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Wer hat Angst vor den Medien?

Von Daniel Schrader / 15. August 2018
picture alliance / photothek | Ute Grabowsky

Noch immer brechen soziale Netzwerke mit gesellschaftlichen Kommunikationsgewohnheiten. Daraus resultieren Verunsicherung und pauschale Verurteilungen.

Fühlst du dich schlapp, schwindelig? Leidest du an Blähungen und Verstopfung? Wahrscheinlich vermutest du, etwas Falsches gegessen zu haben. Doch der Grund dafür könnte ein anderer sein: Womöglich liest du zu viele Romane. Ja, denn Lesen verdirbt nicht nur deinen Charakter, sondern schadet auch deinem Körper!

Aus heutiger Sicht klingt diese “Diagnose“ unsinnig, geradzu absurd. Aber vor rund 150 Jahren waren viele Menschen von den negativen Auswirkungen durch das Lesen von Romanen überzeugt. Doch ein arroganter Blick auf die Glaubenssätze unserer Vorfahren hilft hier nicht weiter. Statt vor “Buchblähungen“ sorgen wir uns heute immerhin vor Instagram-Depressionen und fragen uns, ob Smartphones zu Vereinsamung führen. Neue Medien, alte Ängste.

Diese liegen selten konkreten Fakten zugrunde, sondern spiegeln vornehmlich subjektive Eindrücke. „Medienangst ist vor allem ein Gefühl“, sagt die Düsseldorfer Kommunikationswissenschaftlerin Susanne Keuneke. „Das neue Medium erscheint bedrohlich, wie Dinge eben bedrohlich erscheinen, die fremd sind und dabei die eigenen Gewohnheiten und Wertsetzungen infrage stellen.“ Das führe bei vielen Menschen zu einer Abwehrhaltung. „Früher sind wir auch ohne Smartphone ausgekommen“, heißt es dann gern.

Soziale Vereinsamung durch Smartphones?

Medienängste treten meist nicht sofort in Erscheinung, sondern erst dann, wenn ein Medium aus den Händen der Avantgarde die gesamte Gesellschaft erreicht. Obwohl Johannes Gutenberg den Buchdruck bereits ab 1450 erfunden hatte, erfasste die Gesellschaft erst Jahrhunderte später ein Unbehagen, weil sich der Roman als Massenmedium erst im 18. und 19. Jahrhundert etablieren konnte.

Ähnlich ist es beim Smartphone: Als Steve Jobs stolz das erste iPhone in die Kameras hielt, wurde es als große Sensation gefeiert. Mit der massenhaften Verbreitung kam jedoch die Angst vor möglichen Gefahren hinzu. Denn plötzlich ließen sich die inter- und intrapersonellen Veränderungen, die das Gerät mit sich brachte, überall wahrnehmen.

Aktuell ist die Sorge vor sozialer Vereinsamung in aller Munde. Als Beweis ins Feld geführt wird der omnipräsente Anblick von technikaffinen Menschen in Cafés oder Straßenbahnen, die stumm auf ihr Handy schauen. „Dass diese Menschen auch ohne ihr Smartphone nicht miteinander geredet hätten – weil man zumindest in unserer Kultur nicht einfach mit Wildfremden Gespräche anfängt – wird genauso wenig bedacht wie die Tatsache, dass ein Teil dieser Menschen durchaus gerade mit jemandem kommuniziert, nämlich über das Smartphone“, so Keuneke.

Angst vor Machtverlust

Vor allem Kinder und Jugendliche nehmen die Bedenkenträger beim Thema Medienangst gekonnt in den Fokus. Früher wurden Heranwachsende vor viereckigen Augen als Folge eines exzessiven TV-Konsums gewarnt. Heute treten Gewalt in Computerspielen oder die Furcht vor einer gestörten Persönlichkeitsentwicklung durch Facebook und Konsorten in den Vordergrund.

Dabei bedingt diese Kritik einen Generationenkonflikt, erklärt Keuneke. „Typischerweise sind junge Menschen weniger medienängstlich.“ Kinder und Jugendliche gehen in den neuen Medien auf und sind ihnen gegenüber deshalb aufgeschlossener. Ihr Umgang gestaltet sich selbstbestimmter, während die ältere Generation nicht mehr mitkommt. Das Gefühl eines Kontrollverlusts stellt sich ein.

Es geht also um Macht. Medien besitzen Macht, sie stellen sie infrage und lösen damit (Angst vor einem) Machtverlust aus. Keuneke erinnert an einen vergleichbaren historischen Fall. „Es ist kein Zufall, dass Angehörige des katholischen Klerus den Buchdruck als Werk des Teufels ansahen, als dieser die Reformation ermöglichte.“ Die Veränderung eines anerkannten Status quo aufzuhalten ist anscheinend genauso aktuell wie vor einem halben Jahrhundert.

Mehr Fakten, weniger Ängste

Aller Ängste zum Trotz ist das Buch heute ein etabliertes Medium. Wie kam es zu diesem Wandel? Die Antwort könnte lauten: Zeit heilt nicht nur Wunden, sondern auch Ängste. Je mehr Generationen mit einem Medium umzugehen lernen, desto selbstverständlicher und nahbarer, aber auch kontrollierbarer wird es. Bis es irgendwann, wie im Falle des Buches, sogar zum Kulturgut erhoben wird.

Gefahren – mögliche oder tatsächliche – muss man dabei nicht aus den Augen verlieren. Natürlich kann zu langes Lesen bei schlechter Körperhaltung und mangelndem Licht zu Nachteilen für die eigene Gesundheit führen. Genauso kann ein übermäßiger Gebrauch von TV, Smartphone oder Computer alle Arten von Schäden verursachen. „Jedes Medium kann so genutzt werden, dass es negative Auswirkungen hat“, stellt Keuneke klar. Um die richtige Balance zwischen Sorglosigkeit und Panikmache zu finden, braucht es auch 2018 noch einen differenzierten Blick auf Medien.

Der sollte dann die Irrationalität mancher Ängste genauer beleuchten. „Wenn man in Erwägung zieht, dass vielleicht doch nicht alles so bedrohlich ist wie auf den ersten Blick angenommen, ist schon viel gewonnen“, erklärt Keuneke weiter. Statt uns auch künftig in den immergleichen Debatten unseren vermeintlichen Medienängsten unreflektiert hinzugeben, sollten wir schlicht auf wissenschaftliche Fakten vertrauen. Damit halten sich negative Begleiterscheinungen sicherlich in Grenzen.

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