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ProOde an das Landleben

Von Andrea Lindner / 28. November 2018
picture alliance / PantherMedia | Volodymyr Melnyk

Landleben lohnt sich – trotz langer Wege, schlechter Infrastruktur und Stallgeruch. Anonym sein geht dort zwar nicht. Aber wer braucht das schon, wenn er entspannte Nachbarn hat – und Weite, sehr viel Weite.

Tief taucht die Federung der Lenkergabel ein, als ich mit dem Mountainbike über einen Wurzelstock jage. Es hört sich an wie eine Nähmaschine, wie ich so über den Feldweg rattere am Donnerstagabend, Ende August. Ich bin endlich mal wieder daheim. Im Dorf meiner Kindheit. Die Sonne im Gesicht, kitzelt der warme Duft von Heu und offenem Land in der Nase. Da sehe ich gerade noch, wie der Traktor vor mir sein Wendemanöver beendet und mir klar wird, was er da im Schlepptau hat. Ich greife hart in die Bremshebel, versuche auszuweichen, ducke mich tief – aber all das nützt nichts. Ein feiner, warmer Sprühnebel legt sich auf meine Haut, Haare, Kleidung. Es ist Odel-Zeit. Das heißt, die Luft ist voll von Gülle. Und ich jetzt auch.

Glücklicher Dreckspatz

Dies liest mancher Stadtbewohner jetzt vielleicht mit Schadenfreude. Ja, das kann euch nicht passieren, euch Stadtmenschen. Und auch schwer vorstellbar für euch, dass man für einen Einkauf mal bis zu 20 Kilometer weit fahren muss. Gänzlich undenkbar, nach einer Party über Feld und Wiese nach Hause zu… laufen. Ja – das ist Realität auf dem Land. Und ich verrate euch noch was: Es ist herrlich!

Wenn du morgens um halb sechs nach einer Party über Gleise, auf denen eh kein Zug fährt, mit Freunden nach Hause läufst und tiefschürfend über die Probleme der Welt philosophierst, während sich ein Silberstreifen am Horizont leicht rosa-orange verfärbt und die Vögel aus den Bäumen ihr Morgenlied singen – dann ist das einfach wunderbar. Landleben pur.

Ich habe meine Kindheit auf Dreckbergen, weiten Wiesen und Feldern verbracht. Habe mit meinen Geschwistern im Wald Lager gebaut, Bäche gestaut und Äpfel aus Nachbargärten geklaut. Stilisiere ich damit ein Idyll? Mag sein. Das könnte daran liegen, dass ich momentan in der Stadt lebe. Berufsbedingt.

Zurück in die Dorfzukunft

Wenn ich könnte, würde ich sofort auf’s Land ziehen. Aber leider gibt es dort weder eine Uni noch viele Jobmöglichkeiten für Berufseinsteiger. Aber ich weiß genau: Irgendwann gehe ich zurück.

Das hat diverse Gründe – und nein, eine Odeldusche gehört nicht dazu. Es geht um landschaftliche Weite, menschliche Nähe und um Freiheit. Aber nochmal kurz zur Odeldusche. Sie steht geradezu sinnbildlich für das Landleben. Sowas passiert eben. Nicht aufgepasst. Und dann? Dann bin ich weitergefahren. Ist ja nur Dreck.

Diese Leichtigkeit vermisse ich in der Stadt. Dieses das „passt schon“, „wird schon“, „hilft ja nichts“. Ich schätze diese Mentalität. Denn sie bedeutet: sich anzupassen. Sie hat etwas Demütiges.

In dieser Demut betrachtet man die Welt anders. Mich lässt sie staunen: zum Beispiel über die Weite, die einem das Land schenkt. Keine engen Häuserschluchten und keine ewigen Staus. Beim Verlassen des Hauses kann ich auf- und frische Luft einatmen. Die Natur riechen. Hinter der nächsten Häuserzeile beginnt schon das freie Feld. Weizen, Mais und Wiesen soweit das Auge reicht. Das macht was mit einem Menschen, wenn er frei blicken kann und sich nicht von Beton und Asphalt erdrückt fühlt. Es lässt sich schwer in Worte fassen, aber diese Grenzenlosigkeit lässt in mir ein Gefühl von Freiheit auflodern. In der Stadt habe ich dieses Gefühl nie.

Herrlich ehrlich

Außerdem: Das Landleben hat Einfluss auf unseren persönlichen Erfolg. Forscher von der Freien Universität Amsterdam haben wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Natur sich positiv auf uns auswirkt. In ihrer Studie haben sie das Entscheidungsverhalten von Menschen unter unterschiedlichen Umwelteinflüssen untersucht. So sind die Menschen vom Land geduldiger und treffen bessere Entscheidungen, die zu langfristigem Erfolg führen. Nicht schlecht, oder?

Landbewohner sind nicht unbedingt anders – aber sie sind anders zueinander. Sie sind nicht netter oder freundlicher oder höflicher, aber sie sind sich näher. Wenn ich in meinem Heimatdorf die Straße entlang gehe, grüße ich die Menschen, denen ich begegne. Ein kurzes Hallo, ein Lächeln. Weil man sich eben kennt. Ab und an bleibe ich auch für ein Gespräch stehen. Es sind vor allem die kleinen Dinge, die besprochen werden. Die Frau Schuster ist grad‘ im Krankenhaus, die Mutter vom Herrn Mayer ist verstorben und Evi und Hans haben endlich geheiratet.

Unnötiger Klatsch und Tratsch? Mitnichten. Die Menschen auf dem Land wissen voneinander, kümmern sich umeinander und fragen nach. Mal aus ehrlichem Interesse, mal lediglich aus Höflichkeit. Anonymität ist hier kaum möglich. So schrieb der berühmte russische Autor Leo Tolstoj in seinen Tagebüchern: „Wenn man auf dem Lande lebt, weiß man, ob man will oder nicht, alles, was ringsum vor sich geht.“ Ich liebe das.

Und nicht nur ich: Auch zahlreiche Prominente ziehen die Landidylle der hektischen Stadt vor. Zum Beispiel der deutsche Schauspieler Matthias Schweighöfer. Er lebt mit Frau und Kindern auf einem Bauernhof in Brandenburg. Dort sollen die Kinder die Natur kennen lernen. Oder seine amerikanische Kollegin Julia Roberts. Auch sie genießt ihre freie Zeit am liebsten auf der weitläufigen Ranch in Texas. Die Liste prominenter „Landeier“ ließe sich noch lange fortsetzen.

Vor die Wahl gestellt, würde ich mich immer für’s Land entscheiden. Nicht nur wegen der Weite, der Menschen dort und der Natur. Auch wegen der Odel-Momente.



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