Mobil, aber kein Kinderspiel
Seit Mitte Juni flitzen elektrisch betriebene Tretroller über deutsche Radwege und Straßen. Ein Selbsttest mit einem dieser neuartigen Fahrzeuge hinterlässt jedoch Zweifel.
Samstagvormittag, unweit des Schöneberger Rathauses in Berlin, wo um diese Zeit etliche Marktstände und -besucher das Bild beherrschen. Vor einem Laden steht eine Traube von Menschen, die einer Frau hinterherschauen, wie sie gerade grazil an ihnen vorbeifährt. Der weiße Tretroller, auf dem sie steht, hat braun abgesetzte Räder, über dem Hinterrad schwebt ein ledernes Sitzkissen, an der Vorderstange schließt sich ein u-förmig gebogener Lenker an, an dem ein hoch aufragender runder Rückspiegel klemmt. Die Frau ist vielleicht um die 40 und strahlt. Ihr schicker Retro-Tretroller ist kein normaler Roller, wie man ihn aus der Kindheit kennt. Hier spielt nur die Optik mit der Erinnerung. In dem edlen Gestänge steckt modernste Technik. Ein Akku sorgt dafür, dass man mit Elektro-Tretroller, auch E-Scooter genannt, auf offiziell bis zu 20 km/h beschleunigen kann.
Im April beschloss das Bundeskabinett, E-Scooter ab dem 15. Juni 2019 in Deutschland für Personen ab 14 Jahren zuzulassen. Teenager, die Roller fahren? Das erinnert mich an den Roller-Hype Anfang der 2000er Jahre. Damals beschränkte sich die Innovationsfähigkeit des kleinen, fahrbaren Untersatzes auf die Funktion des Zusammenklappens. Kein Vergleich zu der neuesten Modeerscheinung, die vor allem unter Erwachsenen gut ankommt.
Nicht ohne Versicherung
Der Hype macht mich neugierig. Wie ein E-Scooter sich fährt, will ich deshalb noch vor der offiziellen Zulassung herausfinden. Also, rein ins nächste Fachgeschäft. Ein junger Mitarbeiter mit Dreitagebart zieht für eine kurze Probefahrt aus einer Reihe schmaler schwarzer Roller einen hervor. „Dieser kann bis zu 30 km/h schnell werden, hat eine Reichweite von ca. 30 km, wiegt nur 11 Kilo, kann überall problemlos mitgenommen werden und kostet knapp 1000 Euro“, rattert der Verkäufer die Fakten herunter und klappt zur Demonstration die beiden Lenkergriffe nach unten. In der Mitte des Lenkers befindet sich ein kreisrundes Display, das Akkuladestand, Geschwindigkeit und Uhrzeit anzeigt. Auch zwei Tastschalter gibt es. Links Bremse, rechts Gas. Wie beim Auto, denke ich entspannt. „Man kann natürlich auch bremsen, indem man auf das Schutzblech am Hinterrad steigt, wie man es von Kinderrollern kennt“, erklärt der junge Mann weiter. „Am besten ist es, wenn Sie beide Bremsen benutzen.“
Um die „fahrraddynamischen Mindestanforderungen“ zu erfüllen, wie es in der neuen Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung heißt, gehören schließlich auch ein Front- und Rücklicht. Dann ist es soweit. Auf dem Gehweg erhalte ich noch den Tipp, mir vor dem Aufsteigen zu überlegen, wie ich meine Füße platzieren will. Jetzt erst fällt mir auf, wie schmal das Brett in der Mitte ist. Rechts oder links vor – ich entscheide mich dafür, den rechten Fuß nach vorn zu stellen und setze mich zaghaft mit dem linken Fuß in Bewegung. Etwas wackelig fahre ich die ersten Meter und bediene das erste Mal den Gas-Taster. Automatisch schiebe ich meinen Kopf vor, als ich beschleunige. Vor mir laufen zwei Fußgänger. Ich bremse vorsichtig ab und schiebe meinen Kopf reflexartig wie zum Doppelkinn zurück. Elegant geht anders, denke ich. Für eine Drehung steige ich ab. Die schmalen kleinen Räder kommen mir nicht besonders wendig vor. Als ich wieder beschleunige – über 10,8 km/h traue ich mich nicht –, versuche ich ein paar schnelle Rechts-Links-Bewegungen. Ich merke, dass ich für Ausweichmanöver mehr Platz auf dem Bürgersteig brauche, denn der Roller wirkt steif. Okay, ich wahrscheinlich auch. Doch mein Gleichgewicht konstant stabil zu halten, erfordert meine volle Konzentration und Aufmerksamkeit.
Geräusche vom Motor lassen sich kaum ausmachen. Dafür spüre ich jede Unebenheit im Boden umso deutlicher. Offiziell dürfen E-Scooter nur auf dem Radweg benutzt werden. Wenn kein Radweg vorhanden ist, dann müssen die Fahrer auf die Straße wechseln. Gut, dass ich dieser Pflicht jetzt noch nicht nachkommen muss. Abbiegen kann ich nämlich nicht – ich traue mich nicht, die Hand vom Lenker zu nehmen, um meine Fahrrichtung zu signalisieren. Führerschein- oder Helmpflicht gibt es vorerst nicht. Dagegen braucht jeder E-Scooter einen Versicherungsnachweis in Form einer angeklebten Plakette.
Umkämpfte Gehwege
Im Gegensatz zu Deutschland sind E-Scooter in Österreich bereits seit Ende September 2018 genehmigt. In Wien stehen sie in der Innenstadt fast an jeder Straßenecke zum Ausleihen bereit. Doch nicht jeden freut das. Freunde aus Wien sind oft genervt. Sie berichten von rücksichtslosen Fahrern und solchen, die telefonieren, von vollgestellten Bürgersteigen und Fußgängerzonen. Doch nicht nur Konflikte, auch Unfälle mit E-Scootern häuften sich. Daraufhin wurde zum 1. Juni das österreichische Gesetz abgeändert, wonach E-Tretroller mit Fahrrädern gleichgesetzt werden. Das heißt: Scooterfahrer müssen runter von den Trottoirs und künftig auf die Radwege.
Wie die Geh- und Radwege in deutschen Innenstädten bald aussehen werden, bleibt abzuwarten. Die ersten Verleiher der handlichen Flitzer stehen angesichts der zu erwartenden großen Nachfrage bereits in den Startlöchern. Obwohl E-Scooter leise, leicht, umweltfreundlich und zum Überbrücken kurzer Distanzen geradezu ideal erscheinen, lebt man auf ihnen auch gefährlich, wenn man sich mit teilweise hohem Tempo ungeschützt zwischen Auto- und Radfahrern bewegt. Wem kann man es da verübeln, kurzerhand mal auf den Gehweg zu wechseln? Ich jedenfalls freue mich nach meiner Testfahrt über den festen Boden unter den Füßen.