DebatteUnendliches Wachstum in einer endlichen Welt?
Ist der Kapitalismus an seine Grenzen gestoßen? Immerhin findet alles Wachstum irgendwann ein natürliches Ende. Nur unsere Wirtschaft macht den Eindruck, als gäbe es diese Grenze für sie nicht.
1,66 Meter ist die Durchschnittsgröße von Frauen in Deutschland, 1,80 Meter die der Männer. Abgeschlossen ist das Längenwachstum etwa im Alter von 18 Jahren. Danach bleiben wir ein Leben lang gleich groß, bis wir schließlich zum Lebensende hin um einige Zentimeter schrumpfen. So wie dem Menschen ergeht es allen natürlichen Organismen. Doch für unser Wirtschaftssystem scheint es diese natürliche Wachstumsgrenze nicht zu geben – oder wurde sie noch nicht erreicht?
So gut wie noch nie
Sowohl aus ökonomischer als auch aus ökologischer Perspektive werden immer mehr Stimmen laut, die Letzteres glauben. Sie warnen davor, dass dieses Limit so schnell zum Problem werden könne, dass es für Gegenmaßnahmen bald zu spät sei.
Der 1968 gegründete Club of Rome gehört zu den frühen Mahnern. Experten verschiedener Disziplinen wiesen darauf hin, dass unser aktuelles ökonomisches System im Westen auf der Annahme einer endlos wachsenden Wirtschaft in einem endlichen ökologischen System aufbaue. Rohstoffe würden aufgebraucht, ohne dass sie nachwachsen oder neu entstehen; die Atmosphäre weise eine Grenze in ihrer Aufnahmefähigkeit bestimmter Gase auf. Unter dem Hinweis auf die schier unersättliche Gier nach mehr wurde zudem vor der Irreversibilität dieses Handelns gewarnt: Was wir jetzt verbrennen, können wir später kaum zurückgewinnen; die Arten, die wir jetzt ausrotten, können wir vermutlich nie wieder zurückholen.
Im Fokus der ersten Studie des internationalen Expertengremiums stand nicht weniger als die Untersuchung von Zukunftsproblemen der gesamten Menschheit. Sie sollte als Exempel für interdisziplinäre Forschung gelten. Das Ergebnis, 1972 unter dem Titel “Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht, rief daher zu einem sparsamen Umgang mit den knappen Ressourcen auf.
Die darin aufgestellten Prognosen und Empfehlungen wurden aber alles andere als kritiklos aufgenommen. Falsche Faktoren seien als Grenzen herangezogen worden, meinten moderate Kritiker. Wachstumsbefürworter argumentierten hingegen, dass es den Menschen heute weltweit so gut gehe wie noch nie und dies zu einem Großteil dem Wachstumsstreben zuzuschreiben sei. Es sei nicht nur Voraussetzung für Vollbeschäftigung, sondern führe zu einem Vorteil gegenüber anderen Ländern mit stagnierender oder sogar sinkender Wirtschaft. Und woran die Wissenschaftler sich orientierten, hieß es, sei nur schwer messbar, wie z.B. das Wohlbefinden oder Glück der Menschen.
Die zerstörerische Kraft des Kapitalismus
Die Vorhersagen des Club of Rome haben sich nicht eins zu eins bewahrheitet; auch wohlwollendes Fachpublikum beschreibt die Forschungsergebnisse teilweise als zu düster, insbesondere weil die Innovationskraft des Menschen nicht ausreichend berücksichtigt würde. Dennoch lassen sich einige der damals aufgezeigten Trends tatsächlich heute beobachten. Die Ölpreis- und Wirtschaftskrisen illustrieren nur zwei Beispiele.
Viel wichtiger als die Annahmen der Studie sind für viele Wissenschaftler allerdings die Debatten, die durch sie angestoßen wurden. Die Kapitalismuskritik hat sich seitdem deutlich verstärkt. „Wachstum um des Wachstums Willen entspricht der Ideologie eines Krebsgeschwürs”, beschreibt der Naturforscher und Philosoph Edward Abbey die aus seiner Sicht zerstörerische Kraft des Kapitalismus. Konkret kritisiert er die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, sprich den Wohlstand weniger auf Kosten vieler, sowie steigenden Leistungsdruck durch Konkurrenz und die weltweit zunehmende Staatsverschuldung.
Planwirtschaft, Marktsozialismus, bedingungsloses Grundeinkommen
Wie könnten bessere Alternativen aussehen? Stabilität statt Wachstum? Und wie funktioniert ein stabiles System? Wie lebt es sich in einer solchen “Postwachstumsgesellschaft“? Lässt sich unser Wohlstand sichern? Die Ansätze sind vielseitig. Sie beginnen bei Urban Agriculture (städtische Landwirtschaft), gehen weiter über die Sharing Economy (systematisches Ausleihen und Teilen von Ressourcen) bis hin zur Maker Culture (Neues selber machen). Eines ist ihnen allen gemein: Menschen schließen sich zusammen, um jenseits des Strebens nach Wachstum Ressourcen effizienter zu nutzen und konkrete gesellschaftliche Probleme zu lösen. Genau darin sehen viele Wirtschaftswissenschaftler aber auch die Hürde zu einer Umsetzung dieser Systeme. In der heutigen Anonymität bestehender Gesellschaften gestalten sich solche Zusammenschlüsse schwer.
Alternative Modelle wie die Planwirtschaft sind durch historische Misswirtschaft, wie in der DDR geschehen, diskreditiert. Aber könnte man sie womöglich modifizieren? Wie ließe sich eine Akzeptanz für die damit verbundene geringere Angebotsvielfalt schaffen? Auf welche Weise könnten weiterhin Innovationsanreize ermöglicht werden? Weitere Ideen sind die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens mit der noch offenen Finanzierungsfrage und das System des Marktsozialismus, einer Kombination aus vergesellschafteten Produktionsmitteln und nachfragebedingter Marktorientierung. Auch eine Kompromisslösung wird in Erwägung gezogen: Ein System, das weiterhin auf Wachstum fußt, jedoch mit einer minimalen Wachstumsrate.
Ob es aber wirklich zu solch radikalen Systemänderungen kommen wird?