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DebatteStaatsauftrag: Freizeitrisiken verbieten?

Von Tom Albiez / 28. Oktober 2021
picture alliance / Zoonar | Firn

Der Staat sollte stets das Gemeinwohl im Blick haben und die zur Sicherung von Wohlstand und Freiheit erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Berechtigt ihn das aber dazu, den Bürgern Vorschriften für ihr Freizeitverhalten zu machen?

Der amerikanische Präsident Herbert Hoover nannte es ein „nobles Experiment“. Die USA verboten 1920 die Herstellung und den Verkauf von Alkohol. Ziel war es, Alkohol aus der Gesellschaft zu verbannen, da er als Grund für zahlreiche Übel galt. Hinzu kam, dass die antideutsche Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg den Anhängern der Prohibition zugutekam. Denn viele Brauer waren Deutsche. Zusätzlichen Rückenwind verschafften dem Gesetz christliche Fundamentalisten und Industrielle wie Henry Ford.

Das “Paradies auf Erden”, das Prediger sich durch das Alkoholverbot erhofften, trat allerdings nicht ein. Zwar ging der Alkoholkonsum anfänglich zurück, jedoch etablierte sich mit der Zeit ein Schwarzmarkt, bei der die einfache Bevölkerung genauso mitmischte wie Schwerverbrecher Al Capone. Letzterer erlangte Ruhm und Reichtum gerade dank des Verbots.

Das Experiment währte dennoch bis 1933. Erst die Große Depression, eine schwere Wirtschaftskrise, führte zur Abschaffung des Verbots. Bier wurde als Wirtschaftsfaktor erkannt und man sah ein, dass der freizeitliche Alkoholkonsum der Bevölkerung sich nicht einfach qua Gesetz unterbinden lassen konnte.

Alkoholpolitik von Saudi-Arabien und Norwegen

Dass ein Verbot von Alkohol heute noch ein aktuelles Thema ist, zeigen streng islamische Länder. Zwar wird häufig Nicht-Muslimen im privaten Bereich der Konsum gestattet, beim öffentlichen Konsum drohen jedoch harte Strafen. Besonders streng gibt sich Saudi-Arabien. Hier muss mit langen Haftstrafen oder Auspeitschungen rechnen, wer in der Öffentlichkeit mit Alkohol erwischt wird.

Weit weniger rigoros, aber sehr effektiv betreibt der norwegische Staat seinen Kampf gegen übermäßigen Alkoholkonsum. Wie in Schweden kann man in Norwegen hochprozentigen Alkohol nur in speziellen staatlichen Geschäften kaufen. Die sogenannten „Vinmonopolets“ gehören dem Staat und verkaufen alkoholische Getränke nur zu bestimmten Zeiten. Die hohe Steuer trägt ebenfalls dazu bei, dass Norwegen einen relativ geringen Alkoholkonsum pro Kopf verzeichnet.

57 Milliarden Euro Schaden

Lässt man die religiöse Motivation außer Acht, könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass ein Alkoholverbot oder zumindest Restriktionen beim Kauf oder Konsum Sinn machen. Selbst in einem so liberalen Land wie Deutschland, das kulturhistorisch von jeher dem Alkohol zugeneigt war. Laut dem deutschen Bundesgesundheitsministerium gibt es 1,6 Millionen Alkoholabhängige in der Bundesrepublik. Jedes Jahr sterben hierzulande ca. 74.000 Menschen in Folge von Alkoholkonsum. Ein volkswirtschaftlicher Schaden pro Jahr in Höhe von ungefähr 57 Milliarden Euro, gegen den sich der Staat kaum absichern kann. Die Steuereinnahmen durch die Alkoholsteuer im Jahr 2020 betrugen gerade einmal 2,2 Milliarden Euro.

Dennoch wird wohl kein Politiker sich ernsthaft für ein Alkoholverbot in Deutschland einsetzen. Die Freiheit des Bürgers ist ein hohes Gut. Freizeitliche Aktivitäten kontrollieren oder untersagen ist nur in absoluten Ausnahmefällen legitim. Alles andere sei kein umsorgender als vielmehr ein verbotsorientierter “Nanny-Staat“, wie gerne von Kritikern an die Wand gemalt wird.

“Killerspiele“ und Gaming als digitale Droge?

Aber nicht nur Drogen stehen immer wieder zur Debatte, wenn es darum geht, den Bürger vor sich selbst zu schützen. Nicht selten gerät die Gamingbranche in den Fokus. So wurde nach den Amokläufen von Erfurt, Emsdetten und Winnenden insbesondere die Bezeichnung “Killerspiele“ häufig in politischen Diskussionen verwendet.

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber forderte nach dem Amoklauf im westfälischen Emsdetten etwa: „Killerspiele gehören in Deutschland verboten. Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten“. Der Attentäter war Spieler des Egoshooters “Counter-Strike“.

Heutzutage ist nicht mehr viel von der Debatte um Killerspiele übriggeblieben. Was daran liegen mag, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die mit diesen Spielen ihre Freizeit verbringen, damals ziemlich empört reagierten und Politikern vorwarfen, keine Ahnung von dem zu haben, was sie verbieten wollen. Was Wahrheit und Risikoabschätzung angeht, bewegt diese Auffassung aber noch heute die Gemüter.

Inwiefern Computerspiele und Amokläufe miteinander positiv korrelieren oder in manchen Fällen sogar kausal zusammenhängen könnten – für beide Seiten gibt es Argumente. Dass jedoch Computerspiele genauso wie Alkohol Schäden anrichten, lässt sich mit Zahlen belegen. Rund 700.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland sind laut einer Studie der Krankenkasse DAK computerspielsüchtig. Durch Corona stiegen die Gamingzeiten nochmal deutlich an und somit auch das Risiko, sich in der Spielewelt zu verlieren.

China: Nur noch drei Stunden zocken

Die Spielesucht im Blick, hat China nun hart durchgegriffen. In der Volksrepublik gilt eine Regelung, laut der Kinder und Jugendliche maximal drei Stunden pro Woche online zocken dürfen. Der Zeitraum ist fest definiert. Nur noch zwischen 20 und 21 Uhr freitags sowie am Wochenende und an Feiertagen darf gespielt werden.

Was in Deutschland undenkbar erscheint, ist für chinesische Spieler schlicht zur neuen Realität geworden. Die Durchsetzung der staatlichen Vorgabe ist dabei technisch kein großes Problem, da sich Spieler online ohnehin ausweisen müssen.

Ob Alkohol, Computerspiele oder die morgendliche Zigarette: Wie sehr wir alleine mit unserer Gesundheit spielen, hängt immer von dem Ausmaß des Konsums ab. Selbst westliche Demokratien wie die USA haben in der Vergangenheit nicht vor drastischen Maßnahmen zum (vermeintlichen) Schutze der Allgemeinheit zurückgeschreckt. Es bleibt ein Konflikt zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Auftrag des Staates, für seine Bürger nicht nur im Sinne des Gemeinwohls Sorge zu tragen. Auch wenn diese es gar nicht wollen.



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