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Von wegen Fehler“kultur“

Von Lisa Grefer / 28. Februar 2024
picture alliance / ZB | Britta Pedersen

Das Tabu des Scheiterns greift zumindest in Deutschland in der Bildung und beim Thema Innovation noch immer um sich. Nach der Universität geht es nicht unbedingt gleich ins experimentierfreudige Valley.

Auf der akademischen Bühne verbirgt sich hinter den Kulissen eine Realität, die nicht immer den eigenen Wunschträumen folgt. Selbst angesehene Professoren sind nicht immun gegen die unvorhergesehenen Wendungen in ihrem Berufsleben. Als mein Vertretungsprofessor der Studierendenschaft eher ungerührt mitteilte, dass er keine feste Professur erhalte, führte sein geradezu positiver und reflektierter Umgang mit diesem vermeintlichen Scheitern zu einer Diskussion über das Thema “Scheitern als Tabu“.

Scheitern als Wendepunkt: Die raue Realität auf dem Weg zur Professur

Denn klar ist auch uns Studierenden längst: Hinter verschlossenen Türen kämpfen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Universitäten mit den harten Herausforderungen einer wettbewerbsintensiven akademischen Welt. Der Hoffnung auf eine Professorenstelle, die vielleicht nach der erfolgreichen Promotion aufkeimt, folgt für die meisten die Desillusionierung. Postdoktoranden, kurz Postdocs, sehen sich mit einer düsteren Realität konfrontiert. Die Erfolgsquote bei Bewerbungen auf eine Professur liegt bei 1:23. Die Jahre als Postdoc sind geprägt von unsicheren Arbeitsverhältnissen, schlechter Bezahlung und unvermeidlichen Umzügen.

Die meisten Postdoc-Verträge laufen selten länger als drei Jahre. Nicht wenige erkennen erst mit Mitte 40, dass sie ihr Karriereziel „Prof.“ niemals erreichen werden. Sie enden oft in der akademischen Sackgasse. Der Umgang mit dem Scheitern im akademischen Kontext erfordert deshalb nicht nur fachliche, sondern auch emotionale Resilienz. Das Scheitern wird in akademischen Kreisen jedoch selten thematisiert. Es ist ein Tabu, das die Belastung der Betroffenen verstärkt.

Die „Fail fast, fail often“-Mentalität: ein Blick ins Silicon Valley

Es war bemerkenswert, dass mein Professor sein (unverschuldetes) “Versagen“ so transparent thematisierte. Im Silicon Valley, Experimentier-Mekka der IT-Blase, wird ein offenerer Umgang damit gepflegt.

Auch der scheinbare Widerspruch „Fail fast to succeed sooner“ ist im Silicon Valley häufiger zu hören. In der kalifornischen Innovationshochburg des Technologiezeitalters wird diese Mentalität als essenziell für den Erfolg erachtet. Fehler gelten nicht als Makel, sondern als wertvolle Lehrmeister auf dem Weg zum Fortschritt. Die Unternehmerkultur schreibt regelrecht vor, dass schnelles Scheitern und rasches Lernen nicht nur akzeptiert, sondern gefördert werden soll. Diese Einstellung, so die Überzeugung, ermögliche es, von Misserfolgen zu profitieren, sich weiterzuentwickeln und letztlich erfolgreich(er) zu sein.

Die Psychologie des Erfolgs: Resilienz, Lernen aus Fehlern und Wachstumsdenken

Diese Maxime, die vermeintlich das Versagen lobt, basiert auf grundlegenden psychologischen Prinzipien, die dem Erfolg in einer Ära der Unsicherheit und der Innovationsfähigkeit förderlich sind. Die psychische Widerstandsfähigkeit bildet das Fundament dieses Mantras. Im Silicon Valley wird dazu ermutigt, ein Hinfallen nicht als Endpunkt, sondern als Wendepunkt zu betrachten. Psychologisch gesehen bezieht sich diese Form der Resilienz nicht nur auf die Überwindung von Schwierigkeiten, sondern darauf, gestärkt und besser gerüstet für zukünftige Herausforderungen zu sein und weiterzumachen.

Maßgeblich beeinflusst wurde diese Haltung vom Konzept des adaptiven Lernens, geprägt von Carol Dweck, Professorin für Psychologie an der US-amerikanischen Stanford University. Es unterscheidet zwischen festem Denken und einem Denken der Kategorie des Wachstums. Personen mit festem Denken glauben, dass ihre Fähigkeiten und Intelligenz unabänderlich sind und sich kaum anpassen lassen, während Menschen mit Wachstumsdenken Krisen oder ein Scheitern als Chancen zur Weiterentwicklung betrachten. Menschen mit einem solchen Mindset zeigen laut Forschung eine bessere, weil strategisch durchdachte Bewältigung von Rückschlägen, eine erhöhte Ausdauer und eine grundsätzlich positivere Einstellung zu Herausforderungen aller Art.

Wachstumsdenken statt Status-quo-Denken

Die praktische Umsetzung dieses Ansatzes erfordert die Schaffung einer Umgebung, in der Fehler als wertvolle Lernmöglichkeiten kommuniziert werden. Dafür ist eine mutige Risikoeinschätzung ebenso wichtig wie schnelles, ehrliches Feedback von außen. Misserfolge dürfen demnach weder auf der einen noch auf der anderen Seite tabuisiert werden.

Manche Kritiker sehen in dieser modernen Fehlerkultur übrigens keine verbesserte Umgangsweise mit Misserfolg, sondern eine zu optimistische Herangehensweise. Viele könnten darin eine Rechtfertigung für Mittelmäßigkeit erkennen, so Michael DePrisco vom Project Management Institute. 2022 schrieb er in einem Aufsatz: „In der Praxis führten die Konsequenzen [dieses Denkens] zu Problemen am Arbeitsplatz oder Jobverlust“.

Am Ende ist die jeweilige Sichtweise ausschlaggebend für persönliches und berufliches Wachstum. Ob Wunschdenken oder nicht: Es hilft, sich von fest(gefahren)en Denkstrukturen und der Angst vor dem Scheitern zu befreien und stattdessen die Chancen in den auch bitteren Lehren zu erkennen, die uns das Leben erteilt. So wie es mein Professor getan hat.

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