DebatteSind Vorher-Nachher-Memes harmlos?
Regelmäßig lösen Memes zum Thema Alter in sozialen Medien einen Hype aus. Auch an der aktuellen „10 Year Challenge“ nehmen Millionen User teil. Ist das ein unbedenklicher Spaß oder ein Grund zur Sorge?
Reese Witherspoon hat es getan. Der Kader des RB Leipzig auch. Und Millionen andere mit weniger prominenten Namen haben ebenfalls mitgemacht.
Die Rede ist von der „10 Year Challenge“. Anfang des Jahres haben Facebook-Nutzer der Aktion weltweit Aufmerksamkeit verschafft. Nutzer sollen auf Facebook, Twitter oder Instagram zwei Bilder von sich posten: eines von 2009 und ein aktuelles aus diesem Jahr. Dazu gehörten noch Hashtags wie #10YearChallenge, #2009vs2019, #HowHardDiDAgingHitYou oder #GlowUp und gegebenenfalls ein Kommentar über die persönliche Entwicklung.
Mehr braucht es nicht für den viralen Hit. Allein auf Instagram gibt es mittlerweile über vier Millionen Beiträge zu #10YearChallenge. Täglich werden es mehr.
Alter, siehst du gut aus!
Internet-Memes zum Thema Alter gibt es schon länger. Auch unter den Begriffen „Throwback Thursday“ und „Flashback Friday“ posten User auf Facebook ihre Erinnerungen. Aber was macht den Reiz dieser Challenges aus? Und was steht auf dem Spiel?
Wissenschaftler haben darauf verschiedene Antworten gefunden. Der Wunsch nach Anerkennung spielt sicher eine Rolle, sagte Kevin LaBar vom Zentrum für kognitive Neurowissenschaften an der Duke Universität, Durham, der New York Times.
Viele wollen der Welt zeigen, dass sie sich optisch zum Besseren entwickelt haben. Andere wollen beweisen, dass Zeit ihrer Attraktivität nichts anhaben kann. Oder dass sie es scheinbar mühelos schaffen, schön zu bleiben.
So zum Beispiel Reese Witherspoon. Die 42-jährige Hollywood-Schauspielerin veröffentlichte auf ihrem Instagram-Account zwei Fotos von sich, auf denen sie fast exakt gleich aussieht. Zwischen den Aufnahmen scheinen eher Tage als Jahre zu liegen.
Nun mag Witherspoons jugendiches Erscheinungsbild 2019 der Arbeit von Visagisten bzw. einer schmeichelhaften Kameraführung oder Bildbearbeitung zu verdanken sein – der Begeisterung ihrer Follower tut das keinen Abbruch.
Nostalgie statt Narzissmus
Zweck erfüllt, könnte man folgern. Die „10 Year Challenge“ ist laut LaBar aber mehr als ein Spiel mit der Eitelkeit. Manche Nutzer markieren mit ihr wichtige Lebensereignisse: zum Beispiel einen Abschluss an der Hochschule. In solchen Fällen diene die Challenge der Selbstvergewisserung, so LaBar.
Der Blick zurück kann noch einen anderen, psychologisch wertvollen Effekt haben – nämlich dann, wenn er Nostalgie erzeugt. Studien zufolge fühlen sich Menschen, die von den „guten alten Zeiten“ schwärmen, in der Regel jünger, gesünder und geben sich optimistischer als andere, die der Vergangenheit weniger abgewinnen können.
Werden die schönen Erinnerungen dann auch noch mit anderen geteilt, schaffen Throwback-Challenges ein Gefühl der Verbundenheit. Das liegt auch daran, dass grundsätzlich jeder an ihnen teilnehmen kann und sie politisch und gesellschaftlich unverfänglich sind. Denn jeder möchte irgendwie „gut“ altern. Wenig Stoff für Diskussion also. Eigentlich.
Von der Psychologie zur Politik
Manche User unterstellen dem Ganzen jedoch Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit. Nutzer Sam Thorne postete auf Twitter das Bild zweier Abfalleimer. Die kritische Botschaft: Selbstinszenierung ist und bleibt Schrott.
Andere schlagen ernstere Töne an. „Die einzige 10 Year Challenge, die uns interessieren sollte“ lautet ein Kommentar, der derzeit oft zusammen mit Bildern schmelzender Eisbergen, sterbender Korallenriffe oder abgeholzter Regenwälder gepostet wird. Die Nutzer wollen damit auf die rapide Zerstörung der Umwelt durch Eingriffe des Menschen und den Klimawandel aufmerksam machen.
Anders als Selfies haben diese Bilder eine politische Funktion, schreibt die Journalistin Sarah Thust. „Sie sollen aufrütteln.“ Gleichzeitig senden sie ein wichtiges Signal: User können bei der Challenge nicht nur durch Selbst-, sondern auch durch Weltdarstellungen Klicks generieren.
Und jetzt?
Andernfalls verschenken sie Thust zufolge ihre persönlichen Daten. Und was mit denen geschieht, ist ein Rätsel. Die amerikanische Technologieberaterin Kate O’Neill stellte als eine der ersten die Frage, ob Facebook einen Nutzen von dem Meme hat. Könnte der Konzern die Vorher-Nachher-Bilder möglicherweise zur Weiterentwicklung seiner Gesichtserkennungssoftware verwenden?
Es ist bekannt, dass Facebook Software nutzt, mit denen Personen identifiziert und Nutzerdaten gesammelt werden. Zum Einsatz kommt diese unter anderem beim Smart-Home-Gerät „Portal“. Mit den persönlichen Daten schaltet der Konzern maßgeschneiderte Werbung.
Hinter der „10 Year Challenge“ will Facebook allerdings nicht stecken. Das Meme hätten Nutzer von selbst gestartet, heißt es auf Twitter, und sei bloß ein Beweis für den Spaß der Menschen mit und auf Facebook. Der Konzern muss das wohl so sehen.