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DebatteIst selbstbestimmte Arbeit ein Privileg?

Von Christoph Fischer / 30. Juni 2023
picture alliance / Westend61 | HalfPoint

Wir steigern das Bruttosozialprodukt? Das Modell des klassischen Nine-to-Five-Jobs steht immer häufiger in der Kritik, der Ruf nach mehr Selbstbestimmung wird lauter. Die Arbeitswelt steht vor einem Umbruch. Aber kommt der allen zugute?

„There’s a better life and you think about it, don’t you?”, sang die US-amerikanische Country-Sängerin Dolly Parton schon 1980 in ihrem Song „Nine to Five“. Sie beschreibt darin einen klassischen Arbeitsalltag: Aus dem Bett taumeln, durch den Verkehr zwängen, dem Chef die Taschen füllen. Tagein, tagaus.

Seit damals hat sich lange Zeit wenig am altbekannten Konzept geändert. Mittlerweile regt sich jedoch Widerstand. Nicht nur die Generation Z sieht Verbesserungsbedarf: Gewerkschaften und sogar Arbeitgeber steigen auf den Zug der Kritik auf. Es braucht eine neue Beschäftigungskultur. Wie kann die Arbeit der Zukunft aussehen?

Tick, Tack

Der ständige Blick auf die Uhr ist für viele Beschäftigte alltägliche Praxis. Die Minuten, die dem wohlverdienten Feierabend entgegenstehen, vergehen wie in Zeitlupe. Stehen die Zeiger dann endlich günstig, bedeutet das aber immer noch nicht, dass das Ende erreicht ist. Laut Statistischem Bundesamt haben im Jahr 2021 insgesamt 4,5 Millionen Arbeitnehmer*innen Überstunden gemacht. Davon wurden ganze 22 Prozent nicht vergütet.

Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen ist insbesondere ein Kampf um die Arbeitszeit. Regelmäßig kommt die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche auf, auch für die nächste Tarifrunde in der westdeutschen Stahlindustrie. „Die Forderung, in der Stahlbranche die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich umzusetzen, zielt erstmals auf einen kollektiven, tariflich abgesicherten Anspruch für Beschäftigte einer ganzen Branche. Das ist ein nächster Schritt in eine attraktive industrielle Arbeitswelt, die Leben und Arbeit gut vereinen lässt“, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall (IG-Metall).

Diese Idee von einer Arbeitszeitverkürzung ist nicht neu. Schon Ende der 70er-Jahre fanden in Nordrhein-Westfalen Streiks rund um die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche statt. Damals ging es ebenfalls um die Zustände in der Stahlindustrie. Doch es gibt Branchen, die noch flexibler sein könnten. In denen kein Hochofen im Dauerbetrieb laufen muss.

Das heimische Büro

Vielfältigere Reformmöglichkeiten bieten sich für die zahlreichen Büroangestellten, so die These, für die sich immer mehr Menschen zu begeistern scheinen. Hier sei es nicht nur die Arbeitsdauer, an der sich schrauben ließe, sondern auch der Ort. In den Zeiten der pandemiebedingten Lockdowns haben viele Menschen nicht etwa im Großraumbüro, sondern im häuslichen Arbeitszimmer (oder am Küchentisch) ihre Tätigkeiten verrichtet. Diese Arbeit im “Homeoffice“ bieten einige Arbeitgeber auch heute noch an.

Doch das Konzept der “mobilen Arbeit“ geht darüber hinaus. Nicht nur zuhause, sondern auch unterwegs im Hotel oder Zug darf dann das Bruttosozialprodukt gesteigert werden. Einen rechtlichen Anspruch gibt es auf beides bisher nicht. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) äußerte sich dazu bereits 2020: „Dort, wo es möglich ist, sollen alle Angestellten einen gesetzlichen Anspruch von mindestens 24 Tagen pro Jahr für mobile Arbeit bekommen“. Ein solches Gesetz ist nicht beschlossen worden, im Koalitionsvertrag der Ampel wurde es lediglich als Ziel festgehalten.

Ein Balanceakt

Immer hörbarer wird darum der Ruf nach Veränderung, ob durch die Politik oder den Markt. Der Beruf ist insbesondere für junge Menschen nicht mehr der Mittelpunkt des Lebens. Laut der Randstad-Workmonitor-Untersuchung 2022 gaben vor allem die jüngeren Berufstätigen unter 35 Jahren an, dass sie bei Jobs auf eine ausgeprägte Work-Life-Balance achten.

Hinter dem “Arbeitsbarometer“ des größten Personaldienstleisters in Deutschland verbirgt sich eine Studie, die Arbeitnehmer*innen in Europa, Asien-Pazifik sowie Nord- und Südamerika befragt. Darauf reagierte manches Unternehmen öffentlich. So wirbt die Volkswagen-Gruppe auf ihrer Website mit flexiblen Arbeitsbedingungen und positiver Work-Life-Balance.

In Zeiten des Fachkräftemangels werden die meisten Arbeitgeber voraussichtlich eher früher als später nachziehen müssen. Der durch die Bewerber*innen dominierte Arbeitsmarkt treibt schon jetzt die Personalabteilungen vor sich her.

Kein Bock auf Wandel?

Ob von diesem Paradigmenwechsel alle profitieren können, scheint fraglich. Mobiles Arbeiten kommt nicht in allen Branchen in Betracht und die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Freizeit (oder Familie) könnte mit einem hohen Preis verbunden sein – wortwörtlich.

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, nannte die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn gar eine „Milchmädchenrechnung“. Die Auffassung des BDA: „Nur mit mehr Bock auf Arbeit und Innovationen werden wir unseren Sozialstaat und den Klimaschutz auf Dauer finanzieren können“.

Ein solcher Widerstand auf Arbeitgeberseite könnte einer tiefgreifenden Umgestaltung der beruflichen Umstände den Wind aus den Segeln nehmen. Handelt der Gesetzgeber nicht, könnten lange Arbeitskämpfe nicht nur einer Beschäftigtengeneration erforderlich sein, bis die Arbeitswelt der Zukunft kommt. Das sollte nicht im Sinne der Beteiligten sein.



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