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Was bringt ein NPD-Verbotsverfahren jetzt?

Von Thomas Grumke / 11. Dezember 2012
picture alliance | CHROMORANGE / Christian Ohde

Das aktuelle Entsetzen über die neue Qualität der rechtsextremistisch motivierten Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hat sich (bisher) nicht in eine neue Qualität des nachhaltigen Handelns gegen Rechtsextremismus in Gesellschaft, Politik und Verwaltung transformiert. Gerade vor diesem Hintergrund ist es irritierend, mit welcher Energie Politiker in seltener parteiübergreifender Einigkeit jetzt ein zweites Verbotsverfahren gegen die […]

Das aktuelle Entsetzen über die neue Qualität der rechtsextremistisch motivierten Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hat sich (bisher) nicht in eine neue Qualität des nachhaltigen Handelns gegen Rechtsextremismus in Gesellschaft, Politik und Verwaltung transformiert. Gerade vor diesem Hintergrund ist es irritierend, mit welcher Energie Politiker in seltener parteiübergreifender Einigkeit jetzt ein zweites Verbotsverfahren gegen die notorisch erfolglose Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorantreibt. Wie ist also die Lage Ende 2012?

Am Anfang des 21. Jahrhunderts gehört Rechtsextremismus zur Normalität fast aller westlichen Demokratien. Dies gilt auch für Deutschland. Im Jahr 22 der deutschen Einheit sind – im Bewusstsein eines nicht ganz kleinen Teils der Bevölkerung – erhebliche Verschleißerscheinungen der repräsentativen Demokratie festzustellen (siehe z.B. die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung). Vor diesem Hintergrund verbreiten und intensivieren sich demokratiefeindliche Diskurse in der Gesellschaft. Dabei stehen die Ethnisierung gesellschaftlicher Verhältnisse im Mittelpunkt, also die Verknüpfung gefühlter Missstände mit bestimmten ethnischen Gruppen, denen negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Zudem werden bestimmten Gruppen gern mal ihre Grundrechte abgesprochen wie bspw. den Muslimen. Teilweise ist eine Kontrastgesellschaft entstanden, die sich einer demokratischen Bindung verschließt und die nicht zuletzt – absichtlich oder nicht – argumentatorisch von Kampagnen à la Sarrazin aufmunitioniert wird. Ein NPD-Verbot (um vom besten Fall auszugehen) würde für diese Problemlage keine Besserung bringen!

Es gibt gegenwärtig in Deutschland eine vitale rechtsextremistische soziale Bewegung. Während diese Bewegung relativ homogene Ideologiemuster und Feindbilder aufweist, ist sie in ihren Strukturen und Strategien immer noch eher heterogen. Ferner ist diese Bewegung oft durch eine fundamentaloppositionelle Lagermentalität und eine hermetisch geschlossene ideologische Parallelwelt gekennzeichnet. Betrachtet man das aktuelle Erscheinungsbild der extremistischen Rechten in der Bundesrepublik, dann dominierten lange Zeit die Parteien. Mit insgesamt etwa 7.300 Mitgliedern organisierten sie 2011 aber nur noch ca. 31 Prozent der aktiven Rechtsextremisten – 1999 waren es noch ca. 72 Prozent. Die NPD nimmt auch innerhalb der Szene an Bedeutung ab.

Rechtsextremisten sind ferner gegenwärtig keine ernste Gefahr für die Institution der parlamentarischen Demokratie: Die Machtübernahme steht nicht bevor! Dessen ungeachtet sind Rechtsextremisten durchaus eine ernste Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft durch die direkte oder indirekte Androhung oder sogar Anwendung von Gewalt. Und diese ist der monistischen Ideologie des Rechtsextremismus grundsätzlich inhärent, wenn diese zu Ende gedacht wird. Die NSU-Morde bilden hier nur die Spitze des Eisbergs. Ein NPD-Verbot (um vom besten Fall auszugehen) würde auch für diese Problemlage keine Besserung bringen!

Wenn dieser Zustandsbeschreibung grob gefolgt wird, bleibt die Frage: Was bringt ein NPD-Verbotsverfahren der deutschen Gesellschaft jetzt und in dieser Lage? Wieder einen Erfolg des Verbotsverfahrens vor dem BVerfG angenommen, würde Wahlkampfkostenerstattung in Höhe von ca. 1-1,5 Mio. Euro pro Jahr gespart: ungefähr die Kosten für den Bau von 250 Meter neuer Autobahn (ohne Brücken und Tunnel)! Die Frage, warum die NPD in demokratischen Wahlen die Stimmen bekommen hat, die erst zu der Wahlkampfkostenerstattung führen, ist damit nicht geklärt.

Eine gelingende Praxis zur Eindämmung des Rechtsextremismus muss eine konsequente strafandrohende und -vollstreckende Komponente für den harten Kern der Aktivisten enthalten. Sie kann jedoch nicht allein repressiv oder auf die Bekämpfung seiner Organisationen reduziert werden, sondern muss vor allem auf die Stärkung einer nachhaltigen demokratischen Kultur konzentriert sein. Wie die Einstellungsforschung immer wieder zeigt, nimmt die Zustimmung zu rechtsextremistischen bzw. menschenfeindlichen Denkmustern mit zunehmendem Grad der Bildung ab. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass es an deutschen Schulen noch kein Regelfach Demokratieerziehung gibt, wo jungen Menschen Theorie und Praxis der liberalen Demokratie – als auch Ideologien und Strategien ihrer Feinde – vermittelt werden. Politische Bildung im Sinne von Extremismusprävention und -bekämpfung muss ein permanenter demokratiebegleitender Prozess sein und kann durch Verbote nicht ersetzt werden. Hier würde ich mir mindestens die gleiche Energie wünschen, wie sie nun allenthalben in das zweite NPD-Verbotsverfahren investiert wird!

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