„Wir alle sind rassistisch sozialisiert“
Sie ist Aktivistin, Autorin und Expertin in Sachen Rassismus: Tupoka Ogette will mit ihrem Buch „Exit Racism“ zeigen, dass mehr Diversität möglich ist. Im Interview erklärt sie, wie ein weniger rassistischer Alltag gelingen könnte und was die #MeTwo-Debatte leistet.
Sagwas: Frau Ogette, wie kann ich mir Ihre Arbeit vorstellen?
Tupoka Ogette: Ich arbeite mit unterschiedlichen Zielgruppen auf vielfältige Weise zum Thema Rassismussensibilisierung. Es geht um Selbstreflexion, das Verstehen von Rassismus als gesellschaftliche Realität, das Begreifen der eigenen rassistischen Sozialisierung und um Handlungsmöglichkeiten.
Wie definieren Sie rassistisches Verhalten?
Rassismus definiert sich als „Vorurteil plus Macht“. Weiße Menschen profitieren von Rassismus in Form von gesellschaftlicher Macht, die sich in Privilegien zeigt, und Schwarze Menschen und People of Color* erleben Rassismus.
Wo wird gesellschaftlicher Rassismus praktiziert?
Grundsätzlich gibt es keinen Bereich, in dem Rassismus nicht präsent ist. Er sitzt in unseren Denkmustern, in unserer Sprache und damit auch in Kinderbüchern, Schulbüchern, in der Werbung und in der Art, wie medial berichtet wird. Er sitzt in der Art, wie wir gelernt haben, auf diese Welt zu blicken. Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Rassismus sitzt dementsprechend auch in all unseren Systemen, vom Justiz- bis zum Gesundheitssystem. Im Alltag kommt Rassismus in Form von Mikroaggressionen vor – kleine Entwürdigungen und Grenzüberschreitungen. Beim sogenannten „Othering“ wird von einer weißen Norm ausgegangen. Schwarze Menschen und People of Color werden als „die Anderen“ wahrgenommen. Daneben gibt es auch Makroaggressionen in Form von rassistischen Übergriffen.
Gibt es Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und/oder Stadt und Land?
Ich bin beruflich in ganz Deutschland, Österreich, Italien und in der Schweiz unterwegs und erlebe überall die gleichen Fragen und Unsicherheiten. Natürlich gibt es aber je nach Homogenität bzw. Heterogenität einer Umgebung Unterschiede. Berlin, zum Beispiel, hat eine starke kreative und aktivistische Szene. Es zieht viele Menschen hierher, die sich kritisch mit Diskriminierung befassen wollen. Das heißt aber nicht, dass es in Berlin weniger Rassismus als anderswo gibt.
Was erfahre ich als Leserin bzw. Leser Ihres Buchs „Exit Racism“?
Sie lernen, einen Blick auf sich selbst und ihre eigene Sozialisierung zu werfen, wie Rassismus entstanden ist und wie er heute wirkt. Das Buch ist ein lesbarer Workshop. Neben Input gibt es interaktive Übungen, um das Thema möglichst alltagsnah begreifbar zu machen, sowie Auszüge aus Tagebüchern, die Studentinnen und Studenten in einem meiner Kurse über ihre Empfindungen geschrieben haben.
Sie verwenden in „Exit Racism“ den Ausdruck „Happyland“…
Das ist ein Bewusstseinszustand, in dem weiße Menschen glauben, dass Rassismus ein Randthema sei, welches nichts mit ihnen selbst zu tun habe. Sie denken, dass es reicht, sich eindeutig antirassistisch zu positionieren, damit das Thema vom Tisch ist. „Happyland“ sorgt dafür, dass Menschen Rassismus reproduzieren, ohne dies wahrzunehmen. Sie sind sich nicht bewusst, Teil des Problems zu sein und können deshalb auch nicht Teil der Lösung werden.
Wie schaffen es weiße Menschen, „Happyland“ zu verlassen?
Indem sie einen ehrlichen Blick auf sich selbst und ihre Sozialisierung werfen. Was bedeutet „Weißsein“? Welche Privilegien verschafft die weiße Hautfarbe? Wie reproduzieren Weiße Rassismus im Alltag, bewusst oder unbewusst? Das sind gute erste Fragen. Und es ist wichtig, nicht der Illusion zu verfallen, dass rassismuskritisch zu denken ein endlicher Prozess sei. Es ist eine lebenslange Aufgabe.
Im Rahmen der Twitter-Kampagne #MeTwo haben sich zahlreiche Menschen gemeldet, die Erfahrungen mit Rassismus machen. Hat Rassismus in Deutschland zugenommen?
Alle Schwarzen Menschen und People of Color machen seit jeher Rassismuserfahrungen. Vor #MeTwo gab es zum Beispiel #schauhin. Dennoch werden immer wieder die gleichen naiven und überflüssigen Fragen gestellt. Schwarze Menschen und People of Color sprechen über ihre Erfahrungen. Dann gibt es einen kollektiven Aufschrei à la „Was? Das gibt es noch?“ Plötzlich merken die „Happyländer“, dass ihr „Happyland“ zu bröckeln beginnt. Diese Erfahrungen werden nicht nur am rechten Rand, sondern ganz tief in der Mitte der Gesellschaft gemacht: in der Schule, in der Kita, am Arbeitsplatz, beim Bäcker nebenan. Um bloß nicht in eine echte selbstkritische Debatte einsteigen zu müssen, werden diese Rassismuserfahrungen meist sofort relativiert bzw. emotionalisiert. Wir müssen in der Debatte endlich weiter ziehen.
Menschen reproduzieren Rassismus, ohne dies wahrzunehmen
Sensibilisiert #MeTwo für das Thema Rassismus?
Debatten wie #MeTwo erhöhen die Sichtbarkeit für das Thema. Das führt dazu, dass wieder heftiger diskutiert wird. Es ist eine gute Chance und es ärgert mich, wenn sie nicht genutzt wird.
Was ist Ihre Vision für ein rassismusärmeres Deutschland?
Ich wünsche mir, dass sich immer mehr Menschen auf einen rassismus- und diskriminierungskritischen Weg begeben. Ich wünsche mir eine Verankerung dieser Themen in allen Ausbildungen – vor allem im Bildungssystem, wo es viel Rassismus gibt.
*„People of Color“ ist eine selbstbestimmte Bezeichnung von und für Menschen, die nicht weiß sind. Das groß geschriebene „Schwarz“ ist die politisch korrekte und diskriminierungsfreie Bezeichnung für Schwarze bzw. Schwarze Deutsche.
Komisch? Sobald ich ein Bild von der Theoretikerin gesehen habe, denkt es sich in mir: Okay, die hat Erfahrung gemacht, die nehme ich ernster als eine universitär überzuckerte weiße Frontfrau vomASTA/ANTIFA…
@Herr Murzelbacher: Was genau ist Ihre Aussage? Okay, wenn Sie meinen, eine farbige Frau ist in Sachen Rassismus-Bericht glaubwürdiger als eine weiße, da könnte ich noch mitgehen und eine Diskussion mit Ihnen starten. Aber „universitär überzuckert“? Was soll das denn heißen? Und dann noch „Frontfrau“? Mehr Fragen als Anregungen – oh je.
Nein, wir Deutsche in der zweiten und dritten Generation nach den Nazis sind nicht rassistisch sozialisiert.
Wir haben in den Medien und in der Schule nicht nur von den Verbrechen der Nazis gehört, sondern sind auch über die unrühmliche Geschichte Amerikas mit Sklavenhaltung und Rassentrennung informiert worden.
Allein der Vorwurf, alle seien Rassisten empfinde ich als Diskriminierung. Wir müssen immer genau hinsehen, wenn wir über Rassismus sprechen. Verallgemeinerungen helfen nicht weiter.
Hört doch einfach auf mit Rechtfertigung und Rumdiskutiererei. Sagt doch einfach mal Entschuldigung wenn ich rassistisch bin, auch wenn ich es nicht merke oder meine ich bins nicht. Ob das so ist oder nicht oder ihr mient das wäre nicht so, ist doch eigentlich egal. Sehts als Wiedergutmachung, wie Reperaturzahlungen. Ein wenig Demut-Das tut doch keinem weh. Dafür gibts Karmapunkte.
Klar sind wir alle rassistisch sozialisiert,
alle, wir ihr…
das liegt vermutlich in den Genen,
in denen der „deutschen“ wie auch in denen der anderen, denen der Zuwanderer, Schwarzen, Gelben,
Roten, Hellbraunen, Weissen, „Nafris“ und was es noch alles geben mag. Bin schon durch fremde Viertel gegangen, in denen ich klar rassistisch „angemacht“ wurde, weil ich ein „Weisser“ bin, ebenso wie auf dem Aldi-Parklatz wo mir unter einer Gruppe anders aussehender gleiches wiederfuhr.
Wo ist da der Unterschied. Ich weiss nicht was es da auszugleichen gibt. Bei mir hat sich keiner entschuldigt dafür, dafür habe ich erlebt, wie es sich anfühlt, rassistisch behandelt zu werden…
Und wer unschuldig ist, werfe den ersten Stein…
@RobMiller: Also dass Rassismus eine genetische Veranlagung im Menschen ist, glaub ich ja nun überhaupt nicht. Das ist genau falsch wie die Behauptung von Rassisten, irgendjemand sei wegen seiner ethnischen Abstammung minderwertig. Rassismus ist Kultur und Erziehung, Tradition und Konstruktion – und deshalb überwindbar.
Aber klar gibt es auch Abwertung gegenüber Deutschen. Doch wie reagierst du darauf? Rassismus mit Rassimus zu beantworzen, kann wohl schlecht die Lösung sein.
Ich lebe nicht in Happyland, ich lebe in einem sozialen Brennpunkt.
Bevor ich an Tupoka Ogette spende, sprich ihr Buch kaufe, spende ich lieber an die Tafel, oder an die Mädchen-Notschlafstelle, oder an die Tagesbetreuung für sozial-schwache Kinder, oder an das Männer-Übernachtungsheim, oder an die Beratungsstelle für Opfer von Zwangsprostitution, oder, oder, oder.