Um alle genannten sieben Künste fester in den Lehrplänen von Grund-und Förderschulen zu integrieren, fördert das Land Nordrhein-Westfalen seit Jahren die Initiative „JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ (JeKits) und kooperiert zu diesem Zweck mit zahlreichen Musik- oder Tanzschulen.

Zum Schuljahr 2015/16 startete JeKits landesweit als Nachfolgeprogramm von „Jedem Kind ein Instrument“ (JeKi) aus dem Jahr 2007. In der neuen, abgewandelten Variante müssen sich die teilnehmenden Schulen für einen der drei Schwerpunkte Singen, Tanzen oder Instrumente entscheiden. Das Programm beginnt im ersten oder im zweiten Schuljahr.

Macht Musik schlau?

Immer wieder hört man die Empfehlung, ungeborenen Babys klassische Musik vorzuspielen, um ihren Intelligenzquotienten zu steigern. Auch versprechen sich viele Eltern von einer Teilnahme ihrer Kinder an JeKits eine Förderung, die über rein musikalisches Wissen hinausgeht. Sie glauben, das Erlernen eines Instrumentes stärke die auditive Wahrnehmung und steigere die Lese-Rechtschreib-Fähigkeit sowie die Gedächtnisleistung. Ist Musik also ein Garant für Intelligenz? Ganz so simpel ist es nicht.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Wirkungen einer JeKi-Teilnahme analysiert und daraufhin geschlussfolgert: „Viele Wirkungshypothesen bleiben möglicherweise deshalb unbestätigt, weil die Intensität der Beschäftigung mit dem Instrument im JeKi-Programm eine gewisse Schwelle nicht überschreitet.“ Simpel ausgedrückt: Ein bis zwei Schulstunden pro Woche reichen für tatsächliche Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten nicht aus.

Nur wenige profitieren

Kritisiert wird, dass auch das Nachfolgeprogramm ausschließlich auf Nordrhein-Westfalen beschränkt ist und somit nur eine begrenzte Anzahl an Kindern erreicht. Zwar wurden im Zuge einer vierjährigen Implementierungsphase bis zum Schuljahr 2018/19 jährlich neue Kommunen mit interessierten Schulen in das Programm aufgenommen. Aber die Teilnehmerzahl an dem Programm bleibt gering.

Nach Angaben der Verantwortlichen hinter JeKits nahmen 74.573 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2018/19 an dem Programm teil. Fügt man die Zahlen des Statistischen Landesamtes NRW hinzu, lässt sich der Anteil an Teilnehmenden unter allen Grundschülern im Bundesland berechnen: Es sind nur 11,7 Prozent. Auf das ganze Bundesgebiet und vergleichbare Angebote bezogen kommt man auf lediglich 5,4 Prozent.

Ein Blick ins Ausland

Schweden hat schon lange den Ruf eines Musiklandes. Die musikalische Förderung im Land gilt als einer der Gründe für den internationalen Erfolg seiner Popmusik. „Fast alle Kinder und Jugendliche in Schweden haben die Möglichkeit, ein Instrument in einer der kommunalen Musikschulen zu lernen, zu spielen oder zu singen“, heißt es in einem Sachstandsbericht des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags. Verwaltet und finanziert werden die dort genannten Schulen durch die zuständigen Kommunen. Das Ziel der Bildungseinrichtungen sei es, „Musik und andere künstlerische Aktivitäten zu möglichst niedrigen Kosten“ anzubieten. Der Staat beteiligt sich selbst allerdings nicht unmittelbar an diesen Kosten und es gibt dementsprechend auch keine nationalen Regelungen für die Schulen.

Im Nachbarland Dänemark kamen 2012 das Ministerium für Kultur und das Ministerium für Kinder und Erziehung zusammen, um unter anderem über die musische Erziehung in dänischen Grundschulen zu diskutieren. Sie kamen zu einem anderen Ansatz als schwedische und deutsche Politiker. „Eine Idee dieser Konferenz war, dass professionelle Musiker öffentliche Schulen besuchen sollten, um dort Konzerte für Kinder zu geben“, berichtet der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages.

Stärken der Klassengemeinschaft

In der aktuell eingeschränkten Form hat JeKits wie erwähnt keinen bedeutenden Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten der Teilnehmenden. Allerdings ist das Ziel der Initiative auch ein anderes: JeKits will Kindern Instrumentalspiel, Tanzen oder Singen als soziale Praxis ermöglichen. Musiker müssen aufeinander achten und einander zuhören; spielen alle nur für sich, klingt der „Schneewalzer“ schnell wie ein Schneesturm. Jeder der ambitionierten “Nachwuchskünstler“ fängt mit ähnlichen Grundkenntnissen an. Durch das gemeinsame Musizieren wächst ein Gemeinschaftsgefühl, das sich positiv auf das Klima in der Klasse auswirken kann.

Ergänzend zum ÜBERBLICK der MUSIK-Debatte gibt es wieder eine exklusive Umfrage:

Das Meinungsforschungsunternehmen Civey hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung über 2.500 Personen zwischen dem 18.-19.12.2019 befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren.


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