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ContraWarum wir die Kirchen nicht brauchen, um füreinander da zu sein

Von Bilke Schnibbe / 30. Oktober 2020
picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Die Pflegesituation in Deutschland basiert auf einer überholten Einstellungspraxis, die den Kirchen unnötige Vorteile zugesteht. Das müssen wir ändern.

Gesellschaftliche Debatten zum Thema Pflege sind aktueller denn je. In der Corona-Krise wurde uns schmerzlich deutlich, was Pflegeverbände und Gewerkschaften seit Jahren bemängeln: zu wenig Personal, zu wenig Geld, ein Abrechnungssystem, das die Arbeitsdichte stark erhöht. Eher am Rande dieser Debatten taucht die Frage auf: Haben die kirchlichen Träger von Pflegeeinrichtungen zu viele Sonderrechte? Zum Beispiel im Zusammenhang mit Personal, wen sie entlassen oder nicht einstellen, weil die Bewerberin der „falschen“ Konfession oder Religion angehört oder der Stelleninhaber sich scheiden lässt.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges wurde in der Weimarer Republik das Verhältnis von Staat und Kirche neu geordnet. Verfassungsmäßig wurde festgeschrieben, dass es keine Staatskirche in Deutschland gebe und der Staat in Bezug auf Religionen neutral zu sein hat. Dieser Paragraf wurde ins Grundgesetz übernommen. Auf dieser Basis beanspruchen die deutschen Kirchen Sonderrechte. Sie sind vom sogenannten „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ ausgenommen und dürfen Bewerber*innen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit benachteiligen. Man fragt sich unweigerlich: Stimmt das denn, dass es keine deutsche Staatskirche gibt, wenn die Kirchen jährlich mit Milliardenbeträgen aus Steuergeldern subventioniert werden und dann Bewerber*innen auf Basis ihrer Religionsunabhängigkeit oder -zugehörigkeit ablehnen dürfen? Alle Bürger*innen finanzieren somit indirekt kirchliche Pflegeeinrichtungen, unabhängig davon, ob sie selbst religiös sind oder nicht. Es wird Zeit, diese Praxis abzuschaffen und Kirche und Staat wirklich effektiv zu trennen.

Pflege des eigenen Einflusses

Eigentlich ist es eine Frechheit, dass eine Institution, die schon immer ein ausgemachter Altherrenverein mit reichlich Vermögen, Landbesitz und obendrein eigenen Steuereinnahmen ist, auch noch staatliche Subventionen und Sonderrechte erhält! Wir haben es hier mit Strukturen zu tun, auf die wir als Gesellschaft kaum zugreifen können, insbesondere dann nicht, wenn wir keine engagierten Mitglieder der Kirchen sind. Und nehmen wir nur die Missbrauchsvorwürfe, die in kirchlichen Institutionen wie Klöstern, Schulen und Heimen stattgefunden haben: Von einer gründlichen internen Aufarbeitung kann man in den meisten Fällen gar nicht sprechen. Man pflegt es, sich nicht zu äußern. Jeder andere große soziale Träger hätte sich jeder angemahnten Kritik stellen müssen, ob er nicht öffentlich und transparent grundlegend umstrukturiert werden sollte, wenn über Jahrzehnte hinweg in verschiedenen Einrichtungen immer wieder Schutzbefohlene psychischer, körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt worden sind. Bei kirchlichen Einrichtungen und den Kirchen als Trägern sozialer Einrichtungen ist das nur bedingt der Fall. Stattdessen halten wir eine Institution als großen Akteur der gesellschaftlich organisierten „Fürsorge“ in Ehren, obgleich sie bewiesen hat, dass besonders Schutzbedürftige bei ihr teils nicht ausreichend geschützt sind. Wahr ist deshalb auch: Gepflegt wurde hier vorrangig der eigene gesellschaftliche Einfluss.

Das Recht zu diskriminieren

Bei der katholischen Kirche sind es nicht nur die Bewerbungen, bei denen nach Kriterien von Religion oder Atheismus aussortiert wird. Angestellte müssen sich sogar kündigen lassen, wenn sie irgendetwas tun, was der kirchlichen Moral widerspricht. Darunter fällt auch, wenn sich Arbeitnehmer*innen scheiden lassen oder unverheiratet zusammenleben. Vom Führen homosexueller Partner*innenschaften ganz zu schweigen. Warum ist es einer Institution, die einen großen Teil der sozialarbeiterischen, pflegerischen, erzieherischen Stellen in Deutschland verantwortet, gestattet, auf Basis offensichtlich sexistischer und queerfeindlicher Moralvorstellungen zu diskriminieren? Und das, obwohl alle diese Stellen überwiegend aus Steuergeldern finanziert werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verwies 2018 darauf, dass das deutsche „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ Gefahr läuft, kirchlicher Willkür Tür und Tor zu öffnen, wenn es nicht gerichtlich überprüfbar ist, ob die Kirchen nicht unrechtmäßig von ihren Sonderrechten Gebrauch machen. Die Justiz geht also einen Schritt in die richtige Richtung. In Anbetracht des reaktionären Weltbildes, das die Kirche insgesamt vertritt, reicht dieser Schritt allerdings bei weitem nicht mehr aus.

Pflege ist Nächstenliebe, kein Kirchendienst

Man hört es oft, das Argument, dass die Kirche eine wichtige Moralwächterin in der Gesellschaft sei. Und ja, in Pandemiezeiten wie diesen zeigt sich mehr denn je, dass wir daran arbeiten müssen, eine neue Form der Solidarität, Fürsorge und Nächstenliebe in unseren Gesellschaften zu schaffen. Der Pflegeberuf ist einer, in dem diese Werte besonders sichtbar werden. Doch für alle Jobs, in denen sich Menschen umeinander kümmern, müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die möglichst viele Menschen in dieser Gesellschaft einladen, sie auszuüben. Berufe, in denen gepflegt, erzogen und unterstützt wird, müssen aufgewertet werden. Dafür ist es zentral, dass die Gesellschaft als Ganzes die Organisation dieser Berufe an sich nimmt und nicht Milliardensummen in Institutionen steckt, deren Praktiken im Grunde nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Das Meinungsforschungsunternehmen Civey hat im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung vom 14.-16.10.2020 ca. 2.500 Personen befragt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Der statistische Fehler der Gesamtergebnisse liegt bei ca. 10,3 Prozent


4 Antworten auf „Warum wir die Kirchen nicht brauchen, um füreinander da zu sein“

  1. Von Anonymous am 1. November 2020

    Ich bin noch nicht pflegebedürftig, aber altersgemäß nicht mehr weit davon entfernt. In wünschte, ich könnte eine Pflegeeinrichtung in meiner Nähe finden, welche ohne religiösen Einfluss arbeitet. Es ist schlimm, dass Kirchen die unbedingte Oberhoheit über Pflegedienste beanspruchen.

    1. Von Sagwas-Redaktion am 2. November 2020

      Vielen Dank für Ihre Antwort! Wer weiß, vielleicht ändert sich die Situation in ein paar Jahren dahingehend. In jedem Fall alles Gute für Sie!

    2. Von Markus H. am 2. November 2020

      Ist das so, dass die Kirchen diese „Oberhoheit“ beanspruchen? Ich denke, die Kirchen haben eine sehr lange Tradition der sozialen Hilfe und Pflege. Zudem ist der Staat sicher froh, dass die Kirchen ihm einen Großteil dieser sozialen Verantwortung abnimmt. Er müsste sonst die Lücke füllen. Die sozialen Dienste der Kirchen haben ja auch Erfahrung und Expertise.

      1. Von Sagwas-Redaktion am 3. November 2020

        Danke für deinen Kommentar! Deine Ansicht teilt in gewisser Weise unsere Debatten-Autorin Anna mit ihrem Meinungsstück https://sagwas.net/pro-contra/sollten-pflegekraefte-glaeubig-sein/um-gottes-willen-mehr-glaube-fuer-die-pflege/

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