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Was Hautfarbe mit Identität zu tun hat

Von Özge Kabukcu / 24. März 2021
picture alliance/dpa | Christian Charisius

Kann man sich als Weiße/r schwarz fühlen, indem man sich die Hautfarbe anderer zu eigen macht? Oder umgekehrt, als Schwarze/r mit heller Haut zu einer weißen Identität wechseln? In eine andere Hautfarbe schlüpfen zu wollen, ist ein weitaus komplexerer Vorgang, als es auf den ersten Blick scheint.

Der Fall von Rachel Dolezal machte weltweit Schlagzeilen. Jahrelang gab sich die Amerikanerin als Schwarze aus. Mit Afro-Haaren und dunklem Make-Up war sie jahrelang bis 2015 Präsidentin deslokalen Ablegers der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in Spokane, Washington, und arbeitete als erfolgreiche Unidozentin für afrikanische und afroamerikanische Studien im Bundesstaat Washington – bis eines Tages ihre Eltern ihre Lüge platzen ließen. Zum Beweis veröffentlichten sie die Geburtsurkunde und Fotos ihrer Tochter, in der diese als weißer, blonder und blauäugiger Teenager zu sehen ist. Ihr Vater erklärte in einem Interview: „Sie hat sich so stark dieser Kultur angepasst, dass sie dabei eine neue Identität angenommen hat.“ Dennoch beteuerte Rachel Dolezal immer wieder, dass sie „definitiv nicht weiß“ sei. „Selbstporträts habe ich immer mit dem braunen statt dem pfirsichfarbenen Buntstift gemalt. Ich identifiziere mich als Schwarze“, so ließ sie sich auch später noch vielfach zitieren.

Das Verhalten der ehemaligen NAACP-Ortsvorsitzenden gilt in der Soziologie als “passing“. Der Begriff bezeichnet den grundsätzlichen Wechsel einer ursprünglichen in eine andere Identitätsform, sodass ethnische, sexuelle, körperliche oder soziale Grundmuster einer Person durch Außenstehende nicht mehr zugeordnet werden können. In der Regel bezieht sich die Bezeichnung (in Abwandlung als “white passing“ beschrieben) aber auf Schwarze, die durch bestimmte Handlungen und Mechanismen versuchen, als „der weißen Dominanzkultur zugehörig“ akzeptiert zu werden, um sich vor Rassendiskriminierung zu schützen und um soziale sowie strukturelle Vorteile von weißen Menschen genießen zu können – eine Art Überlebensstrategie also.

Das Beispiel Michael Jackson

Michael Jackson soll sich bis kurz vor seinem Tod 2009 mehr als 50 Schönheitsoperationen und wiederholten Behandlungen zur Hautbleichung unterzogen haben, um den westlichen Schönheitsidealen zu entsprechen. Tatsächlich wurde die Haut des einstigen schwarzen “King of Pop“ mit den Jahren zunehmend blasser, sein Haar immer glatter und die Gesichtszüge europäisch. Die ethnisch bedingt breitere Nasenform war mit der Zeit völlig verschwunden und von seiner schwarzen Haut war nichts mehr übrig. Jahrelang spekulierte man, ob Jackson seine Haut aufhellte, um irgendwann als Weißer durchzugehen, oder ob er, wie er es selbst immer wieder betont hatte, unter einer Erkrankung namens Vitiligo litt, die er nicht aufhalten, der er aber durch das Bleichen seiner Haut etwas entgegensetzen wollte. (Heute kennt man Vitiligo v.a. durch das kanadische Model Winnie Harlow.) Seine Herkunft und Hautfarbe hat der von Kindesbeinen an als Popstar gefeierte Musiker dennoch nie abgestritten. In der Fernseh-Talkshow von Oprah Winfrey im Jahr 1993 sagte er sogar: „Ich bin stolz, ein schwarzer Amerikaner zu sein.“

Darf man sich seine Hautfarbe nun aussuchen?

Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang geradezu aufdrängt, lautet: Warum erhalten Transgender offenbar mehr Fürsprache und Unterstützung, während Menschen, die als Transracial gelten können, attackiert werden? Geschlechtsidentitäten, heißt es, seien fließend. Diese Aussage erhält mehr und mehr gesellschaftliche Akzeptanz. Auf andere Bereiche scheint das nicht zuzutreffen. Was biologisch gegeben oder sozial konstruiert ist, darüber werden in diversen Disziplinen immer noch hitzige Diskussionen geführt. Veränderlich ist heute angesichts medizinischer Fortschritte ja nahezu jeder Körper – auch jenseits krankheitsbedingter Eingriffe.

Doch ist alles, was in dieser Hinsicht möglich wäre, auch sinnvoll? Rachel Dolezals Engagement bleibt problematisch. Trotz ihrer einflussreichen Arbeit als vermeintlich schwarze Aktivistin ist sie genau das nicht: schwarz. Sie ist nicht unter vergleichbaren Umständen aufgewachsen wie ein schwarzes Kind, ihre Lebensrealität hat sich von dieser Daseinsform fundamental unterschieden, egal, wie sehr sie sich damit identifizieren konnte. Was irritiert: Dolezals Einsatz für die gleichwertige gesellschaftliche Stellung von Schwarzen hätte ausgehend von einer weißen Person nicht weniger gezählt. Sicher ist nur, sie hätte für weniger Aufmerksamkeit gesorgt als die spektakuläre Geschichte einer vermeintlichen Person of Colour.

Bei Michael Jackson liegt eine identitätspolitische Konstruktion auch heute noch nahe. Er ist in einer Zeit aufgewachsen, in der Diskriminierung und Rassismus gegenüber Schwarzen insbesondere in den USA als institutionalisierte Ordnung gebilligt wurden. Daraus resultierende “Anpassungsmechanismen“ unter der schwarzen Bevölkerungsschicht reichten bis in die Kolonialzeit und Versklavung zurück. Jacksons unterstelltes “white passing“ muss deshalb in einem gänzlich anderen Kontext bewertet werden, als ihn der Fall Dolezal nahelegt. Das Phänomen ist darum längst nicht nur in der Forschung ein Thema.

Neben der akademischen, historischen Aufarbeitung liegt ein Blick in den Alltag nahe, genauer in die Modewelt. So sind aktuelle Modetrends auch nichts anderes als eine Aneignung – und zwar eine “kulturelle Aneignung“. Und die ist in eine Richtung nunmal zweifelhaft.

Style ist politisch

Menschen aus dominanten und privilegierten Gesellschaftsgruppen – gemeint sind Menschen, die als Weiße gelesen und denen deshalb Attribute wie Überlegenheit und Fortschritt zugeschrieben werden – bedienen und schmücken sich oftmals mit Haartrachten oder Kleidungsstilen aus fremden Kulturen und marginalisierten Gruppen. Aber sind Dreadlocks und Saris verwerflich? Oder kann das als Zeichen von Respekt gewertet werden? Schwierig. Einig sind sich aber immer mehr Leute, wenn es zum Beispiel um das Karnevalskostüm des Mohren geht, dass das eben nicht mehr geht.

Wenn “passing“ einem Unterhaltungstrend entspricht und die angenommene Identität jederzeit nach Belieben wieder abgelegt werden und ohne Nachteile “erlebt“ werden kann, ist eine solche Inszenierung vor allem eine hierarchische Praxis derer, deren Herkunft und Hautfarbe nie wirklich eine Rolle gespielt und schon gar kein Problem dargestellt haben. Insofern sind Labels und Styling nicht nur Äußerlichkeiten, sie sind politischer, als viele wahrhaben wollen.

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Hinweis:

Wie viele Identitäten sind wir, verleugnen wir, streben wir an? Im März 2021 beleuchten AutorInnen der NG/FH und sagwas.net gesellschaftliche und politische Dimensionen dieser Frage – zum Nachlesen und Nachdenken.

In der aktuellen Ausgabe (3/2021) der Neuen Gesellschaft Frankfurter Hefte hält die US-amerikanische Philosophin und Direktorin am Einstein Forum in Potsdam, Susan Neiman, ein Plädoyer für eine fortschrittliche, staatliche Identitätspolitik. Lesen Sie hier: https://www.frankfurter-hefte.de/artikel/unterschiede-respektieren-das-gemeinsame-bewahren-3151/

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