X Icon Facebook Icon

ProEssen richtig retten

Von Andrea Lindner / 2. März 2018
picture alliance/dpa | Christophe Gateau

Essbares aus Müllcontainern zu fischen, ist in Deutschland ein Verbrechen. Das sollte sich schleunigst ändern. Nicht nur, weil es Geld spart.

Containern ist… wenn Menschen noch genießbare Lebensmittel aus Abfalleimern hervorholen. Meistens von Supermärkten oder dem Großhandel. Dieses „Müllfischen“ stellt in Deutschland jedoch eine Straftat dar, weil der Müll offiziell dem Eigentümer gehört. So lange, bis er von der Müllabfuhr abgeholt wird. Also, der Müll – nicht der Eigentümer.

Millliarden im Müll

Jedes Jahr landen in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von etwa 25 Milliarden Euro in der Mülltonne. Um diese Menge an weggeworfenen Lebensmitteln zu transportieren, sind 440.000 Sattelschlepper notwendig. Hintereinander gestellt, ergäbe das die Strecke von Oslo nach Lissabon und wieder zurück, wie die Verbraucherzentrale veranschaulicht. Jede Menge Essen also, von der jede Menge Menschen satt werden könnten.

Aber nicht nur der Handel schmeißt viel weg: Auch in der Landwirtschaft, beim Hersteller und in jedem Haushalt landet gutes, aber scheinbar unbrauchbar gewordenes Essen in der Tonne. Sicher, wir alle wollen nur schöne Kartoffeln, gerade Gurken und Äpfel ohne Dellen. Die Kehrseite: In Deutschland werden etwa in heißen Sommern bis zu 50 Prozent der Lebensmittel weggeworfen. Sollte man die Menschen, die diese Lebensmittel retten, wirklich als Diebe bezeichnen und anzeigen?

Der achtlose Umgang mit Lebensmitteln wirkt sich schließlich nicht nur negativ auf die Umwelt aus, sondern verschwendet auch viele unserer knappen Ressourcen. Da wir ganz offenbar „zu viel“ produzieren, vergeuden wir Arbeitskraft, Wasser, Strom und verdammt viel Anbaufläche. Und verschwenden unser Geld. Denn: Lebensmittelverluste erhöhen die Nachfrage nach Rohstoffen. Dadurch steigen die Preise für Grundnahrungsmittel.

Die Vernichtung von Lebensmitteln gestaltet sich aber durch falsche Anreize für die Wirtschaft profitabel. Straffrei bleibt in Deutschland, wer massenhaft Essen wegwirft, während Containern illegal ist. Absurder geht es kaum. Und das Verrückteste: Es könnte so einfach verhindert werden.

Chemikalien gegen Lebensmittelretter

Viele Aktivisten versuchen bereits seit mehreren Jahren, gegen Lebensmittelverschwendung und die Kriminalisierung von Lebensmittelrettern vorzugehen. Bisher ohne Erfolg. Ginge es nach ihnen, soll der Handel dazu verpflichtet werden, essbare Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, kostenfrei abzugeben. Darüber hinaus soll es straffrei sein, sich weggeworfene Lebensmittel anzueignen.

Viele Supermärkte wollen natürlich lieber, dass die Menschen ihr Geld im Laden lassen und sich das Essen nicht aus dem Müll holen. „Viele schließen ihren Müll deswegen ein, immer wieder werden auch Chemikalien darauf ausgeleert“, erklärt Christian Walter, Lebensmittel-Aktivist. Auf change.org hat er eine Petition gestartet, mit der er fordert, die Entnahme von Essbarem aus Mülltonnen zu erlauben. 126.950 Menschen haben bis jetzt (Frühjahr 2018) unterschrieben. Für ihn und die anderen Aktivisten sind Lebensmittel nicht für Profite da, sondern zum Essen.

Es ist ja auch seltsam, dass Müll bis zum geregelten Abtransport den Supermärkten noch gehören soll. Sollten wir das Wegwerfen nicht als bewusste Willensentscheidung annehmen, dass der Eigentümer die Eigentumsrechte nicht mehr wahrnehmen will?

Es wäre doch so einfach!

Die Menschen, die containern, wollen den Supermärkten nichts Böses. Sie wollen lediglich der Welt zeigen, dass es so nicht weiter gehen kann. Klar, die Retter ziehen einen Nutzen aus dem vermeintlichen Müll. Aber vor allem zeigen sie, wie verantwortungslos Supermärkte und jeder Einzelne von uns mit unserer Nahrung umgehen und wie selbstverständlich die Gesellschaft – also wir – das dulden.

Es gilt deshalb, den Umgang mit Lebensmitteln zu überdenken und die Lebensmittelretter zu entkriminalisieren. Denn die Menschen, die bisher das Risiko, bestraft zu werden, auf sich nehmen, wollen der Gesellschaft nichts Böses, sondern sie auf einen Missstand hinweisen. Sie wären die ersten, die sich freuen würden, wenn es in den Containern gar nichts mehr zu containern gäbe.

In anderen Ländern klappt „Containern legal“ übrigens schon. In Frankreich müssen nicht verbrauchte, als unverkäuflich geltende Lebensmittel gespendet werden. Dort gilt Müll außerdem als „herrenlose Sache“. Das wäre eine kleine Gesetzesänderung in Deutschland, die für Aktivisten wie Christian Walter viel verändern würde.

Lies weiter bei…

DEBATTE | Menü aus dem Müll?

CONTRA | Retter vor sich selber schützen
Containern ist… wenn Menschen noch genießbare Lebensmittel aus Abfalleimern hervorholen. Meistens von Supermärkten oder dem Großhandel. Dieses „Müllfischen“ stellt in Deutschland jedoch eine Straftat dar, weil der Müll offiziell dem Eigentümer gehört. So lange, bis er von der Müllabfuhr abgeholt wird. Also, der Müll – nicht der Eigentümer.

Millliarden im Müll

Jedes Jahr landen in Deutschland 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Wert von etwa 25 Milliarden Euro in der Mülltonne. Um diese Menge an weggeworfenen Lebensmitteln zu transportieren, sind 440.000 Sattelschlepper notwendig. Hintereinander gestellt, ergäbe das die Strecke von Oslo nach Lissabon und wieder zurück, wie die Verbraucherzentrale veranschaulicht. Jede Menge Essen also, von der jede Menge Menschen satt werden könnten.

Aber nicht nur der Handel schmeißt viel weg: Auch in der Landwirtschaft, beim Hersteller und in jedem Haushalt landet gutes, aber scheinbar unbrauchbar gewordenes Essen in der Tonne. Sicher, wir alle wollen nur schöne Kartoffeln, gerade Gurken und Äpfel ohne Dellen. Die Kehrseite: In Deutschland werden etwa in heißen Sommern bis zu 50 Prozent der Lebensmittel weggeworfen. Sollte man die Menschen, die diese Lebensmittel retten, wirklich als Diebe bezeichnen und anzeigen?

Der achtlose Umgang mit Lebensmitteln wirkt sich schließlich nicht nur negativ auf die Umwelt aus, sondern verschwendet auch viele unserer knappen Ressourcen. Da wir ganz offenbar „zu viel“ produzieren, vergeuden wir Arbeitskraft, Wasser, Strom und verdammt viel Anbaufläche. Und verschwenden unser Geld. Denn: Lebensmittelverluste erhöhen die Nachfrage nach Rohstoffen. Dadurch steigen die Preise für Grundnahrungsmittel.

Die Vernichtung von Lebensmitteln gestaltet sich aber durch falsche Anreize für die Wirtschaft profitabel. Straffrei bleibt in Deutschland, wer massenhaft Essen wegwirft, während Containern illegal ist. Absurder geht es kaum. Und das Verrückteste: Es könnte so einfach verhindert werden.

Chemikalien gegen Lebensmittelretter

Viele Aktivisten versuchen bereits seit mehreren Jahren, gegen Lebensmittelverschwendung und die Kriminalisierung von Lebensmittelrettern vorzugehen. Bisher ohne Erfolg. Ginge es nach ihnen, soll der Handel dazu verpflichtet werden, essbare Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können, kostenfrei abzugeben. Darüber hinaus soll es straffrei sein, sich weggeworfene Lebensmittel anzueignen.

Viele Supermärkte wollen natürlich lieber, dass die Menschen ihr Geld im Laden lassen und sich das Essen nicht aus dem Müll holen. „Viele schließen ihren Müll deswegen ein, immer wieder werden auch Chemikalien darauf ausgeleert“, erklärt Christian Walter, Lebensmittel-Aktivist. Auf change.org hat er eine Petition gestartet, mit der er fordert, die Entnahme von Essbarem aus Mülltonnen zu erlauben. 126.950 Menschen haben bis jetzt (Frühjahr 2018) unterschrieben. Für ihn und die anderen Aktivisten sind Lebensmittel nicht für Profite da, sondern zum Essen.

Es ist ja auch seltsam, dass Müll bis zum geregelten Abtransport den Supermärkten noch gehören soll. Sollten wir das Wegwerfen nicht als bewusste Willensentscheidung annehmen, dass der Eigentümer die Eigentumsrechte nicht mehr wahrnehmen will?

Es wäre doch so einfach!

Die Menschen, die containern, wollen den Supermärkten nichts Böses. Sie wollen lediglich der Welt zeigen, dass es so nicht weiter gehen kann. Klar, die Retter ziehen einen Nutzen aus dem vermeintlichen Müll. Aber vor allem zeigen sie, wie verantwortungslos Supermärkte und jeder Einzelne von uns mit unserer Nahrung umgehen und wie selbstverständlich die Gesellschaft – also wir – das dulden.

Es gilt deshalb, den Umgang mit Lebensmitteln zu überdenken und die Lebensmittelretter zu entkriminalisieren. Denn die Menschen, die bisher das Risiko, bestraft zu werden, auf sich nehmen, wollen der Gesellschaft nichts Böses, sondern sie auf einen Missstand hinweisen. Sie wären die ersten, die sich freuen würden, wenn es in den Containern gar nichts mehr zu containern gäbe.

In anderen Ländern klappt „Containern legal“ übrigens schon. In Frankreich müssen nicht verbrauchte, als unverkäuflich geltende Lebensmittel gespendet werden. Dort gilt Müll außerdem als „herrenlose Sache“. Das wäre eine kleine Gesetzesänderung in Deutschland, die für Aktivisten wie Christian Walter viel verändern würde.

Lies weiter bei…

DEBATTE | Menü aus dem Müll?

CONTRA | Retter vor sich selber schützen



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Ähnlicher Beitrag
Neues Thema
Meist kommentierter Artikel
Nach oben