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ProAufklärung ist wichtiger als strengere Gesetze

Von Aloys Osewold / 31. März 2022
picture alliance / Zoonar | Anton Eine

Es reicht. Noch mehr rechtliche Einmischung in unsere alltägliche Kommunikation braucht es nicht. Auseinandersetzung muss stattfinden. Auch wenn sie mal unter der Gürtellinie landet.

Täglich werden Menschen im Internet beleidigt. Aufgrund des Geschlechts, der Ethnie, sexueller Orientierung oder anderen identitären Merkmalen der Person. Attackiert werden diese Personen zum Teil auch mit anderen, spezifischen Beleidigungen. Judenhass, zum Beispiel, speist sich oft aus Vorurteilen über die vermeintlich vorhandene Geldgier eines gesamten Volkes.

Draußen, auf der Straße, umfassen Beleidigungen und Beschimpfungen auch die Gestik, wie der Mittelfinger, oder den tätlichen Angriff, wie das Bespucken.

Aber nicht jede subjektiv als Beleidigung empfundene Äußerung wird als so drastisch bewertet, dass sie objektiv vor dem Gesetz – und damit von einem Gericht – als straffällige Beleidigung beurteilt wird. Dem steht das Recht der freien Meinungsäußerung entgegen; immerhin eine große Errungenschaft unserer offenen, liberalen Gesellschaft. Allerdings gilt dieses Recht nur insoweit, als dass man die Rechte anderer Menschen nicht verletzt. In diesem Fall also das Recht, nicht beleidigt zu werden.

Soviel zur offiziellen Gesetzeslage, aber wie sieht es gesellschaftlich aus?

Eine Beleidigung hat in meinen Augen immer das Ziel, das Selbstwertgefühl einer Person oder das Ansehen einer Person bei Dritten herabzusetzen. Manche sprechen auch von Ehre. Und je einschneidender das erreicht werden soll, desto schlimmer ist die Beleidigung. Dabei sind Beleidigungen nicht nur ein Zeichen von Respektlosigkeit, sondern auch Ausdruck von Angst. Denn man kann einer Person durchaus widersprechen, ohne sie damit zugleich beleidigen zu wollen. Aber sollten wir deswegen unsere Gesetze zur juristischen Ahndung von Beleidigungen wie im Fall Renate Künast weiter verschärfen?

Ich finde: Nein.

Angst wird als Handlungsmotiv außer Acht gelassen

Bereits jetzt gilt: Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung „öffentlich, in einer Versammlung, durch Verbreiten eines Inhalts oder mittels einer Tätlichkeit begangen wird“, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe sanktioniert.

Außer Acht gelassen wird dabei, dass Angst ein relevanter Faktor in diesem Zusammenhang ist. Zur mentalen Gesundheit gehört dazu, auch Angst in womöglich unschöne Worte zu fassen und kommunizieren zu dürfen. Vielfach lernen Leute auch einfach nicht, mit ihrer Angst umzugehen. Sie werden zu Getriebenen.

Um Beleidigungen im Internet angemessen zu begegnen, sollten die Ängste der vielen verschiedenen Menschen beachtet werden, die online miteinander in Kontakt treten. Naturgegeben gestaltet sich das etwas schwierig bei ca. 83 Millionen Menschen in Deutschland. Jeder Mensch hat andere soziale Ängste und persönliche Sorgen, lebt sie unterschiedlich aus. Manche Ängste werden ernster genommen als andere, einige verlacht.

Wir brauchen endlich eine positive Debattenkultur

Wir müssen Menschen in jungen Jahren Werkzeuge an die Hand zu geben, um sich ihren Ängsten zu stellen. Das heißt: sie produktiv in Worte und Taten fließen zu lassen, anstatt sie provokativ zu Hass zu steigern. Das ist möglich, denn Kommunikation kann man lernen.

Zugleich müssen wir an unserer Resilienz arbeiten. Wer sich allzu schnell von mutmaßlichen verbalen Angriffen durch Störenfriede persönlich angegriffen fühlt, lässt sich vielleicht auch zu Äußerungen hinreißen, für die er/ sie sich dann später möglicherweise schämt. Die Situation eskaliert, obwohl es nicht soweit hätte kommen müssen.

Um subjektiv empfundene Beleidigungen juristisch nachverfolgen zu können, braucht es eine objektive Festlegung, was als tatsächliche Beleidigung zu werten ist und welche Aussage von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Im Fall Künast haben das mehrere Gerichte eindeutig getan, was Künast aber nicht akzeptieren wollte.

Im gesellschaftlichen Kontext gibt es deutlich mehr Nuancen als es ein Gesetzestext erfassen kann. Anders als im realen Leben da draußen fehlt der Kommunikation online die nonverbale Komponente, welche aus einer ernsten Beleidigung ein freundschaftliches Necken machen kann. Zusätzlich bietet das Internet Anonymität. Das erleichtert es, andere, fremde Menschen anzufeinden. In diesem Handeln zeigt sich das Gefühl einer moralischen Überlegenheit, die eigene Meinung als die einzig richtige zuzulassen.

Eine positive Debattenkultur, in der die eigene Position reflektiert und andere Meinungen toleriert werden, kann erlernt werden durch Aufklärung und Bildung. Zumindest dann, wenn wir uns dieser nicht ganz einfachen Aufgabe wirklich annehmen wollen, anstatt bis zu einem Gerichtsurteil zu warten.

Für alle, die den Rechtsweg nicht ausschließen wollen: Auch wenn die digitale Welt Landesgrenzen überschreitet, bedeutet das nicht, dass unsere Gesetze nicht angewendet werden können. Keine Sorge: Es gibt bereits ausreichend Möglichkeiten, IP-Adressen und damit auch die digitale Identität einer Person in Erfahrung zu bringen, um nicht nur die Beleidigung löschen zu lassen, sondern auch die beleidigende Person strafrechtlich zu verfolgen.



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