ContraBye bye „sex sells“, willkommen Lust!
Toleranz und Freiheit zeigt sich nicht in Dauerwerbung von Beate Uhse und bei Erotikmessen wie der „Venus“. Der Fortschritt zeigt sich im Alltag. Sexualität sollte nicht zum Gegenstand der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Und noch weniger: Sex.
Eine Messe für Erotik und Lifestyle mit überwiegend männlichem Publikum eignet sich augenscheinlich kaum als Ort, an dem sexuelle Freiheit und Toleranz zelebriert werden. Auf der „Venus“, seien wir ehrlich, geht es vor allem um Sex und Vorlieben im Bett, weniger um gelebte Toleranz und sexuelle Freiheit im Alltag.
Toleranz kann man mit Aufgeschlossenheit umschreiben. Als Gesellschaft haben wir in der Tat große und großartige Fortschritte erreicht in den letzten Jahren und Jahrzehnten: freie(re) Liebe, umfassende sexuelle Aufklärung in der Schule und nicht zuletzt die „Ehe für alle“ im letzten Jahr.
Das Konzept des verständnisvollen Miteinanderlebens zeigt sich insbesondere in solchen Lebenswelten, in denen wirklich alle Menschen aufeinandertreffen: in der Schule oder der Uni, auf der Arbeit. Gelebte Toleranz ist für mich, wenn ein Mann von seinem Partner sprechen kann, weil er gefragt wird, wie sein Wochenende war und nicht: ob er denn schwul sei!?
Und neben einer offenen Einstellung gegenüber allen Farben und Formen der Sexualität – bi, trans, inter, queer – sollten auch asexuelle Menschen sich nicht schämen müssen. Sex als persönlicher Teil des Lebens kann eben auch bedeuten, keinen Sex haben zu wollen.
Für mich gilt: Die Themen Sex und Sexualität sind besser zu trennen. Sex an sich ist eine zutiefst intime Angelegenheit, Teil des Privaten. Die Sexualität und ihre Bandbreite aber sollten nicht tabuisiert werden. Erst der öffentliche und auch private Austausch darüber machen gesellschaftliche Fortschritte in unserer Zivilisation möglich. Erst, wenn die sexuelle Ausrichtung an sich nicht mehr Gegenstand der Öffentlichkeit ist und nicht dauernd eine zentrale Rolle spielt, haben wir Toleranz – vielleicht gar Akzeptanz – geschaffen.
Vom (Un-)Sinn der Erotikmessen
Eine Erotikmesse steht vor allem für den Warencharakter, den Sex dort bekommt. Das alte Prinzip „sex sells“ hat das Thema Sexualität quasi omnipräsent werden lassen. Eine Vielzahl von Produkten (man denke selbst nur an Bier- oder Motorradwerbung) wird immer noch von halbnackten Frauen angeworben. Warum? Würden wir uns von sexualisierten Objekten verabschieden, könnten wir uns viel eher auf die individuelle und subjektive Sexualität fokussieren. Also, um die, um die es eigentlich gehen sollte.
Vor 50 Jahren etwa war es die ’68er-Studentenbewegung, die sexuelle Freiheit für sich proklamierte und dabei auch mit Polygamie und Polyamorie von sich reden machte. Diese Liebens- und Lebenskonzepte sollten meiner Auffassung nach kein Tabu (mehr) sein. Angesichts zunehmender Scheidungsraten und kurzlebiger Beziehungen sollte vielleicht vermehrt über diese alten und natürlich auch neuen Konzepte nachgedacht werden.
Das betrifft auch viele Menschen, die sich nicht in die üblichen Schubladen einordnen lassen (wollen). Einige schwenken auf dem Christopher Street Day stolz die Regenbogenfahne als Zeichen für und Wunsch nach einer offenen Gesellschaft. Wirklich offen ist noch keine Messe der Erotik-Branche jemals gewesen.
Die will vorrangig neue Produkte an den Mann (und die Frau) bringen. Daran ist an sich nichts auszusetzen. Eine Messe – und also auch eine Erotikmesse – ist ein Fest der Wirtschaft, ein Ort des Konsums. Ein wirklich guter Besucher der Messe ist ein Kunde, der am Ende etwas kauft. Zentral für die Veranstalter ist die Präsentation von käuflichen Artikeln zur sexuellen Befriedigung – es geht um das Geschäft (!) mit der Lust.
Veraltete Rollenbilder
Dabei nicht ganz unwesentlich ist das Frauenbild, das die Veranstalter von Erotikmessen vermitteln. Der weibliche Körper steht im Mittelpunkt, halbnackte Frauen mit genormter Bikini-Figur und keinem Gramm Fett zu viel am Körper sollen die überwiegend männlichen Besucher ansprechen. Das soll tolerant sein? Die Frauenkörper auf der Messe sind meist nur das Objekt männlicher Begierde. Dieses Frauenbild ordnet die Frau der männlichen Lust unter.
Sowohl Männer als auch Frauen sehnen sich nach erfüllter Sexualität. Die weibliche Sexualität war lange Zeit gar kein Thema, sie ist relativ unerforscht und wird von den Männern oft nur wenig beachtet. Mit feministischen Pornos und fallenden Tabus erleben wir gerade einen tiefgreifenden Wandel. Ein weiterer Schritt zu mehr Gleichberechtigung, auch im Bett.
Auf dem Weg zu mehr Toleranz und (sexueller) Freiheit sollten wir lockerer werden, offener reden, ehrlich sein mit uns selbst und dem Partner. Eine Massenveranstaltung der Erotik-Branche brauchen wir dafür sicher nicht.