DebatteHaben wir unsere Angst im Griff?
Jeder hat sie. Viele versuchen sie loszuwerden oder zumindest zu begrenzen. Andere wollen darin eine Botschaft erkennen und sie deshalb annehmen. Wie mit der Angst umgegangen wird, hängt davon ab, welche Bedeutung ihr zugeschrieben wird.
Angst ist ein zweischneidiges Schwert. Sie motiviert oder hemmt uns. Sie trifft Entscheidungen für uns. Ob wir wollen oder nicht: Angst ist als Teil unseres evolutionären Werkzeugkastens in uns. Und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Aber Angst ist auch der Elefant im öffentlichen Raum, den kaum jemand sehen will. Als ob er verschwände, wenn man ihn nur lang genug ignorierte. Wird dann doch offen über ihn gesprochen, scheint es, als ob die unterschiedlichen Beobachtungen dem Phänomen nicht gerecht werden. Dabei kommt es gerade auf die verschiedenen Perspektiven an.
Lassen sich Ängste kontrollieren? Wie auch immer man zu dieser Frage steht, diese Debatte liefert keine eindeutige Antwort. Das wäre anmaßend. Denn das Verhältnis zur Angst ist kompliziert. Deshalb zeichnen auch die Kommentare das Thema nicht schwarz-weiß, sondern versuchen sich an einer Positionsbestimmung in einem Wald aus vielschichtigen Grautönen.
Was wir wissen
Eine wissenschaftliche Annäherung ergibt, dass das Gefühl der Angst genetisch bedingt ist. An der Rutgers University in Piscataway, New Jersey, haben Forscher um Professor Gleb Shumyatsky vor zehn Jahren in Experimenten mit Mäusen herausgefunden, dass das Gen Stathmin sowohl angeborene als auch erlernte Angst steuert. Mäuse ohne dieses Gen zeigten sich viel risikobereiter. (Im Umkehrschluss: Auch Tiere verspüren also Angst.)
Die britische Psychotherapeutin Marisa Peer sagt: „Wir werden nur mit zwei Sorten von Angst geboren: Der Furcht fallen gelassen zu werden und der Furcht vor lauten Geräuschen.“ Babys würden ihre Hand einem (leisen) Hund direkt ins Maul stecken und direkt auf den Rand eines Dachs zukrabbeln. Alle anderen Ängste, wie etwa die Angst vor Zurückweisung, würden mit der Zeit anerlernt.
Was ist „Angst“?
Sprachlich betrachtet unterscheidet man zwischen diffusen Ängsten, das heißt einer Art des Unbehagens, das sich vor Unbekanntem einstellt. Betroffene können oftmals nicht genau erklären, woher ihre Angst rührt, nur „dass sie eben da ist“.
Dem gegenüber steht der Begriff der Furcht. Man fürchtet sich in der Regel vor einer konkreten Sache/Person/Entscheidung. Umstände und Konsequenzen sind genau beschreibbar; was bei der Ursachenbekämpfung von Vorteil sein kann. Eine übermäßige reaktionelle und zeitliche Ausprägung einer Furcht wird auch als Phobie beschrieben.
Typische Alltagssorgen erfüllen nur in Teilen den Tatbestand der Angst. Sie gehen im latenten Zustand kaum mit klassischen körperlichen Angstsymptomen einher. Meist treten sie nur bei entsprechender Gelegenheit prominent in Erscheinung, um dann jedoch die volle Aufmerksamkeit für sich einzufordern.
Ihnen allen gemein ist, dass sie sich überwiegend auf Zukünftiges beziehen, das möglicherweise nie zur Realität wird.
Thematisch sinnvoll
Biologisch betrachtet kann uns punktuell gefühlte Angst mehr Konzentration und eine höhere Leistungsbereitschaft bringen. Wird das Gefühl aber zum Dauerzustand und macht – einer Traumatisierung ähnlich – ein normales Leben unmöglich, sind wir längst im Bereich krankhafter Angststörungen (Phobien) angekommen. Sich von seiner Angst (vor Spinnen, engen Räumen etc.) vollkommen beherrschen zu lassen, ist dabei alles andere als natürlich oder gesund und bedarf therapeutischer Maßnahmen.
Doch sich Ängsten selbst bewusst zu werden, sie sich einzugestehen und dann auch noch anderen gegenüber zuzugeben, verlangt enorm viel Mut. Und in auf Selbstoptimierung versessenen Gesellschaften in Ost und West gleicht das Ganze umso mehr einer regelrechten Mutprobe, inklusive entsprechender Fallhöhe. Also wird besser geschwiegen, die Scham mit der Angst unterdrückt und das Thema kann wieder von der Tagesordnung. Denn wer Angst zeigt, ist doch nur schwach, richtig?
Gerade weil die Einstellung zur Angst vom Umfeld abhängt und damit sozio-kulturell geprägt ist, kann sie auch dort am besten angegangen und verändert werden, sodass nicht nur das individuelle Verhalten den Unterschied machen muss, wie die Psychologin Peer sagt. Idealistische Erwartungshaltungen oder übervorsichtige Erziehungsmethoden reichern ihr zufolge vor allem den Angstspeicher von Kindern an. Auch wenn eigentlich das Gegenteil erreicht werden sollte. Und dann stellt sich erneut die Frage: Kann man die so geschürten Ängste wieder in den Griff kriegen?