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Verstehen Sie Spaß?

Von Daniel Lehmann / 23. Februar 2022
picture alliance / Courtesy Everett Collection |

Mit schwarzem Humor und feiner Ironie versucht der Film „Don’t Look Up“ vor dem Klimawandel zu warnen. Warum das funktioniert, zeigt nicht nur ein Blick in die Geschichte der Satire.

Zwei Astronom:innen entdecken einen riesigen Kometen, der in etwas mehr als sechs Monaten auf der Erde einschlagen und damit alles Leben vernichten wird. Doch anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Bedrohung durch den „Global Killer“ abzuwehren, verrennen sich Politik, Medien und Gesellschaft in falschen Entscheidungen, nichtigen Themen und letztlich fataler Überheblichkeit. So in etwa lässt sich die Handlung des Films „Don’t Look Up“ (2021) von Regisseur Adam McKay zusammenfassen. McKay hat sich unter anderem mit dem vielfach gewürdigten Film „Vice“ (2019) über den ehemaligen US-amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney einen Namen in Hollywood gemacht. Mit „The Big Short“ (2015) und „Anchorman“ (2004) hatte der zeitweise für die Comedy-Show Saturday Night Life angeheuerte McKay bereits zuvor satirische Streifen produziert. So kontrovers wie sein jüngstes Werk wurde indes wohl noch kein Titel aufgenommen.

Während sich Wissenschaftler:innen überwiegend positiv äußern, ist das Medien- und Kritiker:innen-Echo gespalten. Der 56-jährige McKay selbst erklärte in mehreren Interviews, er wollte mit „Don’t Look Up“ seiner seit Jahren aufkeimenden Angst vor den Folgen des Klimawandels und der Wut über die kaum wahrnehmbaren Maßnahmen dagegen Ausdruck verleihen. „Die Bandbreite an Emotionen, die wir aktuell eigentlich fühlen sollten, liegt irgendwo zwischen der Kuba-Krise und den Bombenangriffen auf London [im Zweiten Weltkrieg]. Aber wir stehen noch bei ‚Verwendet keine Spraydosen‘.“

Der Komet dient ihm dabei als metaphorisches Symbol für den real drohenden Untergang. Dabei belässt es der 2016 mit dem Oscar prämierte Regisseur allerdings nicht, sondern unterfüttert das Ganze bissig mit der Darstellung von Verschwörungstheorien, Shitstorms in sozialen Medien und gewinnorientierten Konzernen mit zu großem politischen Einfluss.

Satire macht Wissenschaft zugänglicher und Sex-Entzug den Frieden wahrscheinlicher

Es stellt sich unweigerlich die Frage: Ist Satire die richtige Wahl, um Botschaften zu verbreiten, wenn es um komplexe und ernste Themen wie den Klimawandel oder Corona-Maßnahmen geht? Ja, belegen zumindest die Studien zu Late Night-Shows von den US-Kommunikationswissenschaftler:innen Paul R. Brewer und Jessica McKnight. Es zeigte sich, dass Satire Zuschauer:innen besser erreicht als ein rein faktenbasierter Ansatz. Insbesondere für Menschen ohne größere Vorkenntnisse, sozusagen den Mainstream, braucht es einen unterhaltsamen Türöffner, um eine Annäherung und Auseinandersetzung mit Wissenschaft zu beflügeln. In der Folge kann dies sogar dazu beitragen, die Haltungen und Ansichten des Publikums zu bestimmten Themen und Debatten zu beeinflussen und laut Brewer und Knight als „Katalysator für öffentliche Aufmerksamkeit für den Klimawandel“ zu wirken.

Überhaupt dient Satire seit jeher als Spiegelbild der Gesellschaft, um Missstände in den Fokus zu rücken, zu entlarven und den Wunsch nach Veränderung herbeizuführen. Die Komödie „Lysistrata“ des griechischen Dichters Aristophanes, von vielen als ältestes satirisches Stück erachtet, handelt von einer Gruppe Frauen, die aus Frust über den anhaltenden Peloponnesischen Krieg und dem damit verbundenen Leid ihren Männern mit Sex-Entzug begegnen. Auch in der Filmwelt hat Satire eine lange Tradition. „Der Große Diktator“ von und mit Multi-Talent Charlie Chaplin aus dem Jahr 1940 gilt heute als erster satirischer Spielfilm überhaupt und ist nicht zuletzt durch die Szene mit der legendären, flammenden Rede für Menschlichkeit und ein friedliches Miteinander ein Paradebeispiel für eine klar vermittelte Botschaft.

Ein großer Erfolg für Netflix – und für die Erde?

Oliver Maria Schmitt vom Berliner Satiremagazin „Titanic“ erklärt in der Doku-Reihe „Radikal komisch – die Macht der Satire“: „Satire ist Kritik mit komischen Mitteln. Und das Beste ist, wenn man sie auch mit Komik pariert. Das können aber die meisten nicht, weil sie dann durch satirische Äußerungen, durch Witze, durch Verlachung aus der Ruhe, aus der Reserve gelockt werden. Dann ist Satire am wirkungsvollsten: Wenn sie komisch daherkommt, aber die andere Seite beleidigt, erzürnt oder diese betroffen reagiert. Dann hat Satire alles richtig gemacht.“

Netflix hat mit „Don’t Look Up“ aus wirtschaftlicher Sicht auf jeden Fall alles richtig gemacht. Der vor Stars nur so strotzende Film (u. a Meryl Streep als US-Präsidentin und Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio als die eingangs erwähnten Astronom:innen) hat nach Unternehmensangaben einen neuen Rekord für die längste Gesamtstreamingdauer in einer Woche aufgestellt und rangiert hinter Actionhit „Red Notice“ auf Platz 2 der meistgestreamten Eigenproduktionen des Dienstes innerhalb von 28 Tagen nach Erscheinen. Ob damit auch ein Beitrag zur Rettung des Planeten geleistet wurde, wird sich zeigen.

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