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Unbezahlt, unbeachtet, angefeindet

Von Christoph Fischer / 25. April 2024
picture alliance / SZ Photo | Jens Schicke

Feuerwehr, Sportverein, Stadtrat: Die deutsche Gesellschaft lebt vom ehrenamtlichen Engagement. Wer unentgeltlich etwas für die Gemeinschaft tut, erfährt dafür aber nicht immer Anerkennung.

Aktuell ist Pessimismus ein allzu verführerischer Begleiter. Der Mensch ist schlecht, da ist einfach nichts zu machen. Krieg, Nationalismus, Elend: unvermeidlich. Frei nach Margaret Thatchers Ausspruch „There is no such thing as society!“ muss sich eben jeder um sich selbst kümmern. Der Altruismus? Tot.

Die Wirklichkeit spiegelt das allerdings nicht wider. Den Angaben des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) zufolge engagieren sich circa 29 Millionen Menschen in Deutschland ehrenamtlich. Das ist fast jede*r Dritte. Die Freiwilligen kommen aus allen sozialen Milieus, über die Grenzen der Generationen und Herkunft hinweg. Ihnen allen ist gemein, dass sie sich für die Gemeinschaft unbezahlt engagieren, der Ehre halber eben.

Stütze der Demokratie

Ohne die Ehrenämtler*innen fände vieles nicht statt. So zum Beispiel die Kommunalpolitik. Wären alle Mitglieder des Gemeinderates eines 500-Seelen-Dorfs hauptamtlich beschäftigt, würde das den Haushalt der Kommune überbelasten. Doch nicht nur das: Es würde die lokale Politik, die sich durch ihre Bürger*innennähe auszeichnet, weiter vom Alltag entfernen. Kommunalpolitiker*innen sind nicht einfach nur „Frau Bürgermeisterin“ oder „Herr Gemeinderat“. Es ist die Nachbarin Renate, die nun auch mal die Ratssitzungen leitet. Es ist der Arbeitskollege Steffen, der sich leidenschaftlich für eine Umgehungsstraße ausspricht.  

Gedankt wird den Kommunalpolitiker*innen das Engagement aber nicht immer. Im Gegenteil, das kommunale Monitoring des Bundeskriminalamts (BKA) zu Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amtsträger*innen zeigt, dass mehr als ein Drittel dieser Amtsträger*innen bereits Anfeindungen erlebt hat. Tendenz: steigend. In den meisten Fällen zeigt sich der Hass in Form von Verleumdungen, Beleidigungen und Bedrohungen und sogar tätlichen Angriffen. Die in der Kommunalpolitik Aktiven wissen natürlich, dass Streit in einer Demokratie dazugehört. Blinden Hass sollten sie nicht erdulden müssen.

Für Betroffene entsteht ein Klima der Angst, das neuen, potentiellen ehrenamtlichen Nachwuchs abschreckt. Insbesondere in ländlichen Regionen, in denen es in der Regel gar keine Hauptämtler*innen gibt, kann man sich einen solchen Zustand nicht erlauben.

Stütze der Daseinsvorsorge

Von anderer Art sind die Schwierigkeiten im Bereich des sozialen und karitativen Ehrenamts. Als nahezu unverzichtbar erweisen sich die Ehrenamtlichen beispielsweise bei den Tafeln. Laut Angaben der Tafel Deutschland e.V. sind 95 Prozent der Helfer*innen Freiwillige. Sie transportieren die Lebensmittelspenden, sie sortieren und verteilen die Ware, sie unterstützen Spendenkampagnen. Dabei verstehen sich die Tafeln aber nicht nur als Servicedienstleister. Sie wollen an die Politik herantreten, appellieren: „Unser Ziel muss es sein, dass jeder Mensch in Deutschland sicher leben kann und am Reichtum unseres Landes beteiligt ist!“ auf ihrer Website.

Die Absichten der Ehrenämtler*innen insbesondere im sozialen Bereich begründen sich häufig aus ihrer Selbstlosigkeit. Es ist die Hoffnung auf eine Gesellschaft, die zusammenhält und auch die Schwächsten mitnimmt. Das aber ist eigentlich die Aufgabe von Politik: Eine funktionierende Daseinsvorsorge bereitzustellen. Und, so hart es klingt, das Ehrenamt behebt nicht die Problematik, es betreibt Schadensbegrenzung. Und das schon viel zu lange.

Die Datenlage des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass im Jahr 2023 circa 21 Prozent der Menschen in Deutschland von Armut bedroht waren. Die Politik hat hier bislang nicht ausreichend gehandelt, um dieser Bedrohung angemessen zu begegnen und sie langfristig einzudämmen. Warum sollten es also die Ehrenämtler*innen? Es mutet geradezu absurd an, dass die Bürger*innen eines der reichsten Staaten der Erde unentgeltlich tätig werden müssen, weil dieser Staat viel zu häufig dabei zusieht, wie Menschen in finanzielles Elend geraten.

Stütze des Mangels

Der Gemeinschaft etwas zurückgeben zu wollen, um sie zu stützen, ist ein hehrer Wunsch. Dass in Deutschland so viele Menschen dazu bereit sind, ungefragt und kostenlos etwas für andere zu tun, ist ein Zeichen für eine intakte Gesellschaft, die auf die viel beschworene gesellschaftliche Solidarität baut. Für all diese engagierten Menschen ist es ein Hohn, wenn ihnen dabei immer mehr Steine in den Weg gelegt werden und sie ausbaden müssen, was an anderer Stelle misslungen ist oder nicht geleistet wird. Gefährlich wird es, wenn der Staat sich bequemt, sich auf den Fortbestand des Ehrenamts zu verlassen. Auf diese Weise werden Probleme verschleiert, denn: „Der Laden läuft ja!“

Die Arbeit, die hinter der unentgeltlichen Tätigkeit steckt, wird oft nicht genug gewürdigt oder gar nicht erst gesehen. Werden die Freiwilligen dann sogar noch Opfer von Anfeindungen, fragen sich manche nicht zu Unrecht: „Wofür mache ich das hier überhaupt?“ Das muss sich ändern. Der Dienst an der Gesellschaft darf nicht zur institutionalisierten Desillusionierungsmaschinerie werden, die engagierte Bürger*innen abschreckt. Freiwilligkeit verdient bürgerschaftliche und staatliche Anerkennung. Einerseits indem man sich nicht aus Bequemlichkeit von ihr abhängig macht. Andererseits indem man den Dienst an der Gemeinschaft respektiert. Ehre, wem Ehre gebührt.


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