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DebatteLohnt sich das Landleben?

Von Christa Roth / 28. November 2018
picture-alliance/ ZB | Karlheinz Schindler

Wie und vor allem wo Wurzeln schlagen? Eine Antwort darauf hängt nicht zuletzt vom aktuellen Zeitgeist ab und der trägt deutlich urbane Züge. Der Überblick zum Thema „Stadt-Land“ veranschaulicht ein paar Hintergrundinfos zu dieser Diskussion.

Stadt? Land? Flucht! Manchen ist schon früh bewusst, wo sie ihr Leben nicht zubringen wollen: In der Provinz als Landei enden kommt für sie nicht in Frage. Schließlich gibt es moderne Metropolen, die einem alles bieten. Fast. Zumindest so viel, dass man gar nicht mehr weiß, womit man seine Zeit verbringen will. Welches Restaurant ausprobieren, welche Ausstellung besuchen und zu welchem Konzert gehen? Die Qual der Wahl, das Überangebot wird zunehmend zum Problem. Denn Stadtliebe kann auf einmal in Stadtstress ausarten. Nicht nur während glühender Sommerhitze. Oder im zähen Feierabendverkehr. Oder wegen explodierender Mieten.

Grund genug für viele, zweimal zu überlegen: Was spricht für, was gegen ein beschauliches Leben auf dem Land? Das Abwägen relevanter Argumente ist für die eigene Positionsbestimmung unerlässlich. Aber auf Grundlage welcher Fakten? Urbanisierung und Landflucht geschehen rasend schnell und sind zudem teilweise sehr unübersichtliche Phänomene. Gleichzeitig gilt die Dichotomie zwischen grünem (Öko-)Land und grauen Stadtstraßen angesichts von nitratverseuchten Böden einerseits und begrünten Innenstadtmodellen andererseits eigentlich kaum mehr.

Arbeit und Wohnen entscheiden

Fest steht: Es zieht die Menschen in die Städte. Laut dem Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) der Bertelsmann Stiftung liegen dabei nicht nur dicht besiedelte Großstädte (ab 500.000 Einwohner) wie Hamburg, Berlin oder Köln im Trend. Kleine und mittelgroße Städte wie Bad Neustadt an der Saale und Aurich in Ostfriesland erfreuen sich ebenso wachsender Beliebtheit. Dünn besiedelte Gebiete verlieren dagegen seit 2006 deutlich an Bevölkerung. Die Ursachen für die Abwanderung sind vielfältig. Junge Leute haben bessere Ausbildungschancen und Arbeitsplätze im Blick, ältere die Nähe zu ihren Kindern und verlässlichere Versorgungsangebote.

Diese Binnenwanderungen bleiben natürlich nicht folgenlos. Sie verändern die Sozialstruktur der jeweiligen Orte und Landstriche massiv. Ob eine Kommune in den Ausbau moderner Infrastruktur investiert, hängt eben auch davon ab, wer diese langfristig nachfragt – und mitfinanziert. Vor allem in etlichen Gegenden im Osten zerfallen viele kleinere Gemeinden, ihre Bewohner kommen zusehends älter, verlassener und abgeschotteter daher. Statt Landidyll: Provinztristesse.

Doch auch zu dieser Regel gibt es natürlich Ausnahmen. Manche Kommunen in ländlichen Regionen verzeichnen eher einen Zuzug. Finsterwalde im südlichen Brandenburg oder Parchim in Mecklenburg-Vorpommern zählen laut den Studienergebnissen des ILS genauso zu den Einwohnergewinnern wie Eschwege in Nordhessen. Ausreichend Jobs und bezahlbarer Wohnraum als Grundvoraussetzungen scheinen hierfür ursächlich zu sein. Erst an zweiter Stelle spielen eine gute Anbindung an wichtige Verkehrsadern beziehungsweise ausgebauter Personennahverkehr, schnelles Internet oder eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft eine Rolle.

Man gibt sich städtisch

Offiziellen Zahlen zufolge lebten bereits 2012 rund 77 Prozent der Deutschen in großen Ballungsgebieten und nur noch 15 Prozent in Dörfern mit weniger als 5.000 Einwohnern. Anders als im Fall der französischen Nachbarn ist die deutsche damit eine ausgesprochen urban geprägte Gesellschaft.

Das gilt nicht nur hinsichtlich der örtlichen Siedlungstendenzen, sondern auch in Bezug auf die Alltagsgestaltung, Einrichtungsgewohnheiten und das Konsumverhalten insgesamt. So sollen sich die Lebensweisen der Dörfler denen der Städter immer mehr angleichen, hat Ulrike Gerhard, Professorin für Geographie an der Universität Heidelberg, festgestellt. 2014 betonte sie gegenüber dem Informationsdienst Wissenschaft die daraus resultierenden Transformationsprozesse, die für die Stadtentwicklung prägend seien, und bereits ebenso in ländlichen Gebieten zu beobachten sind. „Es geht dabei um die Bereiche Wohnen, Arbeiten und Bildung sowie Umweltgerechtigkeit, Energiewende und sozialen Ausgleich. Von besonderer Bedeutung ist dafür visionäres, nachhaltiges Bauen.“ Solarzellengedeckte Dächer zur dezentralen Stromerzeugung für den digital nutzbaren Kühlschrank sind da nur ein erster, kleiner Schritt in Richtung Zukunft.

Neben der Wissenschaft hat auch die Politik die Zeichen der Zeit erkannt. „Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land“ zu schaffen ist ein erklärtes Ziel der großen Koalition. Was genau damit gemeint ist? Vielleicht das hier: Das Attribut „ländlich“ soll nicht mehr mit „provinziell“ zu verwechseln sein und Innenstädte sollen nicht weiter sozial entmischt und immer anonymer werden. Spätestens hier kippt andernfalls das positive urbane Flair in ein negatives Lebensgefühl. Anders lässt sich sonst kaum erklären, dass laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage des ZDF die Mehrheit der Deutschen zwar in Städten wohnt, jedoch 44 Prozent unter ihnen vom Landleben träumen.

Ein wichtiger, aber lange Zeit eher wenig beachteter Faktor stellt schließlich die Zusammensetzung der Nachbarschaft dar. Der dort vorhandene – oder eben mangelnde – Zusammenhalt entscheidet langfristig über die Lebensqualität mit. Die Autoren Ina Brunk und Michael Vollmann sehen in solidarischen Nachbarschaftsstrukturen eine der essentiellen Ressourcen gegen innergesellschaftliche Spaltungstendenzen. Sie sind nicht zuletzt deshalb Mitbegründer der größten europäischen Nachbarschaftsplattform: www.nebenan.de.



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