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ProDie Grenzen des Sagbaren sind ausgereizt

Von Sophie Hubbe / 29. Februar 2024
picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Öffentliche Debatten leben von Auseinandersetzungen. Für- und Widersprecher begegnen sich mit hitzigen Argumenten. Zunehmend gewinnt man den Eindruck, dass gezielte Provokationen, kalkulierte Shitstorms und inszenierte Tabubrüche unsere Debattenkultur dominieren.

Den türkischen Staatspräsidenten in einer sogenannten „Schmähkritik“ als Ziegenfi**** zu bezeichnen oder Alexander Gauland einen Reptiloid zu nennen, kann in Deutschland als Straftat geahndet werden. Was jedoch, wenn es sich bei den getätigten Aussagen um satirische und künstlerische Texte handelt? Nun ja, in diesem Moment greift die Kunstfreiheit und erlaubt es, solche bewusst überspitzten, gar beleidigenden Aussagen zu tätigen. Es handelt es sich um Stilmittel, die von Polarisierung und Provokation leben. Sie brechen bewusst Tabus und überschreiten die Grenzen des Sagbaren. Dabei verfolgen sie das offenkundige Ziel, Aufmerksamkeit zu generieren und bestimmte Themen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Soviel zum Hintergrund.

Mir aber scheint, neben Künstlern und Satirikern interessieren sich vor allem Politiker für solche polarisierende Kommunikationsmittel. Besonders bei extremen und populistischen Parteien lässt sich der Trend erkennen, politische Reden mit überspitzten Floskeln, Plattitüden und Fakenews zu füttern. Und das nicht nur am politischen Aschermittwoch, sondern zunehmend auch in offiziellen Reden und politischen Statements. Das Ziel ist allen dabei das Gleiche: Sie wollen mehr Reichweite für sich und ihre Botschaften.

Das Unsagbare sagbar machen

Schaut man sich aktuelle Bundestagsdebatten an, wird deutlich, wie sehr sich die Debattenkultur im Plenarsaal spätestens seit dem Einzug der AfD verändert hat. Dabei handelt es sich längst nicht mehr um Einzelfälle. Wir haben es mit gezielten und kalkulierten Provokationen zu tun.

Machen wir es konkret. Marco Buschmann (FDP) sprach 2020 (damals noch nicht in der Rolle des Bundesjustizministers) im Zusammenhang mit der Debatte über das Infektionsschutzgesetz von einem „Tabubruch“ durch die AfD, der das Ziel verfolge, ein „Klima der Bedrohung“ in den Bundestag zu tragen.

Dabei ist es gerade das bewusste Provozieren, Polarisieren und damit Normalisieren von fragwürdigen Kommunikationsstrategien, die anhaltenden Erfolg bescheren. Der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje sprach im Deutschlandfunk von einer „Propaganda 4.0“, mit der die Vertreter rechts der Mitte die politische Debattenkultur veränderten. Zentral gelinge ihnen das durch eine konfrontative Gegenüberstellung des „Wir gegen die anderen“.

Die vermeintliche Alternative verwendet selten sachliche Argumente. Sie bedient sich vereinfachender Behauptungen, falsch kontextualisierter Fakten, negativer Schlagworte und emotional aufgeladener Bilder. Laut dem Institut für Menschenrechte (DIMF) schürt die Partei Ängste, Wut und Unsicherheiten. Ein guter Nährboden also, um Tabubrüche und neue, aggressive Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu rechtfertigen.

Schuld sind dabei immer die anderen. Egal, ob es sich um die Klimakrise, die wirtschaftliche Situation Deutschlands oder das Thema Migration handelt; die radikalen Politiker verfolgen das Ziel, mit ihren tabulosen Thesen anzuecken und zu spalten.

Viel mehr als ein Vogelschiss der Geschichte

Für mich lässt sich an dieser Stelle ein Schema erkennen, wie man es auch bei anderen populistischen Parteien und Akteuren in Europa findet. Durch Empörungswellen werden Shitstorms erzeugt und mediale Aufmerksamkeit generiert. Aussagen und Botschaften werden bewusst so platziert, dass sie möglichst heftige öffentliche Reaktionen hervorrufen.

Besonders gut beherrscht man hier in Deutschland den Einsatz historischer Begriffe aus dem nationalsozialistischen Kontext. Diese werden umgedeutet und in aktuelle Debatten eingebunden. Aktuell lässt sich das am Beispiel des Begriffs der „Remigration“ erkennen. Ein ähnlich abstoßendes Exempel war die sogenannte „Vogelschiss-Äußerung“ von Alexander Gauland in Bezug auf Hitler und die Zeit des Nationalsozialismus gegenüber „[…] 1000 Jahre erfolgreicher deutscher Geschichte.“

Es wird versucht, den politischen Diskurs zum eigenen Gunsten zu verändern. Eng verbunden mit dieser sprachlichen Verschiebung hin zu Tabubrüchen und bewusster Provokation ist das Muster der Täter-Opfer-Umkehr und damit die Bagatellisierung und Verharmlosung eigener getätigter Aussagen. Dieser Opfermythos ist ein zentrales Element rechter und populistischer Rhetorik.

Für mich ist es umso wichtiger, sich mit der Argumentationsweise solcher Parteien auseinanderzusetzen. Anstatt diesen Tabubrüchen durch einen medialen Aufschrei weitere Aufmerksamkeit zu geben, gilt es, sich ihrer bewusst zu werden und sie als solche zu entlarven.



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