„Trump würde nur wenige Punkte erhalten“
Peter-Lasse Giertzuch liebt Streit. Den Redewettstreit. Mit den besseren Argumenten vor Publikum zu überzeugen ist seine Leidenschaft. Wenn er nicht selbst am Rednerpult steht, fungiert er als Trainer oder Juror. So wie dieses Jahr bei den Deutschen Debattiermeisterschaften in Heidelberg.
Er spricht vom Debattieren als einer Technik, die man wie einen Sport trainieren kann: 1991 in Hamburg geboren gehört Peter-Lasse Giertzuch seit 2017 zu den deutschsprachigen Debattiermeistern. Mit seinem Club „Die Rederei e.V.“ ist Giertzuch in der Szene nicht nur deutschlandweit bekannt.
Sagwas: Die Debattierkultur, so wie ihr sie im Rahmen der Hochschulen betreibt, ist in Deutschland vergleichsweise wenig ausgeprägt. Verfolgt wird diese Art des Wettstreits noch von einer eher überschaubaren Gruppe, oder?
Peter-Lasse Giertzuch: Es werden jedes Jahr weitere Clubs gegründet, es gibt mehr und mehr Teilnehmende. Die Szene wächst also durchaus. Aber es könnte noch mehr Interesse geben seitens der Öffentlichkeit, das stimmt.
Wenn es um den deutschsprachigen Titel geht, sind sowohl Deutsche als auch Österreicher und Schweizer mit von der Partie. Erschweren unterschiedliche Debattenkulturen nicht eventuell die Kompatibilität?
Eigentlich ist das kein Problem. Im Gegenteil, wir sind froh, dass wir alle diese Länder mit im Boot haben. Die Regionalmeisterschaft Süd wurde vergangenes Jahr nach Wien gewonnen.
Kommen wir zum Kernpunkt: Was macht einen guten Debattierenden aus?
Erfolgreich zu debattieren erfordert die Kombination einer Menge Eigenschaften. Grundsätzlich würde ich empfehlen, sich breit aufzustellen und nicht nur auf einen Bereich zu fokussieren: Wer zum Beispiel ein starker rhetorischer Gegner ist, aber schwach in der Themenanalyse, sollte hier aufholen. Was den tatsächlichen Unterschied ausmacht zwischen guten Teilnehmern und Turniersiegern, ist die Fähigkeit, die Gegenseite inhaltlich zu widerlegen und dafür im Team seinen Punkt durchzusetzen. In der Vorbereitungszeit sollte man daher den konfrontativen Teil der Debatte komplett ausschalten und konstruktiv an der Lösung für die gesamte Fragestellung arbeiten. Rhetorik und wie man sich vor Publikum zu präsentieren hat – davon ist viel erlernbar. Funktionale Teamarbeit zu gewährleisten erfordert dagegen noch mehr Qualitäten.
Wie setzen sich die Teams denn zusammen?
Bei den diesjährigen Meisterschaften bestehen die Teams aus je drei Leuten, die pro Debatte eine Position zu einem Thema zugelost bekommen und dann eine Viertelstunde Zeit haben, um gemeinsam und ohne elektronische Hilfsmittel Argumente für ihre Seite zusammenzutragen. Unabhängig davon, ob sie damit ihre eigene Sicht vertreten oder nicht. 2018 etwa ging es darum, dafür oder dagegen zu argumentieren, ob eine Welt ohne Religion zu bevorzugen wäre.
Gibt es „No Gos“, sprich Eigenschaften, auf die Turnierteilnehmende verzichten sollten?
Aus der aktiven wie der passiven Perspektive sind das am ehesten persönliche Befindlichkeiten, die keinen Platz haben bei unseren Zusammenkünften. Wer andere beleidigt oder persönlich attackiert, wird bei uns nicht geduldet und kassiert Strafpunkte. Je eher man sich mit den Argumenten von seiner eigenen emotionalen Betroffenheit lösen kann, desto besser. Das gilt nicht nur für die einzelne Debatte, sondern für das gesamte Turnier. Zumal die Juroren den Teams nicht nur Punkte, sondern auch konkretes Feedback für Einzel- und Teamkategorien geben. Und das sollte man sich unbedingt zu Herzen nehmen, auch wenn dies am Anfang nicht leicht fällt.
Mit Blick auf den amerikanischen Präsidenten scheint derzeit vor allem eine rhetorische Fertigkeit gut anzukommen: Die Kunst, andere schlicht zu über-reden. Wie erklärst du dir dieses Phänomen?
Ich würde nicht sagen, dass es Trump an Überzeugungskraft fehlt. Schließlich sind ja Leute eindeutig von ihm überzeugt. Was aber wahr ist: Trump überzeugt nicht mit der Kraft des Arguments. Er agiert auf der emotionalen Ebene, die sich weniger stark mit Inhalten verbinden lässt. Sein Erfolg liegt vermutlich darin begründet, dass viele Menschen, die seinen Äußerungen verfallen, ohnehin weniger geneigt sind, dem ausgefeilten Argument zu lauschen, als eher dem Ausdruck einer persönlichen Befindlichkeit zu folgen. Und das ist prinzipiell ein starkes rhetorisches Mittel, das funktioniert, denn offensichtlich hat er Erfolg damit. Aber es ist nicht das Mittel, mit dem meiner Meinung nach politische Auseinandersetzungen geführt werden sollen. Eine gute Debatte sollte zu einem Erkenntnisgewinn führen. Trump und andere verhindern diesen eher.
Gute Karten bei dir in Heidelberg hat von den Teilnehmenden also, wer Wissen vermitteln kann?
Mein Ziel, mein Ideal für den Sport als Ganzes ist der Erkenntnisgewinn, nicht die reine Wissensvermittlung. Das Debattenformat stammt aus der Rhetorischen Fakultät der Universität Tübingen. Klassische Kategorien der Rhetorik werden in ein Punktesystem übersetzt. Eine Rede Trumps würde bei uns tendenziell wenig Punkte bekommen. Da spielt mit rein, dass wir ein fiktives Publikum vor Augen haben. Wir versuchen, politisch aufgeklärte Zeitungsleser anzusprechen. Wir wählen also eine zielgruppenadäquate Sprache. Eine Rede, wie sie von Trump gehalten wird, würde wenig Punkte erhalten, weil sie nicht zu dem Publikum passt, auf das wir die Debatte ausgerichtet haben. Andere Sichtweisen aufzuzeigen, eine tiefere Erkenntnis von der Komplexität einer Thematik zu bekommen, darum geht es mir.
Gibt es auf nationaler Ebene Unterschiede zwischen den existierenden Debattierclubs?
Mag sein, dass jeder Club in gewisser Weise seine eigene Schule verfolgt. Ältere und erfahrenere Mitglieder geben ihr Wissen weiter und begründen damit vielleicht Trends, die sich in den Turnieren manifestieren. Aber ansonsten lassen sich national kaum Unterschiede festmachen, die nicht vereinbar wären. Wir Juroren unterscheiden uns in unseren Positionen, unseren subjektiven Meinungen. Gleichzeitig ermöglicht gerade die Bewertung der Debatte durch mehrere Personen eine Punktevergabe, die viele Faktoren berücksichtigt. Im Vergleich zur internationalen Szene haben wir in Deutschland aber zwei konkurrierende Formate: Wird international mehr Wert auf Inhalt gelegt – wobei die Präsentation desselben eher zweitrangig ist –, achtet die Tübinger Variante, die jetzt auch bei den Deutschen Meisterschaften zum Tragen kommt, neben der Argumentation verstärkt auf Stilmittel und Rhetorik. Alles soll gleichermaßen seinen Raum bekommen und in die Bewertung einfließen.
Die wichtigsten Regeln in aller Kürze:
- Ein Team besteht aus 3 Personen
- Die Debattenposition ist zufällig bestimmt und nicht selbst ausgesucht
- Die Vorbereitungszeit beträgt 15 min, Hilfsmittel sind nicht erlaubt
- Geredet wird abwechselnd in Einzelreden
- Eine Rede dauert 7 min
- Zwischenfragen und Zwischenrufe der Gegenseite sind zulässig
- Freie Redner symbolisieren das Publikum und kommen auch zu Wort
- Bewertet wird nach einem Punktesystem, von verschiedenen Jurierenden gleichzeitig, der Mittelwert entscheidet
Eine deutliche Diskrepanz existiert bei den Geschlechtern: Es nehmen insgesamt bei diesem Turnier, egal wo man hinschaut, mehr Männer als Frauen teil. Woran liegt das?
Gute Frage. Das ist sehr schade, dass das Verhältnis beim Turnier grob 70:30, 60:40 Männer zu Frauen ist. Allerdings beobachte ich, dass diejenigen Frauen, die teilnehmen, eine höhere Erfolgsquote haben. Dass sie männlichen Teilnehmern zahlenmäßig unterlegen sind, liegt wahrscheinlich an einem strukturellen Gesellschaftsproblem: Nach wie vor wird bei Jungs eher ein kompetitives Denken gefördert als bei Mädchen. Und die Szene zieht wiederum kompetitiv geprägte Leute an, in der Mehrheit eben Männer. Andere Erklärungen, dass Frauen nicht die geeigneten Veranlagungen hätten, werden alleine durch Kandidatinnen wie meine Teamkollegin Sabrina widerlegt, mit der ich 2017 die deutsche Meisterschaft gewonnen habe: Ich glaube, es gibt kaum jemanden, der so jung schon so viele Einzelpreise gewonnen hat wie sie.
Wie kommt es dann, dass nicht einmal eine einzige Frau Teil der das Turnier bestimmenden Chefjury ist?
Es haben sich meines Wissens diesmal kaum Frauen für diese Posten beworben. Ein weiterer Hinweis noch: Die Auswahlkommission, die die Jurymitglieder bestimmt hat, bestand aber immerhin aus drei Frauen und einem Mann, die alle in der Vergangenheit Chefjurierende waren.
Wie geht es für dich persönlich weiter: Du bist süddeutscher und deutscher Meister geworden, jetzt als Juror unterwegs – hast also soweit im aktiven Debattiersport alles erreicht, oder nicht?
Meine sportlichen Ziele in diesem Sinne habe ich tatsächlich erreicht. Und international weiterzumachen plane ich nicht. Aber ich möchte unbedingt die Szene weiter unterstützen. Die Erfahrungen, die ich seit 2011 sammeln konnte, möchte ich denjenigen weitergeben, die wie ich wollen, dass der Debattiersport noch mehr Aufmerksamkeit erhält.
Du hast Physik studiert und promovierst jetzt in Geophysik, kannst aber auch als Debattiertrainer gebucht werden. Was ist dein langfristiges berufliches Ziel?
Das ist eine der schwierigeren Fragen. (lacht) Eine eindeutige Antwort, wo ich mich in Zukunft sehe, habe ich nicht, muss ich zugeben. Zwar hat meine Promotion Vorrang und ich verfolge die Rhetorik eher als Nebenprojekt. Wo ich aber langfristig landen will, wäre idealerweise dort, wo sich beide Bereiche mehr miteinander verbinden lassen als im Moment.