ContraFreiheit, du Unvermeidliche
Über’s Ziel hinaus? Dafür steht das Ideal der Freiheit nicht zur Verfügung. Im Gegenteil, es braucht eine theoretische Überhöhung, an der wir uns orientieren können. Nur das, was als gemeinsames Ziel anerkannt ist, hat die Chance, in der Realität wenigstens teilweise zu bestehen.
Frei sein, zu tun, was man will, sich frei bewegen können – und sich darüber überhaupt keine Gedanken machen: Das ist die Leichtigkeit einer unbeschwerten Kindheit. Auf dem Weg zum Erwachsensein verändert sich etwas an diesem Gefühl. Pflichten, Verantwortung und Druck wachsen. Wir selbst binden uns an Dinge und Menschen, treffen eigene Entscheidungen und fühlen uns doch zwischendurch oft machtlos und fremdbestimmt. Wir praktizieren unsere eigene Freiheit und merken dabei nicht, dass nicht zuletzt das Gefühl von Freisein schwindet.
Was also gilt? Ist Freiheit gleichzusetzen mit Autonomie in jeder Lebenslage? Steht wirklich jedem Menschen ein bestimmtes Maß an Freiheit zur Verfügung? Immerhin sollte das unser Anspruch sein, nicht wahr? Uns als Menschen sollte freistehen, nach eigenem Belieben für uns zu entscheiden. Aber solchen Definitionen und Vorstellungen wird die Realität, in der wie leben, meist nicht gerecht. Freiheit drückt sich auf unterschiedliche Art und Weise aus, hängt von den Erfahrungen ab, die wir im Leben machen, von dem Wissen und den Eindrücken, die wir im Laufe der Zeit hinzugewinnen. Aber das sollte niemanden davon abhalten, ein Ideal von Freiheit zu erschaffen, so wie sie sein könnte, für alle sein sollte, immerzu und überall.
Echte Freiheit – oder doch nur Befreiung?
Eine der Denkerinnen, die sich intensiv mit Freiheit (und Macht) beschäftigt hat, ist Hannah Arendt. Ihr Essay „Die Freiheit, frei zu sein“ ist über ein halbes Jahrhundert alt, wurde aber erst vor wenigen Jahren in ihrem Nachlass gefunden und publiziert. Er ist besonders heute erstaunlich aktuell. Darin reflektiert die bekannte jüdische Philosophin die Begriffe von Freiheit und Befreiung, inspiriert von mehreren Revolutionen und studentischen Revolten. Sie unterscheidet zwischen den beiden menschlichen, nachvollziehbaren Wünschen „nach Befreiung, also frei zu sein von Unterdrückung“ und „nach Freiheit, also ein politisches Leben zu führen“.
In der Praxis sind diese beiden Sehnsüchte nur schwer auseinanderzuhalten, sind sie doch eng miteinander verwoben und lassen sich kaum klar voneinander abgrenzen. Zusammengefasst beschreiben Arendts Thesen: Wer wirklich frei sein will, muss sich erst aus jeglicher Unterdrückung (selbst) befreien. Damit erhält die Vokabel „Freiheit“ den politischen Überbau, der sie überhaupt erst zur Freiheit macht, so jedenfalls versteht es Arendt. Allerdings ist nach ihrer Auffassung Freiheit so unvorhersehbar wie unvermeidlich, wie eigentlich alles im Leben – laut der Autorin. Wer dieses Wissen um eine derartige „echte Freiheit“ verinnerliche, würde es nie wieder los.
Das Ideal der Freiheit
Nicht allein die Abwesenheit von Furcht und Zwängen steht für Freiheit, geht es nach Hannah Arendt. Denn Freiheit basiert ihr zufolge auf der Theorie des politischen Handelns, sprich gesellschaftlicher Beteiligung und Engagement.
Mit anderen Worten, bevor nicht Unterdrückung und Gewalt beendet werden, ist eine weitere Auseinandersetzung darüber, was Freiheit darüber hinaus für den Einzelnen bedeuten kann, hinfällig. Aber wie lassen sich Terror und Unterjochung überwinden? Braucht es ein höheres Ideal als das in der Realität umsetzbare Prinzip? Und besteht nicht unsere Freiheit gerade darin, so viel von ihr anzustreben, wie wir wollen oder für richtig erachten? Freiheit ist, was wir daraus machen, oder nicht?
Ich glaube, wer Freiheit idealisiert, hält sie nicht für besser, als sie tatsächlich ist. Im Gegenteil, ich denke, wir unterschätzen die Möglichkeiten, die uns ein Leben in Freiheit bietet. Als eine der wichtigsten Ressourcen überhaupt, gilt es, sie wahrzunehmen, auszukosten, das Außergewöhnliche zu erkennen und zu würdigen. Sicher, diese Einschätzung entspricht der Position eines weißen Menschen in der westlichen Welt. Aber ist es falsch, nach den Sternen zu greifen? Oder mit dem irischen Literaten George Bernard Shaw gesprochen: „Manche Menschen sehen die Dinge so, wie sie sind – und fragen: Warum? Ich erträume Dinge, die es noch nie gegeben hat, und frage: Warum nicht?“
Macht Technik wirklich frei?
Besonders heute, im Zeitalter der Digitalisierung, wird Freiheit vermehrt hinterfragt, steht auf der Kippe. Einerseits wird vor kontrollierter Netzpolitik und Überwachungsszenarien gewarnt. Andererseits nehmen Verfasser von Hatespeech für sich in Anspruch, zu dürfen, woran sie niemand hindert. Sich ihnen entgegenzustellen, heißt im Grunde auch, ihre Freiheit begrenzen zu wollen. Aber vielleicht führt kein Weg daran vorbei. Wer sich nur noch im Privaten durch Rechte geschützt fühlt, aber nicht öffentlich handelt, also selbst nicht wagt, Kommentare im Netz abzugeben, erliegt als Individuum einer „negativen Freiheit“, wie Arendt es ausdrückt. Mit der Folge, dass sich Menschen aus Angst vor Konflikten zurückziehen. Man will nur noch sein Recht geltend machen, in Ruhe gelassen zu werden, und trägt so gerade nicht zu einer freieren Welt bei.
Wer die Freiheit besitzt, sich aus zwischenmenschlichen Konflikten herauszuhalten, stärkt damit vor allem die zwischenmenschliche Handlungsunfähigkeit. Technischer Fortschritt erlaubt einem großen Teil der Menschheit, freizügig und freiheitlich eingestellt zu sein. Es bleibt also dabei: Freiheit nicht nur realistisch umzusetzen, sondern parallel dazu auf ein Ideal ihrer selbst hinzuarbeiten, ist mehr als nur eine Utopie.
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