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ContraDie tolerierte Tötungsmaschinerie

Von Andrea Burkhardt / 30. August 2019
picture alliance / Countrypixel | FRP

Eintagsküken sind keine Eintagsfliege, aber so schnell wie das Thema alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, so schnell ist es auch wieder vom Tisch. Die richterliche Entscheidung über männliche Küken hilft da nicht weiter, sondern offenbart nur die Inkonsequenz unserer Gesellschaft.

Niemand darf einfach so, „ohne vernünftigen Grund“ einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, heißt es im Tierschutzgesetz. Dass das wirtschaftliche Interesse eines Betriebes, der Hennen mit einer hohen Legeleistung züchtet, keinen vernünftigen Grund darstellt, scheint mir auf der Hand zu liegen. Die Richter am Bundesverwaltungsgericht sehen das anders und begründen ihre Entscheidung damit, dass es „voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei“ geben werde, die serienmäßig genutzt werden können. Welcher Zeitraum genau mit „in Kürze“ umschrieben ist, bleibt offen – und das beklagte Tierleid bestehen.

Richterliches Rumeiern

Mit diesem Beschluss und mit ihm das Tolerieren des Kükenschredderns setzt das Gericht zwar ein Zeichen für den Tierschutz, aber nur ein schwaches. Ein klares Verbot wäre hier eindeutiger und wünschenswerter gewesen. Schreddern ist mittlerweile zwar der falsche Begriff, denn die sogenannten Bruderküken werden meistens nicht mehr lebendig in einen Schredder geworfen, sondern vergast, 45 Millionen jedes Jahr. Aber mindert diese Methode das Leid der Küken!?

Hennen werden so gezüchtet, dass sie langsam Fleisch ansetzen und viele Eier legen. Männliche Küken sind weder für die Fleisch- noch für die Eierproduktion geeignet, heißt es, weswegen deren Tötung eine wirtschaftliche Notwendigkeit für die Betriebe sei. So die Argumentation.

Das eingeschränkte „Ja“ zur Kükentötung entspricht einer widersinnigen Vernunftentscheidung: Einerseits soll Leben geschützt, andererseits darf dafür aber die Wirtschaftlichkeit profitorientierter Betriebe nicht riskiert werden. Wirtschaftlichkeit wird über Leben gestellt, obwohl sie als Grundvoraussetzung für Leben gesehen wird. Das ist richterliches Rumeiern.

Es beginnt im Supermarkt

An anderer Stelle zählt dagegen das Verbraucherverhalten. Ohne entsprechende Nachfrage, kein Angebot. Jeder Konsument hat es mit seiner Kaufentscheidung selbst in der Hand. Seit Herbst 2018 können in deutschen Supermärkten Eier gekauft werden, für deren Produktion explizit keine Küken getötet werden. Deren Preis ist etwas höher als der gewöhnlicher Eier. Aber das ist es eben: Möchte ich mehr Geld bezahlen und dafür ein gutes Gewissen haben? Oder entscheide ich mich für das günstigere Angebot und gegen die Moral? Viele können sich das wahrscheinlich nicht leisten, aber es gibt genügend, die es könnten und trotzdem nicht tun.

Im Übrigen stellt sich die Frage, ob die breite Masse der Konsumenten überhaupt weiß, was sie da in den Einkaufskorb legt. Das Urteil aus dem Juni ist längst nicht mehr der Rede wert, scheint es. Das neueste vegane Superfood dagegen schon. Andererseits: Nicht jeder macht sich permanent Gedanken darüber, wie das Essen auf den Teller gekommen ist. Nicht jeder weiß vom Kükentöten, denn auf den Packungen steht ja nicht: „Für die Produktion dieser Eier wurden tausende männlicher Küken vergast.“

Die Schuldfrage

Klar, am Ende sind die Verbraucher schuld. Und die Betriebe, die das Töten durchführen. Und das Gericht… Doch wie wär’s damit: Die meisten haben, nun ja, ein flexibles Verständnis von Tierschutz. Offiziell wollen wir Verantwortung für andere Lebewesen übernehmen, sie nicht nur zur Objekten machen. Nur warum stellen wir uns dann einfach weiter über sie und wundern uns, dass es unseren Mitgeschöpfen, ja, der Erde selbst immer schlechter geht?

Der gerichtliche Beschluss ist juristischer Ausdruck unserer Inkonsequenz. Wir wissen, es ist ethisch und moralisch verwerflich, was hier täglich praktiziert wird. Machen es aber dennoch oder lassen es zumindest geschehen. Weil es gerade nicht bequem ist, Neues auszuprobieren. Obwohl andere, humanere Methoden bereits zur Verfügung stehen. Sie müssen nur häufiger eingesetzt werden. Also wieder eine Frage des Geldes. Aber auch des Willens!

Umbruch findet nicht nur in den Köpfen statt

Was nicht getan wird, spielt keine Rolle. Was getan wird, macht aber letztlich den Unterschied. Man kann solche Eier boykottieren, für die der Tod frisch geschlüpfter Eintagsküken zur Bedingung gemacht wird. Man kann in Methoden investieren, die das Geschlecht entstehender Küken frühzeitig erkennen und so ihre Tötung verhindern. Es gibt diese Lösungen bereits. Wie auch das Umdenken selbst, aber vor allem braucht es mehr Taten.

Und das gilt überall: Wo ein moralischer Widerspruch ist, sollte gehandelt werden. Und wenn die judikative Kraft durch solch ein Urteil nur den vorhandenen Widerspruch unserer Gesellschaft widerspiegelt, müssen eben wir als solche den ersten Schritt in die richtige Richtung gehen anstatt falsche Toleranz zuzulassen.



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