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Wenn es im Ohr kribbelt

Von Miriam Schaan / 8. Mai 2024
Foto: Miriam Schaan

Schallplatten liegen seit Jahren wieder im Trend. Stefan Wolter begleiten sie schon sein ganzes Leben. Zu Besuch in einem Laden, einem Schallplattenladen.

Es fing mit Elvis an, erzählt Stefan Wolter, der einfach Stefan genannt werden will. Sein Laden, der Sound Vinyl Store, liegt in der Nostitzstraße im schönen Bergmannkiez in Berlin-Kreuzberg. Hier verkauft Stefan seit 2015 gebrauchte Schallplatten aller Sparten.

Wir sitzen uns im Souterrain am Verkaufstisch seines Ladens gegenüber und ich befrage ihn zu seiner Leidenschaft für Schallplatten. Der Raum versprüht 70er Jahre Charme, die Zeit scheint hier unten stehengeblieben zu sein. Die beiden Verkaufsräume sind mit Tischen vollgestellt, auf denen rote Lebensmittelkisten stehen. Auf handbeschrifteten Zetteln kann man die Stilrichtung der darin befindlichen LPs lesen: „Klassik“, „Jazz“, „Synth“, „World“ und viele mehr.

Als Elvis Presley im August 1977 gestorben war, erzählt Stefan, „haben sie im Radio von morgens bis abends berichtet und seine Songs gebracht“. Das faszinierte den damals 9-Jährigen und er fing an, Schallplatten von Elvis zu sammeln – eine Leidenschaft, die sich bald ausweiten sollte. Heute, mit 56 Jahren, besitzt Stefan privat rund 1500 Schallplatten.

Von der Diskothek zum eigenen Plattenladen

In seiner Jugend war Stefan im Dunstkreis der legendären Berliner Diskothek S.O.U.N.D. an der Kurfürstenstraße unterwegs, die in den vor über 40 Jahren als „Europas modernste Diskothek“ galt und gleichzeitig für ihr Drogenproblem bekannt war. Den Namen Sound Vinyl Store versteht Stefan als Hommage an diesen Ort: Hinter ihm an der Wand prangt das charakteristische Werbeplakat der Diskothek – kirschrote Lippen auf regenbogenfarbenem Hintergrund.

Liebt es handfest: Berliner Plattenladenbesitzer Stefan Wolter (Foto: Miriam Schaan)

Bis zur Gründung seines eigenen Plattenladens war es jedoch ein langer Weg. Als gelernter LKW-Schlosser fuhr Stefan 21 Jahre lang einen Caterpillar Schaufelbagger, mit dem er Baugruben aushob. Als ihm zwei kaputte Bandscheiben diese Arbeit unmöglich machten, führte Stefan für einige Jahre einen Handel mit Europaletten in Berlin-Lichterfelde. Zwischenzeitlich legte er als DJ in einer Rock-Diskothek auf, bis er sich 2015 endlich den langgehegten Wunsch erfüllte: die Eröffnung des Sound Vinyl Store.

Gute Platten für wenig Geld

„Es ist halt mein Hobby“, sagt Stefan und greift nach einer Schallplatte, die vor ihm auf einem Stapel mit Neuzugängen liegt. Während unseres Gesprächs zieht er jede Scheibe mit geübtem Griff aus der Plattenhülle, wischt sie sorgfältig mit einem in Reinigungsmittel getränkten Taschentuch ab, steckt sie vorsichtig zurück in die Packung und etikettiert den Preis. Zwei Euro, sieben Euro, neun Euro – die Schallplatten hier sind alle gebraucht und entsprechend günstig.

Ob der Laden gut läuft, möchte ich wissen. Dabei beantwortet sich die Frage von selbst: Unentwegt kommen Kunden herein, stöbern in den Kisten und treten dann mit ihrem Fund zu uns an den Verkaufstisch. Seine Rechnungen könne er alle bezahlen, antwortet Stefan zufrieden, „aber so richtig sparen oder so ist nicht“.

Wer hierher kommt, sollte Zeit mitbringen: Sound Vinyl Store (Foto: Miriam Schaan)

Daran sei auch seine Philosophie schuld, den Kunden die Platten nur in einwandfreiem Zustand zu verkaufen. Das bedeute vor allem, verschmutzte Platten zu waschen. Stolz präsentiert Stefan mir seine „Schallplattenwaschmaschine“, die im hinteren Teil des Ladens steht. Ich erwarte eine Art Geschirrspüler, in den man Schallplatten stellen kann, aber weit gefehlt: Die „Waschmaschine“ sieht aus wie ein Plattenspieler, der an der Oberseite statt des Tonabnehmers eine längliche Duschbrause montiert hat. In dem dicken Unterbau verbirgt sich der Wassertank mit der Reinigungslösung.

Ob die Pflege von Schallplatten nicht aufwendig und auch nervig sei, frage ich. Stefan grinst. „Diese Tamagotchis damals – da musste man sich auch drum kümmern.“ Mit den Schallplatten sei es genauso. „Das macht dann Spaß.“

Trend Schallplatte: Sind die fetten Jahre vorbei?

In der Branche heißt es, die Beliebtheit von Schallplatten ginge wieder zurück, ablesbar an den sinkenden Verkaufszahlen. Davon merkt Stefan in seinem Sound Vinyl Store nichts. Im Gegenteil: „Das Interesse ist immer mehr da“. Er führt den Rückgang in der Branche auf die gestiegenen Preise zurück, die hätten sich in den letzten Jahren verdoppelt. Inzwischen verlangten die großen Plattenfirmen 40 Euro für eine Neuerscheinung. „Das ist Geldschneiderei. Die wollen alle einen Reibach machen.“

Die Nachfrage nach gebrauchten Platten in seinem Laden sei jedenfalls konstant. Besonders beliebt seien die Platten aus den 50ern, 60ern und 70ern. Diese würden im Gegensatz zu ihren neueren Kollegen, deren Masterbänder auf digitaler Tontechnik basieren, noch komplett analog aufgenommen.

„Der Klang von den alten analogen Sachen ist sehr ruhig, ätherisch und nicht so digital verzerrt“, sagt Stefan und klingt verträumt. „Das kribbelt dann so ein bisschen, als würde es in den Ohren kitzeln.“ Es sei dieser warme, volle Sound, den die Menschen an Vinylplatten so liebten. Und diesen analogen Sound, das weiß ich jetzt, kauft man am besten persönlich, vor Ort.

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