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ContraVerkehrswende braucht mehr als ein Ticket

Von Maria Altnau / 30. Mai 2023
picture alliance/dpa | Bodo Marks

Einfach einsteigen und mit Bus, Tram und Regionalbahn durch Deutschland fahren. Nicht nur für drei Monate, sondern vielleicht sogar dauerhaft. Das verspricht das 49-Euro-Ticket. Was so einfach und günstig klingt, ist nicht der Heilsbringer für eine echte Verkehrswende.

Ein Kleinkind weint, ein Rucksack blockiert den Durchgang, verzweifelte Blicke auf der Suche nach einem freien Platz oder zumindest ein paar Quadratzentimetern zum Stehen. Der Regionalzug ist voll, der am ersten Maiwochenende in Richtung Großstadt rollt. Jeder weiß sofort: Das sogenannte Deutschlandticket ist da und der Platz in Bussen und Bahnen wird knapp.

Ich besitze ein Deutschlandticket. In meiner Großstadt ist es günstiger als die reguläre Monatskarte. Ich komme damit bis in meine Heimat, um meine Eltern zu besuchen. Eine Stunde und 45 Minuten dauert das mit dem Regionalexpress. Halbwegs aushaltbar, um die Strecke notfalls im Stehen hinter sich zu bringen. Doch längere Strecken quer durch Deutschland? Das müsste ich mir gut überlegen. Dann bleibt nur: Möglichst sehr zeitige oder sehr späte Zugverbindungen wählen. Bloß nicht in eine Rushhour geraten, dann ist garantiert, dass die Fahrt unangenehm eng, laut, verschwitzt, nervenzehrend wird. Bei meiner Fahrt Anfang Mai prophezeite mir der Zugschaffner bei der Fahrkartenkontrolle sorgenvoll, dass es in zwei bis drei Monaten in den Zügen noch viel voller werden wird, Stichwort: Sommerferien.

Einsteigen unmöglich

Eine nachhaltige Mobilitätswende ist mit dem 49 Euro teuren Ticket allein nicht gemacht. Gregor Kolbe, Verkehrsreferent im Team Mobilität des Bundesverbands der Verbraucherschutzzentrale, erklärt, dass das Deutschlandticket zwar die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel deutlich günstiger und einfacher macht, aber „ein günstiger Preis nur eine Seite der Medaille“ sei. Ein massiver Ausbau des ÖPNV ist notwendig. Takterhöhungen und ein Ausbau von Schienen und mehr Anbindungen von Orten in ländlichen Regionen sind Stellschrauben, an denen dringend gedreht werden muss. Wie viele Menschen steigen wirklich langfristig vom Auto auf den ÖPNV um, wenn die Züge überfüllt sind, es dadurch zu Verspätungen kommt und der Reisekomfort leidet? Und wer dauerhaft pendelt, bei vollen Zügen aber nicht einsteigen kann, der wird sich gut überlegen, ob er dafür noch längere Wartezeiten in Kauf nimmt oder nicht doch ins Auto steigt. Zeitersparnis ist im eng getakteten Familienalltag ein relevanter Faktor. Und Verlässlichkeit in Bus und Bahn im Berufsalltag, insbesondere im Schichtdienst, unabdingbar.

Geringverdienende bleiben auf der Strecke

Das 9-Euro-Ticket war begrenzt auf drei Monate gültig und wurde vom Bund mit 2,5 Milliarden Euro bezuschusst. Das 49-Euro-Ticket ist nun deutlich teurer und längst nicht für alle finanzierbar. Das betrifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen und Transfergeldempfänger*innen, die in Zeiten der Inflation mit gestiegenen Lebensmittelpreisen kämpfen. Dies sieht auch Verkehrsreferent Kolbe kritisch: „Das Deutschlandticket muss ein dauerhaftes, sozial gerechtes Angebot sein. Eine Preisgarantie bis Ende 2025 ist notwendig. Zeitnahe Preiserhöhungen dürfen nicht kommen. Ein bundeseinheitlich reduziertes ‚Sozialticket‘ für 19 Euro für Menschen mit geringem Einkommen muss eingeführt werden.“ In puncto Familien- und Benutzerfreundlichkeit hat das Deutschlandticket noch einiges aufzuholen.

Hinzu kommt, dass der Erwerb des Tickets alles andere als einfach ist. Zu sehr liegt der Fokus auf der Onlineversion. Kein einfaches Unterfangen also für diejenigen, die nicht digital mobil sein können oder wollen. Auch die Abo-Funktion mit Kündigungsfrist bis zum 10. eines Monats schrecke daher viele Menschen ab, denn anders als beim 9-Euro-Ticket im vergangenen Jahr ist ein Automatenkauf nicht möglich.

Mehrkosten mit Risiko

Auch die Nahverkehrsbetriebe selbst stehen vor großen Herausforderungen. Die finanzielle Situation der Verkehrsbetriebe ist deutschlandweit unterschiedlich. Kleinere Verkehrsbetriebe kämpfen mit der wenigen Zeit zur Vorbereitung auf die Ticketeinführung und die hohen Investitionssummen zum Start für Personal und Anschaffungen. Wer kommt für die Mehrkosten auf? Der Bund wird für das Deutschlandticket ab 2023 1,5 Milliarden Euro zum Verlustausgleich zur Verfügung stellen, die Länder in gleicher Höhe. Doch wäre dieses Geld nicht besser für den Ausbau des Nah- und Regionalverkehrs angelegt? Den ÖPNV massiv ausbauen und attraktiver gestalten, mit Takterhöhungen und Schienenausbau, um insbesondere die ländlichen Regionen besser anzubinden, ist langfristig notwendig. Zusätzlich sollten Ideen und Konzepte für intelligente, effiziente, klimaneutrale und vielleicht sogar autonom fahrende Shuttle- und Sharing-Angebote für Stadt und Land gefördert werden. Die Ideen gibt es, doch dazu braucht es mehr Mut und Wille seitens der Politik.

Fahrplan für die Zukunft

Das Deutschlandticket kann ein Teilstück auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilitätswende sein. Wichtiger bleiben zukunftsträchtige Investitionen in die Infrastruktur, damit der ÖPNV attraktiver und bequemer wird. Wenn es gelingt, dass mehr Menschen langfristig auf Bus und Bahn umsteigen und die ganze Breite der Verkehrsmittel clever vernetzt werden kann, ist eine Verkehrswende und CO2-Reduzierung möglich.

Zugegeben, ein Vorteil ist die Vereinfachung im Tarifdschungel durchaus. Ein Stück weit fühlt sich das bewusst so genannte „Deutschlandticket“ so an, als würden wir dadurch im Land wieder ein bisschen näher zusammenrücken. So wie es die ironische Werbung der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der gelben Straßenbahn vor idyllischer Alpenkulisse mit der Aufschrift „Bayern gehört jetzt zu Berlin“ suggeriert. Aber nur, wenn man elfeinhalb Stunden Zeit mitbringt und vier bis fünf Umstiege schafft.



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