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ContraGesundheitsversorgung nur gegen Krankenversicherung

Von Matthias Laag / 28. Februar 2020
Credits: Bild von José Manuel de Laá auf Pixabay;

Auch wer keine Krankenkassenbeiträge zahlen kann, hat das Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung. Denn jeder, der krank und bedürftig ist, sollte heute auf Hilfe zählen können. Selbst Wohnungslose wie ich.

Eine Gesellschaft kann nur dann als Gemeinschaft gelten, wenn die Solidarität darin spürbar ist. Sich kollektiv helfen, füreinander da sein – speziell für Menschen, denen es nicht so gut geht –, das macht solidarisches Zusammenleben aus. Das muss sich auch in den Institutionen widerspiegeln. Ein gutes Gesundheitssystem ist eine solche Institution. Eines, das allen zugänglich sein sollte.

Ich bin so oft es geht mit meinem Kumpel unterwegs, nennen wir ihn Alex. Wir haben uns vor ca. zweieinhalb Jahren in einer Notübernachtung kennengelernt und planen seitdem regelmäßig unsere gemeinsamen Tage. Zur Zeit suchen wir uns mit dem „Wegweiser“ der Berliner Kältehilfe  immer neue Anlaufstellen, zu denen wir gehen können. Den letzten Winter 2018/19 hat Alex draußen im Treptower Park verbracht, bis das Camp dort geräumt wurde.

Damals hat er sich Erfrierungen an beiden Füßen geholt. Wunden, die eigentlich täglich neu verbunden werden müssen. Das macht er meistens selbst, wenn er Verbandszeug hat, und ziemlich gut sogar. Darüber haben Ärzte schon gestaunt. Aber das darf eigentlich nicht sein! Es darf nicht sein, dass Menschen in unserem System aus der Krankenversicherung rausfallen können. Ich finde, jeder Mensch, ob krankenversichert oder nicht, sollte das Recht auf die bestmögliche Gesundheitsversorgung haben. Nicht nur auf eine Notfallversorgung bei Verletzungen oder schweren Erkrankungen, sondern auf eine anständige Regelversorgung. Gerade hier in Deutschland.

In den Ambulanzen für Wohnungslose gibt es kaum Röntgengeräte oder andere spezielle Geräte wie Computertomographen. Hat meine Sozialarbeiterin herausgefunden. Nur im Bundeswehrkrankenhaus, die sich ziemlich gut um Leute wie uns kümmern, gibt es sowas. Dort gehen wir demnächst mit Alex hin und hoffen, dass sie ihn aufnehmen. Aus dem letzten Krankenhaus haben sie ihn als Nicht-Versicherten nach kürzester Zeit wieder rausgeworfen.

Obdachlosigkeit macht krank

Mein Hautproblem am linken Handrücken ist nichts Schlimmes. Das ständige Zupfen und Reiben dort hängt mit einer nervösen Störung zusammen. Die hat nicht nur mit den Lebensumständen, in denen ich mich befinde, zu tun. Als ich meine Psychopharmaka gegen Schizophrenie abgesetzt habe, weil ich davon einfach nur furchtbar müde wurde, fing das mit der Haut an. Aus ärztlicher Sicht ist der dunkle Fleck dort harmlos. Doch ich will nicht, dass die Leute denken, das sei Schmutz oder so. Ich wäre froh, wenn ich das richtig behandeln lassen könnte. Aber dieses Gesundheitsproblem wird von der Notfallversorgung nicht gedeckt.

Komplizierter ist es an anderer Stelle. Zum Beispiel brauche ich einen festsitzenden Zahnersatz, die lose Alternative passt aus verschiedenen Gründen nicht. Der aktuelle Zustand ist ziemlich unangenehm, weil beim Sprechen manchmal ungewollt Spucke aus dem Mund läuft. Für die feste Variante müsste ich einen Antrag beim Senat stellen. Aber es ist utopisch, dass die das bezahlen. Auch meine Knochen machen mit meinen bald 58 Jahren langsam nicht mehr mit. Darum will ich beim Versorgungsamt einen Antrag auf Feststellung einer Gehbehinderung stellen, für eine Unterstützungsleistung.

Ich bin seit 2016 nicht mehr krankenversichert. Warum, darauf kann ich an dieser Stelle nicht genau eingehen. Ich wurde ohne mein Wissen abgemeldet. Jetzt versuche ich mit Hilfe eines Anwalts, von meiner alten Krankenkasse wieder aufgenommen zu werden, um danach möglichst schnell zu einer besseren zu wechseln. Dann erst kann ich einen Antrag auf festen Zahnersatz stellen, der zumindest die Chance hat, gebilligt zu werden.

Versorgungspflicht nicht nur gegenüber Beitragszahlern

Um zu entspannen, lege ich mich im Sommer oft in einen wunderschönen, sauberen Park. Es kam schon vor, dass Leute Essen für mich dagelassen haben, wenn ich dort eingeschlafen bin. Im Winter liebe ich es, ins Kino zu gehen. Auch bei der Berliner Obdachlosenhilfe, wo ich ehrenamtlich mitarbeite, könnte ich relaxen. Nur, sobald es Arbeit gibt, stürze ich mich da rein, trage den Müll raus oder kümmere mich um die Wäsche. Aber ich achte auf die Signale meines Körpers. Muss ich ja.

Ich bin seit Mitte der 1990er Jahre wohnungslos. Nach der Wiedervereinigung habe ich mit einer Gruppe in Prenzlauer Berg baufällige Häuser bewohnt und renoviert, so gut es ging. Bis uns der Eigentümer verjagt hat. Kontakt zu meiner Familie gibt es keinen. Meine Eltern wollten nicht, dass aus mir „ein Professor“ wird, und ließen mich nicht auf’s Gymnasium, sondern schickten mich auf die Hauptschule. Aus diesem Umfeld musste ich raus.

In Obdachlosenheime wollte ich lange nicht rein und bei Freunden kann man nicht ewig unterkommen. Zum Schlafen bin ich irgendwann auf Friedhöfe gegangen, wo es wunderbar ruhig ist. Einen Arbeitsplatz finden ist mir nicht gelungen. Ich verkaufe das englische Straßenmagazin „Arts of the Working Class“, um Geld zu verdienen. Es ist absurd: Niemand will einem Wohnungslosen eine Wohnung vermieten. Aber: ohne Wohnsitz keine Arbeit und ohne Arbeit keine Wohnung. Dann fällt auch die Krankenversicherung weg. Ich kann also gar keinen Beitrag mehr leisten, selbst wenn ich wollte. Aber ich bin immer noch da. Ein richtiger Teufelskreis! Dabei gibt es eine Versorgungspflicht. Aber viele – Ärzte und Kassen – umgehen oder vernachlässigen diese Aufgabe.

Unterstützung habe ich heute in Alex und er ihn mir. Wenn er mal was alleine machen will, dann akzeptiere ich das und umgekehrt genauso. Aber wir helfen einander, halten zusammen. Und so sollte auch die Gesundheitsversorgung funktionieren. Wer krank ist und mit seinem Körper irgendein Problem hat, sollte sich darauf verlassen können, dass er vom System nicht im Stich gelassen wird. Kopf und Körper wären damit auch geholfen.



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