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ContraBleiben wir im Gespräch

Von Nico Amiri / 31. Oktober 2023
picture alliance / Wavebreak Media LTD | Wavebreak Media LTD

Haifischbecken, Hexenkessel, Löwengrube oder Minenfeld: Dass Debatten ausarten, muss nicht sein. Umso wichtiger ist, die eigenen Grenzen zu kommunizieren. Aber Funkstille zwischen Gesprächspartner:innen ist keine nachhaltige Alternative zu einem Austausch, von dem alle Beteiligten lernen können.

„Nichts darf man mehr sagen!“, ertönt es, meinem Empfinden zufolge, immer häufiger. In sozialen Netzwerken sowieso, aber auch in privaten Konversationen. Ja, nicht alles sollte unter dem wichtigen Grundwert der Meinungsfreiheit geäußert werden dürfen. Diese Schlussfolgerung haben die Mütter und Väter des Grundgesetztes aus der Geschichte gezogen. In Artikel 5 steht nicht umsonst: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“

Doch wer sich lauthals darüber echauffiert, „nichts mehr“ sagen zu „dürfen“, hat anscheinend wohl eher Sorge darum, für ihre oder seine Meinungsäußerung be- und verurteilt zu werden. Von der Meinungsfreiheit Geschütztes darf gesagt werden, so regelt es die Rechtsprechung, aber ein Recht auf Rede ohne Gegenrede gibt es nunmal nicht. Punkt.

Weil es sich lohnt

Eine informierte Gesellschaft ist erforderlich, um gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Dabei ist ein Austausch auf Augenhöhe sicherlich ein anzustrebendes Ideal. Aber es gibt eben auch den unterschiedlichen Wissens- und Sachverstand zwischen Gesprächspartner:innen und damit die Möglichkeit, dass die andere Person fehlinformiert sein könnte. Schön wäre hier, sich zu vergegenwärtigen, dass es ein Recht des Menschen auf Irrtum gibt. Niemand ist perfekt oder gar allwissend. Wir sollten mutiger sein, zu irren und dies uns und anderen einzugestehen.

Das persische Sprichwort, nach dem jede:r jedem an nur einem Tag auch Lehrer:in sein kann, ist in diesem Kontext passend. Wir alle können sicherlich zumindest in einer Sache von anderen Menschen lernen. Und wie sollen wir unser eigenes Wissen und unsere Glaubenssätze hinterfragen lernen, wenn wir hinter (fast) jedem Kontakt eine Löwengrube oder ein Minenfeld vermuten?!

Austausch kann Konfrontation bedeuten, natürlich. Aber was ist das Schlimmste, das passieren kann? Wenn wir uns wechselseitig in einer Debatte mit wortreichen Argumenten nicht überzeugen können, dann bleiben beide Seiten eben bei ihren Positionen. Im besten Fall ist der Austausch trotzdem fruchtbar und bereichernd. Selbst wenn es niemand zugeben will.

Und was ist mit der Sorge, „in eine Ecke gestellt zu werden“? Nehmen wir zum Beispiel jemanden, der/die gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist und deshalb besorgt ist, als „Klimawandelleugner:in“ gebrandmarkt zu werden. Was soll‘s? Das ist das Urteil einer anderen (womöglich sogar fremden, unwissenden) Person. Aber der oder die Gegner:in eines Tempolimits weiß doch selbst am besten, dass sie die Maßnahme aus dem Grund ablehnt, weil sie darin eine geringere Wirkkraft sieht, als in der Abkehr von fossilen Brennstoffen in der Strom- und Wärmeerzeugung.

Gegen die Polarisierung

Wir alle sind mit komplett unterschiedlichen Voraussetzungen in das Leben gestartet und haben ein ganz eigenes persönliches Umfeld, das einen starken Einfluss auf unsere Weltsicht ausübt, weshalb wir viele Überzeugungen aus diesem Kontext heraus verstehen und mit Nachsicht betrachten sollten. (Ausgenommen homophobe und rassistische Ansichten oder ähnliche hassgetriebene Einstellungen.) Im Meinungsaustausch erfahren wir zwar die Einstellung(en) der anderen Person, aber nur selten, warum sie so denkt.

Wir leben in einer zunehmend polarisierten und herausfordernden Gesellschaft, in der viele Krisen ebenso viele Menschen zu widersprüchlichen, fragwürdigen… schlichtweg aber einfach verschiedenen Schlussfolgerungen bewegen. Eine demokratische Gesellschaft wie die unsere lebt trotzdem von dem Austausch und dem Suchen nach Kompromissen. Das impliziert, dass wir einander zuhören, unsere Ansichten zwar mit Überzeugung vertreten, aber sie eben auch nicht als unverrückbar erachten.

Wenn wir einander mehr Vorschläge unterbreiten, anstatt den Vorschlaghammer herauszuholen, um damit die Ansichten anderer zu bearbeiten, haben wir die Chance, die feindlich gesinnte Polarisierung abzumildern oder gar umzukehren. Es ist gut, dass wir in unserer Gesellschaft so viele verschiedene, gegensätzliche und selbst teilweise unvereinbare Meinungen aushalten und nebeneinander existieren lassen können. Warum? So müssen wir uns mit ihnen allen auseinandersetzen, bevor wir sie bewerten.

Der kommunikative Wettbewerb um die besten Ideen sollte gesellschaftlich und politisch in der Sache ernst geführt werden. Wenn er dazu führt, dass wir schlussendlich politische Diskussionen meiden, weil wir uns darum sorgen, „nichts mehr“ sagen zu „dürfen“, ist das der falsche Ansatz. Miteinander im Gespräch zu bleiben, egal wie anstrengend es sein mag, lohnt sich immer.



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