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Wer hat Angst vor Demokratie?

Von Tom Albiez / 23. Juli 2021
picture alliance / Zoonar | Svetlana

Auch in Europa riskieren Journalisten, Künstler und Privatpersonen mit ihrer Arbeit und ihrem Engagement ihr Leben, um für demokratische Werte einzustehen. Ein Blick nach Osten zeigt, was vielen unglaublich erscheint und jetzt im Kino zu sehen ist.

Sommer 2020. Hunderttausende Menschen demonstrieren in der belarussischen Hauptstadt Minsk gegen Machthaber Alexander Lukaschenko. Das Land, das einst Weißrussland genannt wurde, wird bereits seit 1994 von ihm, den Kritiker als den „letzten Diktator Europas“ bezeichnen, regiert.

Staatlicher Sicherheitsapparat gegen Volk

Autoritär – diese Zuschreibung begreift Lukaschenko wahrscheinlich als Ritterschlag. Aus seiner Sicht kann es keine freie Presse oder Zivilgesellschaft geben, beide müssen kontrolliert werden. Als 2020 gewählt wurde und es zunächst schien, als wären die Tage des Lukaschenko-Regimes gezählt, keimte Hoffnung auf. Hoffnung auf Freiheit. Doch Lukaschenko siegte. Weil von Anfang an Manipulationsvorwürfe im Raum standen, solidarisierten sich vielerorts Menschen mit den Oppositionsführern und bestreikten Betriebe.

Der weißrussische Präsident erklärte diese Andersdenkenden zu Staatsfeinden. Er ließ den staatlichen Sicherheitsapparat gewaltsam wider das eigene Volk vorgehen. Doch es wurde weiter demonstriert, kritisiert. Die Folge: Zahlreiche Demonstranten und führende Köpfe der Oppositionsbewegung wurden niedergeknüppelt, festgenommen und in Gefängnisse oder Strafkolonien gebracht. Wer konnte, ist ins Ausland geflohen.

„Courage“ dokumentiert die Brutalität

Einer dieser Andersdenkenden ist Aliaksei Paluyan. Der belarussische Regisseur kam 2012 nach Kassel, um Film und Regie zu studieren. Seit dem 1. Juli läuft in den Kinos sein Langfilmdebüt „Courage“. Die Dokumentation begleitet in der Umbruchsstimmung des Sommers 2020 drei Künstler des Belarus Free Theatre. Dahinter verbirgt sich ein Untergrund-Theater in Minsk, das systemkritische Themen zu seinem Programm gemacht hat. Um das Ganze zu dokumentieren, war Paluyan zwischen Anfang August und September 2020 selbst vor Ort. Er begleitete aber nicht nur das Theaterprojekt, sondern schreckte auch nicht davor zurück, die Kamera in unmittelbarer Nähe auf vermummte Sicherheitskräfte zu richten.

Entstanden ist so eine Dokumentation, die durch die dargestellte Brutalität des belarussischen Machtapparats erschüttert. Dadurch, dass der Jubel vor den Gefängnistoren, wenn erste Freigelassene erscheinen, die Wärter hinter den Mauern noch härter zuschlagen lässt. Bis er genau deswegen wieder verstummt. Aber es ist auch eine Dokumentation, die begeistert. Durch den Mut der Demonstranten, die auf die Straße gehen, obwohl allein schon das Tragen der weiß-rot-weißen Flagge der Opposition für eine Festnahme ausreicht. Und durch den Mut der Theaterkünstler, die durch ihre Stücke den Opfern des Systems eine Stimme geben wollen. Umso bitterer der Beigeschmack: Zwei der Künstler wurden Anfang 2021 verhaftet. Nach ihrer Freilassung konnten sie jedoch nach Kiew flüchten.

„Einer für alle, alle für einen“

Aliaksei Paluyan beschreibt die Intention hinter seinem Werk in einem Interview mit dem österreichischen Online-Magazin subtext.at wie folgt: „Das Ziel war, Menschen erstmals zu sensibilisieren, damit sie sich selber fragen: Was würdest du in dieser Situation machen?“ Der Okkupationszustand mache die Menschen kaputt und das Theater bearbeite die Probleme, die sich nicht jeder traue auszusprechen. Sein Film solle ermutigen, sich gegenseitig zu unterstützen. „Einer für alle, alle für einen“, ist Appell und Antrieb seines Films, so der 31-Jährige.

Mittlerweile ist ein Jahr seit den Massenkundgebungen vergangen. Alexander Lukaschenko hat mit harter Hand den Protest aus dem öffentlichen Raum gedrängt. Für besonderes Aufsehen sorgte Ende Mai der Fall von Roman Protassewitsch. Mit einem Kampfjet zwang das Regime eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius in Minsk zur Landung. Mit an Bord war der oppositionelle Aktivist Protassewitsch mit seiner Freundin, die anschließend beide festgenommen wurden. International wurde das Vorgehen heftig kritisiert. Inzwischen wurden mehrere Videos mit einem sichtlich mitgenommenen, körperlich malträtierten Protassewitsch im belarussischen Fernsehen ausgestrahlt. Darin verurteilt der 26-Jährige überraschend die Proteste, die er selbst unterstützt hatte, und sprach sich zu Gunsten von Lukaschenko aus. Unterdessen wird davon ausgegangen, dass er sich mit seiner Freundin in Hausarrest befindet. Offizieller Vorwurf: Anzettelung von Massenprotesten.

Widerstand im Untergrund

Versiegt sind die demokratischen Straßenproteste in Belarus nur scheinbar. Wie bei den von Paluyan begleiteten Künstlern des Belarus Free Theatre, so hat sich der Widerstand wieder zunehmend in den Untergrund verlagert, berichtet die Opposition in den sozialen Medien. Es sind Menschen, die ihrer Angst trotzen und ihr Leben riskieren, wenn sie sich in leerstehenden Wohnungen mit Journalisten treffen. Oder Menschen, die im Wald ein Video drehen, um im Internet zu zeigen, dass Lukaschenko den öffentlichen Protest nicht im Keim ersticken kann.

Aliaksei Paluyans Dokumentarfilm ist darum vor allem eine Mahnung, den Widerstand gegen das unterdrückerische Regime nicht zu vergessen. Belarus scheint weit weg, dabei ist Minsk gerade einmal 1000 Kilometer von Berlin entfernt. Vergleichbar also mit der Strecke Flensburg–Berchtesgaden. Das heißt, direkt vor unserer Tür wird nicht nur an einem Klima der Angst gearbeitet, sondern auch daran, Courage zu finden, sich immer wieder von Neuem dagegen zu erheben. Zumindest noch.

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