DebatteGroßer Fehler Großereignis?
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wird nicht nur im Gastgeberland von vielen Menschen äußerst kritisch gesehen. Teure Baumaßnahmen, Umweltverschmutzung und Zwangsumsiedlungen: Sind sportliche Großereignisse noch zeitgemäß? Vor fast genau einem Jahr erreichten die Proteste gegen die anstehende WM in Brasilien ihren vorläufigen Höhepunkt. Damals gingen im Rahmen des Confed-Cups landesweit mehrere hunderttausend Menschen auf die […]
Die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien wird nicht nur im Gastgeberland von vielen Menschen äußerst kritisch gesehen. Teure Baumaßnahmen, Umweltverschmutzung und Zwangsumsiedlungen: Sind sportliche Großereignisse noch zeitgemäß?
Vor fast genau einem Jahr erreichten die Proteste gegen die anstehende WM in Brasilien ihren vorläufigen Höhepunkt. Damals gingen im Rahmen des Confed-Cups landesweit mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße, vor allem in Rio de Janeiro und São Paulo. Mehr Geld für Bildung und soziale Einrichtungen, ein günstigerer öffentlicher Nahverkehr und keine Verschwendung von Milliarden für neue Stadien waren nur ein paar der Forderungen der Demonstranten, die auf unzähligen Plakaten zu sehen waren. Zwar lenkte die Regierung wiederholt ein, dennoch äußerten auch in den letzten Tagen vor Turnierstart immer wieder größere Gruppen ihren Unmut.
Gleichzeitig fiebern Fans und Verbände dem fußballerischen Highlight des Jahres schon seit Monaten entgegen. Brasiliens Idol Pelé twitterte, er spüre die Spannung im Land. Fifa-Präsident Joseph Blatter versprach ebenfalls über den Kurznachrichtendienst ein „großartiges Fußball-Festival“. Außerdem sei die WM eine Chance, Einigkeit zu zelebrieren. Als Zeichen des Friedens sollen während der Eröffnungszeremonie weiße Tauben freigelassen werden.
Kaum Bewerber für die Winterspiele 2022
Die Kritik an der WM kommt nicht überraschend. Sportliche Großereignisse, so scheint es, treten neuerdings eher als soziale Reizpunkte denn als nationale Prestigeprojekte in Erscheinung – oder zumindest bedingt das eine das andere. Nach anfänglicher Euphorie kippt immer öfter die Stimmung beim Ausrichter, wenn der tatsächliche Aufwand deutlich wird. Diese Entwicklung trägt aktuell dazu bei, dass kaum noch Bewerber für die Olympischen Winterspiele 2022 übrig sind. Nach Bürgerentscheiden zogen Graubünden (Schweiz), München und Stockholm ihre Bewerbungen zurück. In Krakau sprachen sich 70 Prozent der Abstimmenden gegen die Spiele aus, Oslo ist sich noch uneins.
Großveranstaltungen gefährden die Umwelt
München hat sogar schon das zweite Mal neben den Olympischen Winterspielen 2018 die Ausrichterrolle abgelehnt. Auf der Seite www.nolympia.de werden 18 Gründe aufgeführt, warum man ohne die bedeutendsten Wettkämpfe im Wintersport besser dran ist, darunter Argumente, die auch für die WM in Brasilien von Belang sind. Neben der finanziellen Belastung und der infrastrukturellen Herausforderung leidet auch die Umwelt bei sportlichen Großveranstaltungen.
Teure Stadionneubauten in Südafrika ungenutzt
Seit der EM 2012 sind laut einem Bericht der Zeit in Polen und der Ukraine Flughäfen und andere Gebäude weitestgehend ungenutzt. Ähnlich geht es Südafrika, dem WM-Gastgeber von 2010. Von den zehn Stadien, die als Austragungsort genutzt wurden, baute man fünf eigens für das wichtigste Turnier im Fußball.
Ausgelastet sind davon mangels professioneller Sportmannschaften die wenigsten. Die Stadien in Durban und Kapstadt sind als Steuerfallen bekannt. Kritiker befürchten ein ähnliches Szenario für Brasilien. Dort wurden sieben von zwölf WM-Stadien für viel Geld komplett neu errichtet. Eines davon ist die Arena da Amazônia in Manaus, die vier Spiele der Weltmeisterschaft austragen wird. Was danach mit dem Stadion passiert, ist noch unklar.
Beispielhaft lief es in der jüngeren Vergangenheit in puncto Nachhaltigkeit in Deutschland zur WM 2006. Von den zwölf Spielorten wurde nur das Leipziger Zentralstadion neu errichtet. Durch den Aufstieg Leipzigs in die Zweite Bundesliga kommen in der nächsten Saison sämtliche WM-Stadien im deutschen Profi-Fußball zum Einsatz und können auch für andere Veranstaltungen wie Konzerte genutzt werden.
Sportevents garantieren keine Einnahmen
Laut dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Victor Matheson, der seit Jahren den Einfluss von Sportveranstaltungen auf die Gesellschaft untersucht, muss die Ansicht revidiert werden, dass ein großes Event ein großes Umsatzplus verspricht. Zwar sorge ein Turnier wie die WM natürlich für zusätzliche Touristen, dafür könnten andere abgeschreckt werden. Außerdem seien die Kosten für Sportstätten und sonstige Infrastruktur enorm.
Eine Studie der Wirtschaftsprüfer von PriceWaterhouseCoopers (PwC) kommt zu vergleichbaren Ergebnissen, sieht aber Wirtschaftswachstum und soziale Entwicklung als möglich an, wenn bestimmte Faktoren erfüllt sind. So müssen strukturschwache Regionen mindestens zehn Jahre im Vorlauf planen können, um überhaupt die nötige Verkehrs- und Dienstleistungsinfrastruktur zu schaffen. Wenn diese und andere Voraussetzungen erfüllt seien, könne ein Ereignis wie die WM ein nationales Wir-Gefühl erzeugen und die Stimmung in der Bevölkerung langfristig heben.
Dezentrale Turniere als Alternative?
Fraglich ist dennoch, ob die kurzzeitige Bedeutung von Sportereignissen den Aufwand rechtfertigt, der meist auf den Schultern eines einzigen Landes lastet. Eine mögliche Alternative stellt die dezentrale Fußball-Europameisterschaft 2020 dar. Das Turnier findet unter dem Motto „EURO für Europa“ nicht in einem einzigen Gastgeberland statt, sondern in 13 Metropolen in ganz Europa. Dadurch dürften zumindest größere Bautätigkeiten ausbleiben. UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino lässt sich auf der Seite des europäischen Fußballverbands mit den Worten zitieren: „Anstatt eine Party in einem Land abzuhalten, werden wir im Sommer 2020 eine Party in ganz Europa erleben.“
Wolfgang Zängl, Mitbegründer der Gesellschaft für ökologische Forschung und Initiator von nolympia.de, bleibt skeptisch. „Das IOC wird sich nicht ändern, genauso wenig wie die Fifa und die anderen internationalen Sportverbände“, prognostiziert er. „Es geht nur um Geld und Macht.“ Daher gebe es keine „besseren“ Alternativen zu Olympia, EM und WM.