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Zwischen den Stühlen: Ein Zwischenstand

Von Christa Roth / 17. Februar 2022
picture alliance / imageBROKER | Svea Pöstges

Der rote Teppich ist ausgerollt, die Preisverleihung aber vorüber. Doch noch ist die Berlinale nicht vorbei. Interessierte Kinofans können sich bis Sonntagabend weiter Filmvorführungen anschauen. Zumindest diejenigen, die ein Ticket ergattern

Goldener und Silberner Bär sind vergeben. In acht Kategorien konkurrierten Schauspieler_innen, Regisseur_innen und Drehbücher um die vielbeachteten Auszeichnungen. Über die ausgewählten Meisterwerke wird noch zu reden sein. Vorerst wollen wir das Festival als Ganzes erneut in den Blick nehmen. Von außen und natürlich von vor Ort: Zwei unserer drei sagwas-Reporter_innen waren bereits mittendrin, sind eingetaucht in den Charme der Lichtspielhäuser. Hoffentlich.

Kino am Puls der Zeit, wie es so schön heißt, diese Huldigung darf die Berlinale laut einiger Kritiker_innen jetzt schon für sich verbuchen. Ihnen zufolge ist dem Künstlerischen Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, gelungen, den „Wettbewerb als permanenten Dialog“ zu konzipieren – und dieser hat, Gott sei Dank, nicht dazu geführt, dass die Veranstaltung zum Corona-Hotspot wurde, weder thematisch noch physisch. Obwohl das Virus sich durchaus bemerkbar gemacht hat. Was es sonst noch Bemerkenswertes gibt, wissen unsere Reporter_innen.

Die Forderung „Film aus weiblicher Sicht“ mit Verweis auf die wenigen Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen in der Film- und Fernsehbranche ist auf dem Tisch. Was trifft eurer Wahrnehmung nach auf das Publikum zu – eher weiblich, männlich oder divers, jung oder alt?

Lucca: Das Publikum erscheint mir von der Geschlechterverteilung recht ausgeglichen. Allerdings sind es eher weiße Menschen mittleren oder höheren Alters, die es in die Berlinale-Filme treibt. Ich glaube, junge Leute oder Personen mit migrantischem Hintergrund werden weniger erreicht. Was an den Ticketpreisen liegen kann, die etwas höher sind als bei einem herkömmlichen Kinobesuch. Aber auch an der Bewerbung des Festivals. In Berlin-Mitte sind die Litfaßsäulen gepflastert mit dem Berlinale-Bär. Im Wedding, wo ich wohne, der einen großen Anteil migrantischer Bewohner_innen aufweist, habe ich bisher kein Werbeplakat gesehen.

Lucca Pizzato: „Leider bleiben die politischen Botschaften oft lediglich auf der Leinwand.“

Vera: Mein Themenschwerpunkt lag auf queeren Filmen. Dort traf ich auf ein eher jüngeres und diverses Publikum. Im Schnitt waren sie vermutlich um die 25 bis 30 Jahre alt. Tatsächlich reisten viele Leute extra aus anderen Ländern an. Der Film „Calcinculo“ wurde in Italien produziert und in Originalfassung ausgestrahlt. Während der Pressekonferenz nach der Weltpremiere wurden dann entsprechend auch viele Fragen auf Italienisch gestellt. International war also kein Problem.

Am 15.2. hätte Isabelle Huppert in Berlin mit dem Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk geehrt werden sollen. Wegen einer positiven Corona-Erkrankung konnte sie nur live aus Paris zugeschaltet werden, um der Zeremonie beizuwohnen. Wo macht sich Covid auf der Berlinale für euch sonst bemerkbar?

Lucca: Die Corona-Maßnahmen begleiten den gesamten Prozess. Vom ausschließlichen Online-Ticketverkauf, über den Schnelltest, den man noch rechtzeitig vor dem Film bei einer der eigens aufgestellten Schnellteststellen macht… Die Einschränkungen haben aber auch etwas Verbindendes. In einem Dokumentarfilm, der die letzten Jahre über gedreht wurde und die Anfänge der Krise mitverfolgte, sagt etwa eine Person, dass man erstmal schauen müsse, wie lange das jetzt überhaupt noch gehe mit diesem Corona. Das hat im vollmaskierten Saal zwei Jahre später für kollektives Gelächter gesorgt.

Vera Keddigkeit: „Berlinale hat einige sehr sinnvolle Corona-Schutzmaßnahmen ergriffen.“

Vera: Auch wenn viele das ganze Prozedere belächeln: Die Berlinale hat meiner Meinung nach einige sehr sinnvolle Corona-Schutzmaßnahmen erlassen. So trugen wir alle immer während der gesamten Vorstellung eine FFP2-Maske und saßen im Schachbrettmuster über den Saal verteilt. Wir durften kein Popcorn essen und nichts trinken. Auch war für uns Presseleute ein tagesaktueller Test Pflicht.

Die Berlinale solidarisiert sich mit den Unterstützer_innen der lokalen Berliner Kulturszene für das Kino “Zukunft am Ostkreuz“, dem zu Ende März gekündigt wurde. Allerdings nur per Petition. Kommt auf dem Festival die prekäre Lage vieler Kulturstandorte ausreichend zur Sprache oder zu kurz?

Vera: Von der Petition an das Abgeordnetenhaus in Berlin zur Unterstützung der lokalen Berliner Kulturszene habe ich bei den Feierlichkeiten der Berlinale nichts mitbekommen. Allerdings habe ich auch keine Veranstaltung in dem Kino „Zukunft am Ostkreuz“ besucht. Eher auf einer Metaebene wurde auf die prekäre Lage der Kulturszene weltweit auf Corona eingegangen. So berichtete der argentinische Regisseur Mariano Biasin im Interview, dass seine Filmarbeiten ein Jahr lang stillstanden wegen Corona.

Sophia Hörhold: „Als reines Filmfestival kann die Berlinale nicht alle Probleme lösen.“

Lucca: Claudia Roth sprach in ihrer Eröffnungsrede von einem „Zeichen für das Kino“ und einem „starken Signal weit über die Grenzen Berlins hinaus“. Bei der Symbolsprache scheint es zu bleiben. Politische Botschaften, Forderungen oder Diskussionen über die Förderung und Sicherheit kleiner Kulturstandorte habe ich bisher vermisst. Die Berlinale ist eine glänzende Prestigeveranstaltung für die Stadt. Leider ist der Fokus da meistens auf den roten Teppich gerichtet und die politischen Botschaften bleiben lediglich auf der Leinwand.

Sophia: Auch von außen betrachtet, ist das ein schwieriges Thema. Einerseits hat die Berlinale natürlich eine Symbolwirkung in Berlin und damit auch eine gewisse Verantwortung. Derartiges Engagement finde ich also wichtig. Andererseits kann sie als Filmfestival neben dem „eigentlichen“ Geschehen natürlich auch nicht alle Probleme ändern und lösen. Ich freue mich auf jeden Fall auf meinen Besuch morgen.

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