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Smart Country

Von Barbara Engels / 19. November 2018
picture alliance / Westend61 | Daniel González

Stadtmenschen sind Kosmopoliten am Puls der Zeit und Landbewohner nur Hinterwäldler? Diese Pauschalisierung gilt weniger denn je – auch dank der Digitalisierung.

Früher zog in die Stadt, wer etwas erleben wollte. In der Stadt hatte der Fortschritt Platz. Die neuesten Trends flanierten auf den Straßen Berlins, aufregende Arbeitsplätze warteten in Frankfurt, Hamburg und München. Doch was einmal war, gilt nicht mehr: Die Digitalisierung mit ihren bahnbrechenden Technologien mischt die Karten für Stadt und Land neu, und zwar für viele Facetten des täglichen Lebens.

Im Zuge der Digitalisierung wird alles smart: Handel, Industrie, Bildung, Medizin, Energie, Mobilität und Freizeit. Dadurch konsumieren, kommunizieren und arbeiten wir anders als bislang. Beide, Stadt und Land, haben inzwischen viel mehr gemeinsam als es auf den ersten Blick scheint.

1. Wir kaufen online

Egal, wie viele Kilometer der nächste Elektronikhändler entfernt sein mag, online sind es nur wenige Klicks. Laut dem Statistischen Bundesamt kaufen 50 Millionen Internetnutzer in Deutschland inzwischen online ein. Besonders beliebt sind Elektronik, Kleidung und Möbel. Für Lebensmittel, Körperpflegemittel und andere schnell rotierende Produkte bevorzugen die Konsumenten allerdings noch den analogen Supermarkt, so eine Studie von Kantar Worldpanel, das als international tätiges Unternehmen mit Hauptsitz in Spanien Verbraucherverhalten weltweit analysiert.

Ob in Metropolen oder ländlichen Regionen: Online vergleichen alle potenziellen Käufer die Preise und Qualität auf Vergleichsportalen und anhand von Kundenbewertungen. Sie zahlen millisekundenschnell mit Online-Finanzdienstleistern wie Paypal. Nach wenigen Stunden bis Tagen klingelt der Paketbote an der Tür – egal, ob sich diese Tür in Stuttgart oder Oberlungwitz öffnet.

Laut einer Studie des Branchenverbandes Bitkom shoppt ein Fünftel der Onlinekäufer im Internet, weil es in der Nähe ihres Wohnorts keine oder nur wenige Geschäfte gibt. Diese Aussage bestätigen vor allem Bewohner kleiner Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern: Hier sagen 40 Prozent, dass das für sie ein wichtiger Beweggrund für den Online-Kauf sei.

Die Einschränkungen des Online-Konsums sind indes ähnlich für Stadt und Land. Der Flaschenhals im E-Commerce ist die Logistik: Während der Paketwagen auf dem Land länger fahren muss, steht er dagegen in der Stadt im Stau. Traditionelle Logistikdienstleister wie Hermes und DHL zeigen sich inzwischen auch außerhalb des Weihnachtsgeschäfts hoffnungslos überfordert von der Paketschwemme, sodass einige Onlinehändler bereits dazu übergehen, ihre eigenen Lieferdienste aufzubauen.

2. Wir kommunizieren und bilden uns online

Schon in der Antike kamen die Menschen nicht nur des Handels wegen auf den Marktplatz, sondern auch um miteinander zu klatschen und tratschen. Daran hat sich mit der Digitalisierung lediglich geändert, dass der Marktplatz jetzt online ist und weit mehr Menschen heute auf ihm Platz und Gehör finden. Soziale Onlineplattformen wie Facebook, Instagram und Twitter verbinden die meisten Menschen standortunabhängig.

Keine Kneipe im Dorf, kein Kino um‘s Eck? Die Onlinewelt gibt Menschen auch in dünner besiedelten Gebieten ein Gefühl der sozialen Interaktion. Informationen, egal ob korrekt oder „alternativ“, sind überall verbreitet und zugänglich. Sogar Bildung ist online erhältlich: In sogenannten MOOCs, Massive Open Online Courses, studieren Interessierte innerhalb einer digitalen Lerngemeinschaft vor dem eigenen Endgerät – oftmals sogar kostenlos.

Allerdings: So fortgeschritten, kleinteilig und hochauflösend neue Kommunikationstechnologien auch in Zukunft noch sein mögen, die technologiegestützte Kommunikation wird immer ein bisschen mittelbarer und unpersönlicher sein als die direkte Interaktion von Menschen und diese somit niemals ganz ersetzen können.

3. Wir arbeiten online

VieleMenschen können dank des Internets und digitalerKommunikationstechnologien gleichermaßen von Feld und Wiesearbeiten, als wären sie im perfekt angeschlossenen städtischenFirmenbüro. Bereits mehr als ein Drittel der deutschen Unternehmenbietet seinen Mitarbeitern laut einer Bitkom-Studiezumindest teilweises Arbeiten von zu Hause an. Und knapp die Hälfteder Unternehmen erwartet sogar, dass der Anteil dieserHomeoffice-Mitarbeiter in den kommenden Jahren steigen wird. 

Dass gerade auf dem Land produktiv gearbeitet und modern gedacht werden kann, zeigen zahlreiche Offsite-Projekte, etwa in Brandenburg. The Vield, ein sogenannter Innovation Space, der im Frühjahr 2019 eröffnet, befindet sich in einem ehemaligen Kuhstall eine Stunde außerhalb von Berlin in der Ostprignitz und symbolisiert zukunftsfähige Nachhaltigkeit bereits bei Architektur und Raumnutzung.

„Das Land bietet buchstäblichen Weitblick, den es in der Stadt so nicht gibt“, sagt Gründerin und CEO Louisa Löwenstein. Aber das Ländliche sei „nicht nur schön anzusehen“, sondern mache Platz für ernstzunehmende Innovationen. „Die Städte werden immer teurer und voller, deshalb brauchen die Menschen neue Wohnräume, und vor allem auch neue Existenzräume. Das Internet macht es möglich, sich diese Räume überall zu schaffen.“

Zumindest in der Theorie, denn gerade auf dem Land gibt es immer noch zahlreiche Funklöcher, die nur sehr langsam gestopft werden.Generell ist die Digitalisierung noch zu sehr auf die Städte ausgerichtet, meint auch Louisa Löwenstein. „Gute App-Angebote für ländliche Bedürfnisse sind rar gesät. Dabei ist es gerade auch wirtschaftlich sinnvoll, die ländlichen User ins Zentrum der Innovationen zu stellen.“

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